Der „Cavaliere“ war jahrelang das bestimmende Gesicht italienischer Politik. Mit seiner Verurteilung 2013 begann der tiefe Fall. Nun mehren sich Indizien, dass Berlusconis Verurteilung politisch motiviert war. Könnte der viermalige Ministerpräsident rehabilitiert werden – um anschließend den europapolitischen Kurs von Giuseppe Conte zu stützen?
Piero Sansonetti ist sicherlich nicht das, was man einen Berlusconi-Fan nennen kann. Der Chef des linksliberalen Riformista lernte das Journalistenhandwerk bei der legendären Unità und war 2004 bis 2009 federführend bei der Liberazione – den kommunistischen Vorzeigeblättern Italiens. Fausto Bertinotti, Gewerkschaftsführer und kommunistisches Urgestein, hat er mitgenommen und schreibt beim Riformista als Kolumnist. Das Blatt hat eine Auflage von circa 15.000 Exemplaren und wirkt damit wie ein Zwerg gegen die Schlachtschiffe Repubblica und Corriere della Sera. Doch Sansonetti und der Riformista spielen eine Schlüsselrolle in einer Affäre, die zu einer politischen Bombe werden könnte.
„Das Urteil gegen Berlusconi war falsch“ steht am 30. Juni auf dem Titelblatt. Am Abend davor ist Sansonetti in der Talkshow Quarta Republicca auf Berlusconis Fernsehsender Rete 4 eingeladen. Dort wird er deutlicher: „Das ist ein Komplott, kein Zweifel.“ Belege? Da gibt es zuerst einen Audio-Mitschnitt von Amedeo Franco, der dem Richterkollegium angehörte, dass den Mailänder Medienzaren zu vier Jahren Haft verurteilte. In einem Gespräch mit Berlusconi äußerte er sich über den zurückliegenden Prozess. Nach Francos Aussagen war das Urteil ein abgekartetes Spiel, das „von oben“ beeinflusst wurde. Als er den Urteilsspruch nicht unterschreiben wollte, machte man ihm deutlich: „Berlusconi ist ein Schurke (mascalzone), er muss verurteilt werden, das ist die Wahrheit.“ Der Richter Antonio Esposito, der das Urteil sprach, sei erpresst worden, weil sein eigener Sohn wegen Drogendelikten belangt wurde. Auch der damalige Staatspräsident Giorgio Napolitano habe von dem falschen Urteil gewusst.
Zwar macht Franco in seinen Aussagen keinen Hehl daraus, dass er ein „Bewunderer“ Berlusconis sei, doch die Anwürfe gegen die Kollegen und den Staatspräsidenten sind so heikel, dass auch die großen italienischen Medien nicht um die Affäre herumkommen. Dazu gesellt sich ein weiterer Punkt, und der hat mit dem eigentlichen Urteil zu tun. Berlusconi wurde wegen Unregelmäßigkeiten bei einem Lizenzgeschäft verurteilt. Dabei seien Preise gefälscht worden: Sieben Millionen Euro wären am Fiskus vorbeigeschleust worden, weil Berlusconis Medienunternehmen viel weniger für amerikanische Filme bezahlt hätte, als diese preislich veranschlagt wurden. Die Differenz zwischen der bezahlten Summe und dem eigentlichen Preis wäre steuerlich unterschlagen worden. In einer jüngeren Untersuchung hat aber das Mailänder Gericht festgestellt, dass der Preis richtig war und es vermutlich keine Unregelmäßigkeiten gab.