Hisaishi-Nachtisch mit einer Prise Debussy

11. Februar 2016
Kategorie: Musik

In meinem letzten Beitrag hatte ich mich sehr stark auf Rey und Uhren gestürzt, weshalb mir ein Kleinod, das ich zum Monatsende zum ersten Mal vernahm, völlig entglitt. Daher hier ein kleiner Nachtrag.

Das Dessert zum tonsetzerischen Hauptgang fällt asiatisch aus. Geradezu symbolisch mutet es ja an, dass ich Williams bei der letzten Besprechung leicht auf die Finger klopfen musste, indes mich sein japanischer Kollege Joe Hisaishi bisher noch nie enttäuscht hat. Keine Sorge: wer kein Anmitsu mag, den dürfte die Suite zur Prinzessin Kaguya zumindest das Trommelfell dort schmeicheln, wo es normalerweise die Sinnesreize für Süßgeschmack im Gaumen tun. Nicht umsonst spricht man in der Küche wie in der Musik von Kompositionen.

Nur wenige Worte zum Hintergrund des Films. Dabei handelt es sich um ein Werk des Studios Ghibli. Üblicherweise ist dabei Hayao Miyazaki der führende Meister, und auch Hisaishi arbeitete mit diesem bei seinen Meisterwerken zusammen. Die Legende der Prinzessin Kaguya (basierend auf der gleichnamigen, mittelalterlichen Erzählung) ist indes ein Film von Isao Takahata,* der womöglich dem ein oder anderen durch den tragischen Antikriegsfilm „Die letzten Glühwürmchen“ bekannt sein könnte. Wer den Film mal als Kind oder Jugendlicher gesehen hat, dürfte ihn zu seinen verstörendsten cineastischen Erfahrungen zählen.** Aber was berührt, das ist gelungen; und Takahatas Filme zeichnen eben eine ganz bestimmte Atmosphäre aus, die oftmals deutlich schwermütiger ist als Miyazakis Werke mit ihrem warmen Humor.

Dergleichen wird auch bei der Musik deutlich. Besonders hervorheben möchte ich die Prozession der Himmlischen Geschöpfe; wahrlich festlich, fröhlich-melancholisch und dann wieder erhebend. Eine grandiose Passage, die ich mir stundenlang anhören könnte, weil in den wenigen Minuten so viel an Emotionsschwankungen steckt wie in einem meisterhaften japanischen Gedicht.

Um den Gusto aber abzurunden, und zu dieser späten Stunde dem Nocturne zu frönen, will ich wieder kurz in Hisaishis mentale Heimat abgleiten, die Debussy nicht fern ist. Daher die Ballade als Kirsche oben auf der notentechnischen Sahne des heutigen Abends.

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*Takahata und Miyazaki lernten sich – meines Wissens nach – bei ihrer gemeinsamen Arbeit an der Zeichentrickserie „Marco“ kennen, die auf einer Novelle aus De Amicis Roman „Cuore“ basiert. Darin geht es um einen genuesischen*** Jungen, der seine nach Argentinien ausgewanderte Mutter sucht.
Ach ja, die Zeichentrickserie „Heidi“ stammt auch vom ihm. Die aus den 70ern, nicht der moderne Abklatsch. Einfach Wikipedia aufschlagen.

**Anbei sei erwähnt, dass die „Glühwürmchen“ zusammen mit Miyazakis „Mein Nachbar Totoro“ anlief. Letzteres bot einen erfrischenden, aufmunternden Gegensatz nach der harten Kost. 2013 war geplant, dass „Kaguya“ zusammen mit Miyazakis letztem Film, „Wie der Wind sich hebt“, anlaufen sollte. Man sieht die Motive, die Verbindung, die Partnerschaft; allein, „Kaguya“ wurde nicht rechtzeitig fertig, und man musste das Vorhaben abbrechen.
„Wie der Wind sich hebt“ ist vermutlich der beste Streifen Miyazakis und damit wohl auch gleichzeitig – meiner Ansicht nach – der künstlerisch wertvollste japanische Animationsfilm. Mich reizt dazu in Zukunft ein eigener Beitrag.

***Ein Affront übrigens, da Marco ein venezianischer Name ist. Betrug!

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