Die Seele bewahren

21. November 2015
Kategorie: Antike | Fremde Federn | Philosophisches

Aus den Selbstbetrachtungen des Römischen Kaisers Marc Aurel, Buch III, 8.

Betrachte niemals etwas als nützlich für dich, was dich einst zwingen könnte, dein Wort zu brechen, deine Ehre zu verlieren, jemanden zu hassen, zu verdächtigen, ihm zu fluchen, dich gegen ihn zu verstellen, wünsche nie etwas, was durch Mauern oder Vorhänge verborgen werden müßte. Derjenige, der seiner Vernunft, dem Genius in ihm und der Ehrerbietung für die Tugend den Vorrang läßt, ergeht sich nicht in tragischen Ausrufen, stößt keinen Seufzer aus, sehnt sich weder nach der Einsamkeit noch nach Umgang mit einer zahlreichen Menge; er wird, und darin liegt ein hohes Gut, leben, ohne das Leben weder zu suchen noch zu fliehen, vollkommen gleichgültig, ob für einen längeren oder kürzeren Zeitraum seine Seele von der Hülle seines Körpers umgeben sein wird. Ja, sollte er auch in diesem Augenblick scheiden müssen, er wird ebenso gern scheiden, wie bei Erfüllung irgendeiner andern, mit Ehre und Anstand übereinstimmenden Handlung. Nur darauf ist er einzig und allein bedacht, seine Seele vor jeder Richtung zu bewahren, die eines denkenden und geselligen Wesens unwürdig ist.

Je länger man die Selbstbetrachtungen liest, desto mehr begreift man, wie Helmut Schmidt darin so viel finden konnte, was ihn bis zuletzt ausmachte.

Teilen

«
»