Jahreswechsel

31. Dezember 2013
Kategorie: Antike | Historisches | Zum Tage

Da noch etwas Zeit verbleibt, bis das neue Jahr beginnt, stellt sich mir – im Gegensatz zur feierfreudigen Schicht – oft die Frage zu den Beweggründen für eine Festlichkeit. Dass der Silvester seinen Namen (bitte nicht mit Y!) von Papst Silvester hat, der eng mit der Legende der Konstantinischen Schenkung verbunden ist, dürfte vielleicht bekannt sein. Konstantinische Schenkung: das war diese nette kleine Fälschung welche dem Papsttum die Herrschaft über das Abendland zusprach, und der Grundstock für die weltlichen Ländereien Mittelitaliens war, die man später zum Kirchenstaat zusammenfasste. Das allerdings erst unter dem Frankenkönig Pippin, der dem damaligen Papst das Gebiet wirklich schenkte – rund 400 Jahre nach diesen angeblichen Geschehnissen. Die Mentalität des Mittelalters will es aber, dass alte Rechte immer besser sind als neue Rechte, und so entwickelte sich die Legende um Silvester, der den Kaiser Konstantin von seiner Krankheit heilte, und dafür als Dank eben jene Schenkung veranlasste.

Mit der Silvesterfeierlichkeit als solcher und dem Jahreswechsel hat weder Silvester noch die Konstantinische Schenkung zu tun. In weiten Teilen Mitteleuropas galt vom Mittelalter bis weit in die Frühe Neuzeit noch Weihnachten (25. Dezember) als Wechsel zwischen Altem und Neuen Jahr. Wenn also Pippins Sohn – Karl der Große – im Jahre 800 an Weihnachten zum Kaiser gekrönt wurde, dann war dies dazumal eigentlich der Neujahrstag. Das bedeutet: für uns war dies der 25. Dezember 800, für die damaligen Leute bereits der 25. Dezember 801, weil der Jahreswechsel erfolgte. Erst durch unsere Zeitrechnung, in welcher die Jahreswende 8 Tage später erfolgt, wird dieses Datum zurückdatiert. In den offiziellen Urkunden findet sich das Jahr 801. Es ist ja auch allzu logisch: wenn man „nach Christi Geburt“ rechnet, ist der Weihnachtstag, nämlich die Geburt Christi, die schlüssigste Folgerung.

Nicht jedes Land hatte diese Tradition. In Italien hielt sich der altrömische Stil in eben jenen Städten, welche die weltliche oder geistliche Herrschaft abgeschüttelt, und Stadtkommunen mit Selbstverwaltung etabliert hatten. Diese knüpften an die Tradition der alten Römer an, da Rom als Vorbildrepublik galt. Im alten Rom wurden am 1. März die Konsuln bestellt, das heißt: eine neue Regierungsperiode begann. Die Konsuln waren die jährlich gewählten obersten Amtsträger des Staates, nach denen auch die Jahre datiert werden konnten, da kein Konsul zwei Amtszeiten hintereinander ableisten durfte. Im alten Rom und einigen italienischen Republiken war daher kein religiöses, sondern ein politisches Ereignis ausschlaggebend für den Kalenderanfang. Der Hintergrund: im März (das lateinische Wort Martius leitet sich vom römischen Kriegsgott Mars ab) begann erneut die Kriegssaison. Das Land gab wieder Ertrag ab um Truppen zu versorgen, die Meere waren ruhiger für die Flotte, Winterlager wurden obsolet. Eben jener römischen Zählweise, die mit dem März beginnt, haben wir auch die Monatsnamen mit Zahlenwert zu verdanken: September, Oktober, November, Dezember. Diese waren früher tatsächlich der siebte, der achte, der neunte, und der zehnte Monat. Der Februar war demnach der letzte Monat, welchem in Schaltjahren ein Tag angehängt wurde. Letztere Tradition führen wir ebenfalls bis heute fort, obwohl dieser Monat mitten im Jahr liegt.

Die Republik Venedig hat im Übrigen als einziger größerer Staat diese Tradition des altrömischen Stils bis zu ihrem Untergang durchgehend beibehalten – bis 1797.

