Italien: „Es ist, als wären wir in Wuhan“

23. Februar 2020
Kategorie: Europa | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Linkverweis | Medien | Mittelalter | Regionalismus | Tichys Einblick | Venedig

Das italienische Kulturgedächtnis hat einen besonderen Nerv für Epidemien. Die Pestwellen Europas nahmen oftmals von den italienischen Häfen ihren Ausgang. Venezianische und genuesische Händler brachten Krankheiten aus dem Orient und den Steppen Asiens in das Herz des Kontinents. Die Gefahr schärfte das Bewusstsein. Vierzig Tage lang verwehrten die Venezianer seuchengeplagten Schiffen den Zugang zu ihrer Stadt. Im venezianischen Dialekt bezeichneten sie die vierzigtägige Periode als quarantena, aus dem sich im Deutschen das Wort „Quarantäne“ bildete.

Ab dem 15. Jahrhundert errichtete das Lagunenvolk auf der Insel Lazzaretto ein Spital, um dort die Pestkranken einzuquartieren. Ähnliches unternahmen die Venezianer in ihren Kolonien Korfu und Ithaka, wo zwei vorgelagerte Inselchen als „Lazarett“ dienten. Das Ringen mit der Pest und der glückliche Sieg über die Krankheit manifestiert sich nirgendwo so plastisch wie in der Kirche von Santa Maria della Salute, deren gewaltige Kuppel das Ende des Canal Grande überragt. Salute, das heißt Heil, das heißt Gesundheit. Die Venezianer hatten der Madonna ein neues Gotteshaus versprochen, sollte sie die Plage von der Stadt nehmen. Seit 1631 findet jährlich am 21. November eine Prozession statt, um für das Ende der Pest zu danken – bis heute.

Vielleicht ist es Zufall, dass Italien heute wieder Endpunkt der von Peking anberaumten „Neuen Seidenstraße“ sein soll. Und womöglich ist es auch Zufall, dass das erste Opfer des neuen Coronavirus COVID-19 ausgerechnet im venetischen Padua der Krankheit erlag, also nur wenige Kilometer von der einstigen Handelsmetropole entfernt, deren Umgang mit der Pest bis heute das Seuchenvokabular Europas prägt. Andererseits sollte es wenig verwundern, dass gerade der Tourismusmagnet Venedig ein Auslöser für den Seuchenherd in Venetien gewesen sein könnte. Das kleine Städtchen Vo‘ zu Füßen der Euganeischen Hügel im Grenzgebiet zwischen den Provinzen Padua und Vicenza besitzt derzeit die gesamte Aufmerksamkeit der Republik. Rund 3.300 Leute leben dort. Sie stehen heute allesamt unter derselben Quarantäne wie ihre Landsleute vor Jahrhunderten.

Der andere – größere – Teil der Blockierten lebt in der Lombardei. In der Provinz Lodi, südlich der Millionenmetropole Mailand und in der Nähe der beiden großen Provinzstädte Cremona und Piacenza, herrscht gleich in zehn Gemeinden Ausgangssperre. Ihre Namen: Codogno, Castiglione d’Adda, Casalpusterlengo, Fombio, Maleo, Somaglia, Bertonico, Terranova dei Passerini, Castelgerundo e San Fiorano. Sie bilden ab jetzt eine „rote Zone“. Die Kleinstadt Codogno hat 16.000 Einwohner und ist damit der größte betroffene Ort. Die Züge halten hier nicht mehr, Schulen und Behörden bleiben geschlossen, öffentliche Veranstaltungen wurden abgeblasen. Die Restaurants und Bars sind leer. Selbst die Sonntagsmesse fällt aus. „Es ist, als wären wir in Wuhan“, sagt ein Einwohner gegenüber einem Reporterteam von RAI. Straßen und Gassen sind ausgestorben. In Casalpusterlengo laufen die Leute mit Atemschutzmasken in den Supermarkt, um sich für die kommenden Tage zu rüsten.

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