„Unsere Parlamente sind müde“

17. Januar 2021
Kategorie: Freiheit | Machiavelli | Medien

Herr Bender, seit Beginn der COVID-Krise kommunizieren Länderchefs und Kanzlerin verstärkt in einer Form, die man als „de-facto Gremium“ bezeichnen kann – und das weitreichende Entscheidungen trifft. Wie ist das verfassungsrechtlich zu bewerten?

Dieses „Gremium“ ist in der Tat nichts weiter als eine Telefonkonferenz, an der neben den infektionsschutzrechtlich eigentlich zuständigen Regierungschefs der Länder auch die Bundeskanzlerin teilnimmt. Als (Verfassungs-)Organ ist es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht vorgesehen. Im Infektionsschutzgesetz des Bundes findet sich zwar eine neu eingefügte Regelung, wonach im Fall einer Überschreitung eines Schwellenwertes von Neuinfektionen „bundesweit abgestimmte […] Schutzmaßnahmen anzustreben“ sind, diese geht jedoch rechtlich ins Leere, da kein Adressat dieser Pflicht genannt ist.

Ganz praktisch geht es darum, sogenannte „Alleingänge“ auf der Ebene einzelner Bundesländer zu vermeiden – was, wenn wir die Anti-Corona-Regelungen in Nordrhein-Westfalen und Bayern vergleichen, nur leidlich gut funktioniert hat. Dabei ist es sprachlich wie rechtlich zweifelhaft, von „Alleingängen“ zu reden, denn nach dem Infektionsschutzgesetz des Bundes sind die Länder abschließend ermächtigt, durch Rechtsverordnungen Ge- und Verbote zur Pandemiebekämpfung zu erlassen. Es wird einem „Pandemie-Zentralismus“ das Wort geredet, der im bundesstaatlich orientierten Grundgesetz keinen Halt hat.
Ein weiteres Beispiel für diese unheilvolle Tendenz: Bei den ersten Tagungen dieser Art dominierte der Begriff „Ministerpräsidentenkonferenz“ die Schlagzeilen und den politischen Alltag. Seit Ende letzten Jahres liest und hört man fast nur noch von „Bund-Länder-Konferenzen“ und allerorts wird ihr Output hochtrabend als „Bund-Länder-Beschlüsse“ präsentiert. Der Bund ist gewissermaßen ins Scheinwerferlicht gedrängt worden – von welcher Ebene auch immer. Hier deutet sich an, dass mit der semantischen auch eine symbolisch-systemische Verschiebung eingesetzt hat.

Das ganze Gespräch bei der Tagespost.

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