Causa Rentzing

16. Oktober 2019
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Freiheit | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Ironie | Machiavelli | Medien | Non enim sciunt quid faciunt | Tocqueville | Über die Demokratie in Deutschland

Wir leben in einer Epoche, in der ein Mittagessen mit einer persona non grata zur gesellschaftlichen Ächtung und Stellenverlust führen kann, oder das Veröffentlichen unzeitgemäßer Schriften dazu führt, dass man in die hinterste Ecke der Frankfurter Buchausstellung verdammt wird. Wir sind wieder bei Tocqueville, wieder bei der Gesellschaft der gleichen, der mittelmäßigen Demokratie, in der nicht mehr der leibliche Tod, sondern der gesellschaftliche Tod die Bestrafung ist.

Carsten Rentzing ist ein evangelischer Bischof aus Sachsen. Sein Verbrechen: er hat genau das thematisiert, vor dreißig Jahren. Er hat jene Demokratiekritik geäußert, wie wir sie von Tocqueville kennen – und damit nicht genug, er stellt an den Anfang eines seiner Texte sogar ein Tocqueville-Zitat. Dass die gesamte konservative Demokratiekritik keine „rechtsextreme“ oder „anti-demokratische“ Angelegenheit ist, sondern ihren festen Platz in der politischen Literatur seit der Antike an hat, wird nicht nur verschwiegen – es wird geleugnet.

Nicht Rentzing, sondern Tocqueville gälte es anzuklagen. Das würde aber heißen, dass diejenige Gesellschaft, die Tocqueville als Dystopie vor 150 Jahren ankündigte, die Schriften ihres Propheten lesen müsste, sich wiedererkennen würde, vielleicht sich selbst Fragen stellen müsste; dies wird nicht geschehen. Sie werden weiterhin die Boten schlachten, bis sie an politischen Instituten den Tocqueville, den Machiavelli, den Hobbes oder den Polybios vergessen machen. Generationen von Studenten und Dozenten, die sich auf diese Schriften bezogen haben und heute noch beziehen, werden als rechtsextreme Schläfer abgekanzelt; ihre geistigen Väter dagegen werden nicht zensiert. Desinteresse und Schweigen sind größere Feinde der Literatur als der Skandal.

Die Demokratie in ihrer unantastbaren Heiligkeit will ihre Fehler nicht sehen. Das Wissen um ihre Fehlerhaftigkeit hat sie erhalten; ihre Stilisierung wird dagegen ihr Untergang sein. Nicht der rechte Mob, sondern die Laster der Völker, der tägliche Exzess, die tägliche Tumbheit, das tägliche Unvermögen, die tägliche Faulheit, die tägliche Gedankenmüdigkeit, die tägliche Sehnsucht nach Gleichheit und Bequemlichkeit, statt Freiheit und Tüchtigkeit – das ist ihr Tod.

Was Rentzing in seinen „umstrittenen“ Texten tut: er stellt sich in die Kontinuität dieser Denker. Die Wahrheiten der Kirche sind größer als der universalistische Liberalismus und seine Relativismen. Und wenn er in diesem Kontext Spenglers „Untergang des Abendlandes“ zitiert, wird das nicht etwa als Kontinuität des Degenerationsgedankens gesehen, den wir seit Polybios kennen, sondern natürlich als Ausweis dafür, ein Neuer Rechter sein zu müssen. Dabei ist Rentzing in seinen Schriften deutlich: keine Revolution, sondern stetes Beharren.

Der Streit um Rentzing geht daher tiefer. Er offenbart die grundsätzliche Unvereinbarkeit von Christentum und Liberalismus, ein Gegensatz, den man längst überwunden glaubte. Der christliche Gedanke von Endzeit, Wahrheit und Beharren bis zur Erlösung verträgt sich nicht mit ewig voranschreitendem Weltgeist und der Erfüllung in Demokratie und „anything goes“. Auch das mag man als demokratiefeindlich ächten. Allerdings ist dann auch die Bibel ein demokratiefeindliches Buch.

Man kann in diesem Land die Schulpflicht brechen oder die Berliner Innenstadt lahmlegen und erntet dafür den Respekt der Regierung. Aber wehe, Sie scheren aus dem Meinungskonsens aus. Dann wird Ihnen ein Vortrag von vor fünf Jahren in der Bibliothek des Konservatismus zum Verhängnis, wo sich – oh Schreck! – Konservative treffen. Auf der Facebookseite des Instituts lesen wir:

„Es ist unseres Wissens das erste Mal, daß ein Referent für einen Vortrag in unserem Haus zur Rechenschaft gezogen werden soll. Es handelt sich hierbei um eine fatale Grenzüberschreitung, die mit der Rede- und Meinungsfreiheit, die selbstverständlich auch ein kirchlicher Amtsträger genießt, nicht in Einklang zu bringen ist.“

Die Frage bleibt daher: wie lange hält es diese Gesellschaft noch aus, jahrhundertealte Autoren ertragen zu müssen?

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