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Von den rund 50 Millionen Einwohnern Myanmars bekennen sich drei Millionen zum Christentum – rund sechs Prozent. Die meisten sind Protestanten. Ihre Wurzeln reichen ins 19. Jahrhundert zurück. 40 Jahre lang wirkte der US-Baptistenmissionar Adoniram Judson im damaligen Birma. Während sich die buddhistischen Birmanen – die noch heute als tonangebende Ethnie in Myanmar eine ähnliche Stellung innehaben wie die Perser im Iran – als resistent gegenüber der Mission erwiesen, konvertierten insbesondere die animistischen Minderheiten. Im Chin-Staat bekennen sich heute 85 Prozent der Einwohner zum Christentum, im Kayah-Staat sind es 45 Prozent, im Kachin-Staat 33 Prozent. Alle diese Bundesstaaten befinden sich an der Peripherie des Landes, verfügen aber über geostrategische Bedeutung. Sie besitzen wichtige Rohstoffe und Zugänge zu den Nachbarländern Indien, China und Thailand.
Myanmars Diversität ist zugleich sein Verhängnis. Seit seiner Unabhängigkeit 1948 leidet der Vielvölkerstaat unter separatistischen Tendenzen, die die Hegemonie der buddhistisch-birmanischen Elite nicht dulden. Ethnische und religiöse Konflikte, sowie der Zangengriff zwischen den Milliardenländern Indien und China rückten das Militär in die Position des Garanten von innerer Stabilität und äußerer Unabhängigkeit – zum Preis einer jahrzehntelangen Militärdiktatur und einer repressiven Abschottungspolitik, in der die kurze Demokratisierungsphase unter Suu Kyi nur wie ein Schmetterlingsschlag in der Geschichte wirkt. Während über das Schicksal der Rohingya weltweit berichtet wurde, haben Assimilationsdruck, Verfolgung, Zwangsarbeit und Vertreibung bei Minderheiten wie den Chin, den Karen, den Shan oder den Kachin kaum eine Rolle gespielt. Die Repressionen, die den birmanischen beziehungsweise myanmarischen Staat homogenisieren und damit stärken sollten, führten stattdessen seit 1962 zu zahlreichen Aufständen in der Union.
Die neuerliche Machtergreifung des Militärs deutet eine Wiederholung der Geschichte an. Die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet spricht von einer „multidimensionalen Menschenrechtskatastrophe“ und der Möglichkeit eines „größeren Bürgerkriegs“. Indes dienen Ressentiments und Repressalien gegen ethnische und religiöse Minderheiten der Machtabsicherung. Rund 200.000 Menschen, so Bachelet, seien aus ihren Heimatorten vertrieben worden. Dazu zählen auch mehr als 10.000 zumeist christliche Karen. 2000 von ihnen flüchteten nach einer Militäroffensive über die Grenze nach Thailand. Am 24. Mai, dem Pfingstmontag, beschoss die Armee die Herz-Jesu-Kirche in Kayanthayar im Kayah-Staat, in der sich 300 Menschen in Schutz gebracht hatten. Vier Menschen wurden getötet, acht verletzt. Tags zuvor hatte das Militär im Shan-Staat die Kathedrale von Pekhon beschossen. Im Chin-Staat verhafteten dagegen Rebellen der „Chinland Defence Forces“ einen Pfarrer und einen Katecheten, weil diese angeblich mit dem Militär kollaborierten. Open Doors listet Myanmar mittlerweile auf Platz 18 der Länder, in denen Christen verfolgt werden.
Kardinal Charles Maung Bo, Erzbischof von Yangon und Vorsitzender der Bischofskonferenz von Myanmar, gilt als das Gesicht der etwa 750.000 Katholiken in Myanmar – und befindet sich in einer prekären Situation. Kurz nach dem Putsch richtete er einen Friedensappell an die Militärregierung und die Weltöffentlichkeit und sprach auch die inhaftierte Suu Kyi an: „Sie werden immer die Stimme unseres Volkes sein. ( ) Sie sind die Mutter der Nation. Die Wahrheit wird sich durchsetzen.“ Das gute Verhältnis zwischen Bo und Suu Kyi, sowie sein Einstehen für die Demokratie („Frieden ist der einzige Weg. Demokratie ist das einzige Licht auf diesem Weg.“) könnten den Katholiken im Land noch zum Verhängnis werden: der Vorwurf der Parteilichkeit steht im Raum. Andererseits haben Katholiken unter einer neuerlichen Militärdiktatur kaum Perspektiven. Unter den Vorgänger-Regimen waren der Import von Bibelübersetzungen und die Einreise von Missionaren verboten. Religiöse Schriften unterstanden der Kontrolle und der Zensur. Mitglieder religiöser Organisationen mussten sich von der Regierung registrieren lassen. Der Bau von Kirchen wurde erschwert oder verboten.
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