Wenn es einen altrömischen Stil gab, dann auch einen neurömischen. Es ist jener, der am 1. Januar beginnt, da die Konsuln nicht mehr im März, sondern im Januar ihr Amt antraten (ab dem Jahr 153 v. Chr.). Dieser Stil war im alten Rom demnach schon in Gebrauch. Die Saturnalien – eine Mischung aus Karneval und Weihnachten (hier im Sinne von: üppige Mahlzeiten und Geschenke) zum Jahresende – können als Vorläufer der ausgelassenen Silvesterfeiern gelten. Diese Form des Jahresbeginns existierte demnach also schon im Römischen Reich – mit der Annahme des Christentums und dessen prägender Wirkung für das Reich und den Mittelmeerraum bekam dann allerdings Weihnachten und Ostern eine viel größere Bedeutung.

Dass sich Weihnachten durchsetzte, hing nicht zuletzt damit zusammen, dass Ostern ein wanderndes Fest ist, und weit weniger griffig ist. Das hat aber einige Staaten nicht davon abgehalten, diese Datierung zu übernehmen, was bis heute vielen Chronologen Kopfschmerzen bereitet.

Damit hing zum Beispiel in Frankreich eine Festsetzung auf den Jahreswechsel am 1. April zusammen, um ein festes Datum zu erlangen. Als man in der Frühen Neuzeit in Frankreich – wie in vielen Ländern Europas – wieder zum 1. Januar überging, bekamen das in Frankreich nicht alle mit, insbesondere die Landbevölkerung, die weiterhin nach dem 1. April datierte. So konnte man den Pöbel „in den April schicken“, heißt, sich über ihn lustig machen, da man diese mit den Daten verwirren konnte. Bis heute bewährt es sich, am 1. April Dinge zu behaupten, die unwahr sind, um jemanden an der Nase herumzuführen.

Ein weiteres, wichtiges Datum war der 25. März, Mariä Verkündigung. Dieser Termin erfreute sich neben Weihnachten größter Beliebtheit, so in England, Schottland, Pisa und Florenz. Aber auch hier gibt es einen Trick: so gab es einen Calculus Florentinus und einen Calculus Pisanus. In Florenz begann das neue Jahr 3 Monate nach Weihnachten, der Calculus Pisanus begann 9 Monate vor Weihnachten. Was das für Folgen hatte, kann man sich vorstellen: beide Städte waren nur wenige Meilen voneinander entfernt, rechneten aber in verschiedenen Jahren. Wenn man jetzt noch weiß, dass Pisa und Florenz Todfeinde waren, kann man es ein Prinzip nennen. Viele andere toskanische Städte (Lucca und Siena) und die römische Kurie folgten der pisanischen Rechnung, andere der florentinischen. Die unzähligen Kriege verschiedener italienischer Allianzen in dieser Region wurden demnach auch auf dem Gebiet der richtigen Zeitrechnung ausgefochten, sodass es vorkam, dass man alle 20 Meilen entfernt ein anderes Jahr haben konnte.

In der orthodoxen Welt – vor allem Byzanz und Russland – feierte man den Jahreswechsel am 1. September. Dieser galt nach den Berechnungen griechischer Gelehrter als  Tag der Schöpfung der Welt. Die Byzantiner rechneten im Übrigen auch nach Schöpfungsjahren, nicht nur nach Christi Geburt, weshalb diese Rechnung in diesem Zusammenhang ebenfalls Sinn ergibt.

Mit wenigen Ausnahmen hatte sich der 1. Januar bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts als Neujahr wieder fest etabliert und den vorherrschenden Weihnachtsstil abgelöst: in Deutschland und Frankreich in der Renaissance, auf den Britischen Inseln und in Russland in der Aufklärung. Offiziell nannte – und nennt – man die Zählung nach dem 1. Januar Circumcisionsstil, nach dem 25. März Annunziationsstil, nach Ostern Paschalstil, nach Weihnachten Nativitätsstil, da sie jeweils ein Ereignis aus dem Leben Christi abbilden: Beschneidung, Verkündigung, Auferstehung und Geburt der zentralen Figur, die im Umfeld Alteuropas bestimmend war für die dortige Gedankenwelt.

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