Das Virus ist älter als gedacht

29. Februar 2020
Kategorie: Europa | Gemälde und Fotographereyen | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Italianità und Deutschtum | Linkverweis | Tichys Einblick

Der wichtigste Roman der italienischen Literatur sind die „promessi sposi“, die Brautleute. Früher musste jeder italienische Schüler dieses Werk von Alessandro Manzoni lesen. Die Geschichte spielt im 17. Jahrhundert, sie handelt wie so oft von zwei Liebenden, die ungewollt getrennt werden. Renzo und Lucia müssen allerlei Hindernisse bestehen, weil der Feudalherr ihre Heirat verhindern will, bis sie zuletzt doch noch glücklich heiraten können. Die „promessi sposi“ sind aber nicht nur ein Bildungsroman, der die italienische Standardsprache von heute maßgeblich beeinflusste; sie sind zugleich ein Historienroman, der in seiner präzisen Darstellung ein Novum war. Eines der berühmtesten Kapitel beschreibt die Pest des Jahres 1630 in Mailand. Goethe ließ sich trotz der guten Rezension des Buches dazu hinreißen, Manzoni für das „umständliche Detail“ bei Dingen „widerwärtiger Art“ zu kritisieren. Die Pestdarstellung, die als ein Glanzpunkt italienischer Prosa gilt, wollte der Dichterfürst in einer deutschen Übersetzung getilgt wissen.

Mailand ist heute auch der Sitz der Brera, jener italienischen Galerie, in welcher der „Kuss“ von Francesco Hayez ausgestellt wird, der als einer der berühmtesten Beiträge italienischer Malerei des 19. Jahrhunderts gilt. Er hat vielerorts Einzug in die Popkultur gefunden oder wird als Kitsch vermarktet. Hayez Abschied zweier Liebenden gilt oftmals als malerische Umsetzung von Manzonis Werk. Ein gefundener Ansatzpunkt für den Spott der Italiener, die das Motiv aufgriffen: mit Mundschutz und Desinfektionsmitteln als StreetArt.

Mailand nimmt heute eine wichtige Stellung beim Ausbruch der Corona-Epidemie in Europa ein. Die Millionenmetropole liegt unweit der „roten Zone“ von Codogno-Castelpusterlengo, die am Wochenende von der Außenwelt isoliert wurde. Ein Übergriff auf die lombardische Hauptstadt könnte eine Kettenreaktion in Gang setzen. Ein Ausmaß wie die von Manzoni beschriebene Pest dürfte sie nicht haben. Das Chaos allein dürfte jedoch die Vorstellungskraft der Gegenwart sprengen. Die Vergangenheit kannte die Krisen aus Dürre, Hunger und Seuche besser als der Zeitgeist.

Bei Tichys Einblick geht es weiter.

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