Niccolò Machiavelli ist heute ein Name, den man mit unmoralischer, skrupelloser und allein auf Machterhalt fixierte Politik assoziiert. Grund dafür war insbesondere ein Werk: Il Principe, „Der Fürst“, ein kleines Büchlein, dass er heute auf den Tag genau vor 500 Jahren beendete, und diese Botschaft per Brief an seinen Diplomatenkollegen Vettori weitergab.
Ich will an dieser Stelle nicht zu sehr auf den Inhalt eingehen, der von Generationen selbsternannter Theoretiker, Philosophen und Politiker zur Genüge aufgeflochten wurde. Der Principe ist kostenlos nachzulesen, so man sich die Mühe machen will. Parolen, wie dass es besser sei, gefürchtet denn geliebt zu werden, und dass man bei der Eroberung einer Stadt nicht nur die Elite, sondern auch die Freunde der Elite und deren Freunde vernichten solle, sind legendär. Der Spruch, dass jeder nur den Schein sehe, aber keiner das Sein, ist bis heute so wahr wie kein anderer.
Man hat Machiavelli ob seines Büchleins dämonisiert. Wenn man von der Welt gehasst werden will, muss man viele Wahrheiten aneinanderreihen und sie auf weniger als hundert Seiten niederschreiben. Genau das tat Machiavelli, indem er unausgesprochene Wahrheiten nüchtern erörterte und auflistete. Nicht edel, ritterlich und barmherzig musste man als Fürst sein, um Erfolg zu haben – sondern listig und grausam. Das war unerhört. Nicht, weil Machiavelli an irgendwelchen moralischen Gerüsten rüttelte – welche hätte es denn noch im Italien der Renaissance geben sollen? Etwa Rom, wo die Borgia noch vor wenigen Jahren nicht nur die örtlichen Adligen in Furcht versetzt hatten, der Papst sich Konkubinen hielt, und in Luxus lebte? Der Ketzerprediger Savonarola, der sich in Florenz – eine Generation vor Luther! – gegen all dies aufgelehnt hatte, war auf dem Scheiterhaufen geendet. Und politische Moral spielte im Zeitalter der Italienischen Kriege, wo man im Jahreswechsel munter seine Verbündeten aussonderte und neue verschaffte, sicherlich ebenso keine Rolle.
Der Aufschrei war jener der Mächtigen, weil Machiavelli diesen schonungslos den Spiegel vorhielt. Machiavelli war zuvor über ein Jahrzehnt einer der wichtigsten Politiker von Florenz gewesen. Er bekleidete im Zeitraum von 1498 bis 1513 die höchsten Würden, und verhandelte bei Papst, Kaiser und französischem König für die Republik. Machiavelli selbst war überzeugter Republikaner – der bei Freund und Feind für seinen Zynismus und Sarkasmus bekannt wie gefürchtet war. Darüber hinaus zeigte er Ambitionen als Poet – in seinen Gedichten spottete er über die italienische Politik, kleidete das aber in höchste lyrische Künste, was die Satire verdoppelte – und Dramatiker.
Kaum verwunderlich, dass Machiavelli Komödiendichter war. Die hohe Politik und den Niedergang Italiens konnte man damals nur mit Humor ertragen, wenn man einigermaßen intelligent war.
Machiavelli stürzte 1513 in ein tiefes Tal. Seine geliebte Republik wurde von der Medici-Dynastie abgeschafft. Deren Vertreter ernannten sich zu den neuen Herren von Florenz. Einstige Amtsträger wurden des Verrats bezichtigt, gefangen gesetzt, ihrer Ämter enthoben und gefoltert – darunter auch Machiavelli. Der musste sich auf sein Landgut zurückziehen und sollte nie wieder politische Würden bekleiden. Nicht nur, weil er auf Kriegsfuß mit den Medici stand. Selbst wenn er es versucht hätte, so gehörte Machiavelli keiner großen Familie an. Weder wohlhabend, noch einflussreich… hatten die Medici keine Verwendung für ihn. In einer Republik hatte er sich hocharbeiten können, in einer Monarchie musste er dasselbe Dasein fristen wie jeder andere Mann der Mittelschicht, der keinen Kontakt zur herrschenden Sippe hatte.
Wenn daher einige behaupten, der Principe sei entstanden, um diesen den Medici zu widmen, und wieder in den Kreis der Auserwählten zu gelangen, irrt. Machiavelli war nur ein halbes Jahr vor der Vollendung noch gedemütigt und gefoltert worden. Warum sollte gerade er, der passionierte Republikaner, Verehrer des alten Roms und Gegner des Klientelsystems der Medici sich diesen anbiedern? Vielmehr ist „Der Fürst“ eine Parodie, eine Persiflage auf eben jene Methoden, welcher sich die Medici (als Päpste und als Stadtherren von Florenz) bedienten, um die Republik abzuschaffen, der Machiavelli selbst angehört hatte. Wer Machiavelli und den Fürsten als Ausguss realpolitischer Machtgelüste interpretiert, hat weder das Buch, noch den Autor verstanden.
Die Hauptwerke Machiavellis, die Geschichte von Florenz und die Discorsi, geben Einblick in Machiavellis wahre Gedanken. Der perfekte Staat ist keine Machtkonzentration, keine Monarchie, kein Fürst. Die beste Staatsform ist eine Republik, weil dort der Mann dem Titel Glanz verleiht, nicht der Titel dem Manne Glanz; und weil in der Republik die Tugend geschätzt wird, während man sie in der Monarchie fürchtet. Die Monarchie bedeutet Günstlingswirtschaft, Korruption, Stagnation – die Republik dagegen ist eine Leistungsgesellschaft, eine Meritokratie, welche der Aufsteiger Machiavelli als Ideal empfand. Süß ist es, für das Vaterland zu sterben, wenn dieses frei und gut regiert ist.
Gerade deswegen ist der Fürst ein Buch, das es heute mehr denn je zu lesen gilt. Nicht nur, weil man die grundlegenden Prinzipien der Macht versteht – sondern weil dieses Buch eine Warnung ist. Eine Warnung an alle Republikaner, an alle Tüchtigen, an alle, welche die Freiheit lieben. Machiavellis Botschaft: Lest den Principe, denn das sind die Methoden der Mächtigen, welche die Republik vernichten. Versteht, wie die Monarchie funktioniert, um euch dagegen zu wehren. Die Modernität des Principe findet sich nicht darin, die Methoden der Macht zu studieren – sondern Schlüsse für unsere Gegenwart zu ziehen, in welcher wir beobachtet, bevormundet, kontrolliert und erniedrigt werden, so, wie es dem Florentiner vor 500 Jahren wiederfuhr.
Machiavellismus steht heute für skrupellose Politik. Der Begriff ist das Werk der Mächtigen, welche es schafften, den Querdenker zu diffamieren, und sein Werk völlig anders darzustellen, als es gemeint ist. So schrieb Friedrich II. von Preußen im 18. Jahrhundert einen „Anti-Machiavell“. Friedrich behauptete, dass Machiavelli irre, der Fürst nicht durch Furcht, sondern Liebe des Volkes herrschen, und auf Tugend sowie Dienst am Vaterland bauen müsse.
Nur wenige Tage nach der Thronbesteigung sollte Friedrich II. Österreich überfallen, um Schlesien zu erobern. Wieder hatte der Schein über das Sein gesiegt – wird doch noch in weiten Teilen Deutschlands dieser Mann immer noch als „der Große“ tituliert, indes Machiavelli als Tyrannenfreund gilt.