Der Eidgenosse und die Fürstin

25. November 2015
Kategorie: Die Euganeischen Anekdoten | Freiheit | Ironie

Ein Schweizer Bürgermeister erhielt einen Brief von einem benachbarten Fürstenhof, zu dessen Ball man ihn herzlich einlud. Da der Eidgenosse glaubte, ansonsten den Ruf der Heimatstadt zu beschädigen, oder jemanden persönlich zu beleidigen, nahm er das Angebot an und machte sich auf die Reise. Er nahm nichts mit außer dem nötigsten Gepäck, verzichtete auf einen Diener und beließ es nur bei dem Kutscher, der ihn durch die Täler Richtung Bodensee fuhr.

Nach einigen Tagen erreichte der Bürgermeister das Schloss, das einer Fürstin gehörte. Wie auch die anderen Gäste empfingen man ihn mit Pomp und Protz. Zwischen den vielen, festlich gekleideten Leuten, die ausgelassen tanzten und über alles Mögliche schwatzten, nahm sich der Eidgenosse vornehm zurück. Auch beim Abendessen bediente er sich nur spärlich, hörte zu, nickte immer wieder gerne, sprach aber sonst kaum, wenn man ihn nicht fragte.

Zuletzt zeigte sich die Landesmutter. Alle ihre Diener und Minister, die sie selbst ausgewählt hatte, saßen um sie herum und lauschten ihren weisen Ausführungen; denn die Fürstin besaß eine bemerkenswerte Beliebtheit im Volk und war auch bei den benachbarten Grafen und Herzögen respektiert, da sie es seit Jahren verstand, ihr Land souverän zu führen. Am Anfang ihrer Herrschaft, kurz nach dem Tod ihres Mannes, hatte es nämlich viele gegeben, die einen Bürgerkrieg hatten anzetteln wollen, um sie zu entmachten und einen anderen Herrscher an die Spitze zu setzen. Einen nach dem anderen hatte sie dafür hinrichten lassen, und ihre gütige Herrschaft walten lassen.

Denn es war ja keiner mehr da, der sie am Hof kritisieren konnte, seitdem man Kritiker entweder beseitigt hatte, oder die anderen so um ihr Leben fürchteten, dass sie es nicht wagten, aus der Deckung zu kommen.

In all den Jahren hatte sie sich daher nicht mehr um den Machtverlust gesorgt, und sich eher mit dem Verzehren von Häppchen oder Schweinebraten beschäftigt – was sich ganz wunderbar auf ihre Hüften auswirkte. Insgesamt galt ihre Herrschaft daher als äußerst erfolgreich, denn wer keine Angst vor einer Palastrevolte oder vor einem Volksaufstand hatte, und sich den Tag über mit Pralinen und Haxen vollstopfen konnte, der galt als begnadeter Herrscher.

Auch der kleine Schweizer Bürgermeister hörte von den Regierungsrezepten, welche die Fürstin mit anderen teilte – er fiel aber in seinen einfachen Gewändern zwischen den hohen Frisuren, opulenten Bärten und ausgefallenen Kleidern der anderen Gäste kaum auf.

»Das Wichtigste«, fächerte sich die Fürstin dabei Wind zu, »das Wichtigste ist, dass die Menschen Vertrauen in die Politik haben. Die Menschen im Lande müssen sich sicher fühlen und wissen, dass wir da sind, und alles schaffen können. Eigentlich«, so untermauerte sie, den Zeigefinger hebend, »sind wir ja eine Demokratie. Wir Fürsten tun durch den Staat nur das, was das Volk will.«

Da murmelten die Höflinge und Gäste, wie Recht die Fürstin doch habe, die als Landesmutter dem Volk so viele Wohltaten erwies, und mit welcher Weisheit und Nachhaltigkeit sie das Staatsgeschick bestimmte. Erst da fiel der Fürstin der Eidgenosse auf – denn dieser schien der einzige zu sein, der nicht vor Verzückung die Monarchin pries.
Streng sah sie in seine Richtung und schürzte die Lippen:

»Oder nicht?«

Erst nach einer Pause traute sich der Schweizer zu antworten, denn großes Aufsehen war seine Sache nicht. Da ihn aber alle anstarrten, glaubte er sich erklären zu müssen:

»Verzeiht, Durchlaucht, aber ich glaube, Ihr versteht nichts von der Demokratie.«

»Tatsächlich?«

»Demokratie lebt nicht vom Vertrauen, sondern vom Misstrauen. Eigentlich«, so fuhr der Schweizer fort, »ist die echte Demokratie nur gegen Staat und Politiker gerichtet.«

»Man sieht, Ihr habt zu lange in Euren Bergtälern gelebt. Unsere Angelegenheiten versteht Ihr nicht.«

»Zum Glück«, sprach der Eidgenosse, verneigte sich, verabschiedete sich freundlich und in allen Ehren von der Festgesellschaft – und kehrte noch in derselben Nacht in die Schweiz zurück.

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