[…]
Im Gegensatz zur christlichen Liebe ist die italienische Einheit ein weltliches Ding, das überdies nie die Konkurrenz unter den Kommunen beseitigen konnte. Das zeigt sich auch an der letzten Lebensstation Ravenna, das im Schatten seiner spätantiken Attraktionen den Dichter nur selten ins Rampenlicht rückt – vielen Touristen ist das Dante-Grab in der Nähe der Basilika San Francesco sogar unbekannt, wenn sich nicht Verehrer, Gelehrte oder Schülergruppen vor dem kleinen Grabtempel versammeln. Ravenna hat nicht geknausert und stellt 13 Ausstellungen in Aussicht, dazu Symposien und Lesungen, Konzerte mit spätmittelalterlicher Musik oder auch Aktionen wie die im Winter zu lesenden Leuchtschriften über den Straßen im Stadtzentrum, die Dante-Verse rezitieren.
Es sind Feierlichkeiten, die dem Geburtsort Florenz bis heute einen Dolch ins Herz treiben – der berühmteste Florentiner liegt im Exil, das gewaltige Marmorkenotaph im Nationalheiligtum Santa Croce bleibt leer. Zum siebenhundertsten Mal werden die Florentiner daran erinnert, zum siebenhundertsten Mal regiert der Gedanke, Dante endlich heimzuholen. Ravenna hat sich stets gewehrt: es verweigerte sich, als Dantes Ruf wieder in Florenz restituiert wurde; es verweigerte sich, als der Medici-Papst Leo X. im Jahr 1519 verfügte, dass die Gebeine überführt werden sollten; und es verweigerte sich, als Ähnliches nach der Gründung des Nationalstaates geschehen sollte. Ravenna beharrte darauf, dass Dante seinen letzten Ruheort selbst gewählt hatte – und ließ die Gebeine verschwinden, wenn Delegationen anklopften.
[…]