Parmigianino, Antea, entstanden ca. 1535.
Stundenlang möchte ich in deine Augen sehen. Jahrelang habe ich es getan. Immer wieder neu. Seit dem ersten Tage, da ich dich erblickte. Und schon damals fragte ich mich, ob ich es war, der schaute; oder nicht eher Du, die mich zuerst sah. Prüfte. Musterte. Mit Augen, von denen ich bis heute nicht weiß, was alles darin ruht; aber es sind Augen des Schicksals. Schicksal, weil wir uns danach nie wieder aus den Augen verloren.
Vom ersten Moment an hast du mich inspiriert. Fasziniert. Weil ich nicht weiß, wer du bist, woher du kommst, selbst dein Name ist unsicher. Für mich aber bleibst du ewig Antea. Zwei Silben, in denen so viel Würde steckt, als betteten ihn Samt und Damast ein. Dein Hintergrund ist so unklar wie der dunkelgrün-schimmernde Abgrund, von dem du dich abhebst. In deinem goldgelben, geschmeidigen Gewand liegt bis heute der Geruch der Safranfelder der Abruzzen. Ich rieche es. Ich weiß es.
Wie viele haben dich zu deuten versucht. Haben dich für eine Prostituierte gehalten, obwohl der Schmuck allein, die Frisur und alles, was dich prägt, so edel ist, dass nur die höchste Aristokratie deine Heimat sein kann. Sie sagen: das Tier, dessen Fell der große Künstler bis ins Detail pigmentierte, sei ein Baummarder. Für mich ist und bleibt es ein Sommerhermelin. Weil allein das Hermelin deinen Rang unterstreicht; und weil du, die das Exquisite, das Außergewöhnliche, das Extravagante schätzt, diesen Pelz trägst, den nur Könige, Bischöfe und Dogen tragen dürfen; und sie mit der Finte eines Sommerfells täuschst, weil dich dann niemand behelligen mag.
Kunstvoll ist alles an dir. Das Muster deines Stoffes, der den höchsten Familien vorbehalten bleibt. Die Verzierungen auf dem seidenweißen Tuch. Die Ohrringe, die in Harmonie mit deinen Augen und deiner Kette zur Vollendung finden. Die Frisur in ihren verspielten Details, die diademgleich deinen Kopf bekrönt.
Über dein Alter streiten sich all jene, die nur Pinselführung, nur Provenienzen, nur totes Papier sehen. Die entweder glauben, du hättest dich irgendwelchen Diensten hingegeben, und dein Alter hochspekulieren; die an eine Dame aus Parmas bestem Hause denken; oder zuletzt jene, die dich nicht älter als 14 Jahre schätzen, weil dich das Gemälde kurz vor deiner Heirat zeigt.
Mir ist es gleich. Ich akzeptiere, wie du bist. Selbst wenn ich nur sehe, was du scheinst, und nicht was du bist.
In deinem wohlgeformten Gesicht spiegeln sich noch die Ausläufer der Kindlichkeit; aber dein Habitus ist so ganz von Nüchternheit und Klarheit geprägt. Das ist kein Kind, keine junge Frau; ich sehe jemanden, der sehr wach, sehr weitsichtig ist. Jemand, der abgeklärt und ruhig erscheint, aber charmant im Gespräch ist. Jemand, der seinen Gegenüber im Vagen lässt, so, wie du alle an der Nase herumführst, die denken, dich erklären und in Worte fassen zu können. Du hast Geheimnisse. Das allein macht dich außergewöhnlich. Du musst nicht lächeln wie die Mona Lisa oder dich in einem Schlachtenmeer verstecken. Bei dir steckt mehr dahinter, als sich mancher zu erträumen wagt. Schweigen bedeutet Eleganz; und dennoch lässt du immer wieder Fragmente durchscheinen, die dich umso interessanter machen; jedes Detail deines Körpers und deiner Kleidung ist ein Spiel mit Hinweisen.
Für mich wirst du auf ewig Antea bleiben; eine Testabella; eine Braccioleone; die Schwester Tiberios; die Dogeressa von Palatina.