Eine der reizvollsten Angelegenheiten der „Zurück in die Zukunft“-Trilogie sind die selbstreferenziellen Wiederholungen; bestimmte Szenen spiegeln sich in den verschiedenen Epochen wieder. So besucht Marty in jeder Epoche eine Gaststätte, die sich je nach Zeit verwandelt hat*, bestellt dort ein analkoholisches Getränk** und trifft einen Verwandten aus der Tannen-Familie, den ewigen Rivalen der McFly-Familie***. Diese gewaltige Zahl an Anspielungen macht den großen Kult und die Zeitlosigkeit der Trilogie aus, weil man noch nach Jahren Anspielungen finden kann, die man bisher nicht bemerkte.
Ein weiteres dieser temporalen Spiegelbilder, die sich der Ironie der Geschichte nach wiederholen, ist das gemeinsame Familienessen, das konsequent in allen vier Jahren der Handlung (1985, 1955, 2015 und 1885) vorkommt, und sich jeweils etwas anders abspielt, obwohl die Parallelen klar sind. Faszinierenderweise ist hier eine ironische Philosophie im Wandel des Familienlebens, der Esskultur, und auch der latent destruktiven Kraft der Medien erkennbar.
In dieser Hinsicht ein kleiner chronologischer Ausflug:
1885: Seamus McFly bringt von der Jagd zwei erlegte Hasen nach Hause. Beim Mahl hat Marty deutliche Probleme mit der Schrotmunition, die noch teilweise im Essen steckt. Das Wasser ist erdigbraun. Seamus ist als Herr des Hauses gastfreundlich, und obwohl seine Frau eher skeptisch gegenüber Marty ist, spricht sie kein Wort sondern macht bei Unstimmigkeit ein Kreuzzeichen; nicht vor dem Gast, sondern im konkreten Zwei-Augen-Gespräch redet sie mit ihrem Mann, um ihn nicht bloßzustellen.
Offensichtlich auch: außer Besteck, Geschirr und einer tickenden Uhr gibt es nahezu keine Geräusche. Die Konzentration liegt auf dem Gespräch und der Gastfreundlichkeit von Seamus, der Marty begleiten, helfen und einen Hut schenken will. Die Menschen und das Essen stehen im Vordergrund.
1955: Dies ist das einzige Mahl, das nicht in einem McFly-Haushalt stattfindet, sondern im Haushalt der Familie Baines (der Familie von Martys Mutter Lorraine). Das Essen ist üppig und reichhaltig, entspricht der guten amerikanischen Hausmannskost der 50er in einer Großfamilie. Während des Essens ist der Redeanteil aller Personen – selbst der Kinder – verhältnismäßig gleich mit einem leichten Vorteil für die Mutter des Hauses, die Marty gegenüber freundlich ist. Der Vater des Haushalts ist eher skeptisch, redet nicht viel und hält Marty für einen „Idioten“. Die Mutter widerspricht ihrem Mann mitunter.
Überhaupt ist Lorraines Vater mehr damit beschäftigt, den neuen Fernseher zum Laufen zu bringen, sehr zum Missfallen der Mutter („Lass den Kasten doch jetzt in Ruhe!“). Die Medien halten Einzug in den Alltag, spielen aber nur eine kleine Nebenrolle.
1985: Wieder bei den McFlys, dieses Mal bei Martys Eltern George und Lorraine, zusammen mit Martys Geschwistern. George isst Conflakes/harte Kekse, an sich wirkt das Essen eher an Junkfood angelehnt und steht im Kontrast zum üppigen Familienmahl der Baines von 1955, oder der „natürlichen“ Nahrung der McFlys von 1885. Der Fernseher steht hier weit mehr im Mittelpunkt; Vater George nimmt kaum eine Rolle ein, er ist ganz auf die Sendung konzentriert. Themenzentriert reden hier nur die Kinder und die Mutter. Die Mutter hat ganz konkrete Vorstellungen, der Vater sich dagegen gänzlich ausgekoppelt.
2015: Marty kommt als gealtertes Ich nach Hause. Den Kindern ist das herzlich egal, sie nehmen den Vater kaum wahr. Stattdessen sind diese mit ihren Videobrillen beschäftigt, auf denen sie Fernsehen schauen oder telefonieren (das Smartphone lässt grüßen!). Völlig mit dem elektronischen Schnickschnack beschäftigt, bekommen sie kaum etwas von der angespannten Lage mit. Fast schon zynisch wirkt die Machtlosigkeit des Familienvaters Marty, der beim Antritt mit schmuckvollen Titeln wie „Herr des Hauses“ bezeichnet wird, aber diese Rolle kaum durchsetzen kann. Die Mutter tritt kaum in Erscheinung, stattdessen ist die Großmutter (bzw. Martys Mutter Lorraine) hier der bestimmende Faktor.
Das Essen besteht aus hydrierter Pizza: heißt, Lorraine wirft eine winzige Mini-Pizza in ein mikrowellenähnliches Gerät und holt dann eine fertige Familienpizza aus dem Ofen. Fast Food im wahrsten Sinne des Wortes!
In diesem Sinne enthalten die Filme ein gehöriges Maß an augenzwinkernder Ironie, die man wohl weniger als Kritik, denn viel mehr als genaue Beobachtung ansehen sollte. Die Rolle des Vaters, der zu Seamus Zeiten die ganz natürliche Sprechrolle am Tisch hat, geht immer mehr zurück und fällt dann von Apathie in Lächerlichkeit um; auch die menschliche Aktion selbst weicht dem Voranschreiten der Medien und der Ablenkung vom eigentlichen Ritual, das einst nur aus Mahl und Gespräch bestand; und nicht zuletzt schreitet die Entfremdung von der eigentlichen Mahlzeit voran, will heißen: aus dem einst selbst erlegten Hasen ist am Ende nur noch die hydrierte Pizza übrig. Bezeichnend, dass das Mahl von 1885 das ärmlichste, aber zugleich „menschlichste“ ist.
Insbesondere, wenn ich überall sehe, wie die Leute selbst am Mittags- oder Abendtisch mehr mit dem Smartphone, als den anderen Gästen beschäftigt sind, empfinde ich den 21. Oktober 2015 aus den 80er als höchst prophetisch…
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*1955: Typische Bar der 50er; 2015: Restaurant der 80er; 1885: Saloon; 1985 steht dort sinnigerweise ein Fitnessstudio.
**1955: Marty bestellt eine Diät-Pepsi und bekommt einen Kaffee; 2015: Marty bestellt eine Pepsi und bekommt eine Pepsi „Perfect“; 1885: Marty ist sich nicht sicher, was er bestellen will, ringt sich zu einem „Eiswasser“ durch, wird ausgelacht und bekommt einen Whiskey.
***1955: Biff Tannen; 2015: Griff Tannen; 1885: Buford „Mad dog“ Tannen. Der jeweilige Tannen terrorisiert in der Bar zudem einen McFly-Vertreter: 1955 Martys Vater George; 2015 Martys Sohn Marty Jr.; 1885 Marty selbst.