Alles ist eitel

30. September 2019
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Freiheit | Ironie | Italianità und Deutschtum | Medien | Non enim sciunt quid faciunt | Persönliches

Drei Wochen in Italien, und kaum kehrt der Löwe zurück, glaubt er sich nicht nur in einem anderen Land – nein, es ist ein anderer Kontinent, eine andere Zivilisation. Südlich der Alpen redet man über die neue Regierung, die Gefahren der neugeöffneten Migrationsschleusen, die Gefahren der deutschen Rezession, die Gefahren durch den Iran, die Gefahren (und Chancen) durch die Chinesen; es ist die Kontinuität politischen Geschehens in den Eckdaten, wie wir sie seit dem 19. Jahrhundert kennen.

Hier dagegen, so hat es den Anschein, diktiert ein schwedisches Mädchen das Tagesgeschäft, lädt zur Zeremonie und nimmt den Kotau der Welt entgegen; zelebrieren die Medien aus reiner Sympathie eine ökologische Ideologie samt ihrer Vorsteher; werden Kinder unter Druck gesetzt zu demonstrieren und Verwaltungsangestellte dafür freigestellt; werden SUVs im Namen der guten Sache abgefackelt und damit Kinder, Mütter und Behinderte in Gefahr gebracht; wird die S-Bahn von Linksextremen lahmgelegt, während immer noch die Angst vor der Machtergreifung von Rechtsextremisten vorwiegt. Es ist ein verrücktes Land: ein Land, dass sich in bacchanalischer Ektase befindet. Es ist ein seltsames Völkchen, und es wird mir immer fremder. Spröde, mittelmäßig, beamtengrau und abgeklärt wie seine Kanzlerin – aber zugleich verzückt, davon überzeugt, einer großen, gewaltigen Sache zu dienen. Man spürt es förmlich auf der Straße, diese moralische, saugute Einstellung, dieses Bewusstsein, auf der richtigen Seite zu stehen, weswegen bereits a priori kein Schaden, kein Defekt, keine Kränkung von diesem irren Verhalten ausgehen kann.

Niemand von Bedeutung ist da, um den Finger zu erheben und zu sagen: die Party ist vorbei. Niemand von Gewicht stellt infrage, ob die Deutschen nicht neuerlich abheben. Täte es jemand, er wäre niemand mehr, dem man zuhören wollte. Gäbe es das Kind aus Andersens Märchen, man würde weghören. Stattdessen werden Monologen, die früher von Endzeitpropheten in der Fußgängerzone verkündet wurden, komplexe und intellektuell schwerwiegende Gedanken unterstellt.

Vor drei Wochen noch hätte meine Gattin keinen Gedanken daran verschwendet, ob sie ihr Auto in Berlin an jener oder dieser Ecke abstellen könnte. Wir wissen nicht, was in drei Wochen sein wird. Wir dachten, dass die hysterische Reaktion auf einen Tsunami am Ende der Welt der Deutschen ängstliches Meisterstück sei. Wir dachten, die milliardenschwere Euro-Rettung könne nur jemand zustimmen, der nie ein Sparschwein besessen hat. Wir dachten, dass der größte Gesetzesbruch – ohne Abstimmung mit Parlament oder anderen verfassungstechnischen Organen dieses Landes – und die millionenfache Aufnahme kulturfremder, leistungsschwacher Einwanderer den Wahnsinn zuletzt vor Augen führen müsste.

Nein, nicht die Deutschen – unsereins muss spinnen. Es muss ein genetischer Defekt sein. Ich fürchte mich weder vor dem Klimakollaps noch Nuklearstrom. Ich hasse weder SUV-Fahrer noch den politischen Gegner.* Politik ist eine Melange aus Gefühlen; die Absolutismen, die Menschen auf die Straße treiben, die Menschen in ihrer spirituellen Sinnsuche und -losigkeit zu Extremen treiben, zur Entmenschlichung, zur Gewalt – das bleibt mir alles fremd. Unsereins kann nur auf einen Emotionschip hoffen, der alsbald von unserer gütigen Regierung verordnet wird, damit ich so empfinden kann wie unsere linken Genossen. In der Anführerin postmoderner Kinderkreuzzüge mag ich nur ein krankes Mädchen erkennen, im amerikanischen Belzebub nur einen typischen Yankee und Geschäftsmann. Selbst meine Salvini-Sympathie kann sich der Ironie nicht entziehen, einfach, weil Salvini zu viel dessen aufspießt, was die Italianità im Guten wie im Schlechten ausmacht.

Diese ungeheuerliche Ernsthaftigkeit der Teutonen und ihre Liebe zu Absolutismen, diese preußisch-protestantische Pedanterie mag mir einfach nicht schmecken. Die Idee, dass dieses Mal die Welt im buchstäblichen Sinne genesen soll, weil man diese über ökologische Wahnideen retten will, obwohl die Welt kein zerbrechlich Ding ist, sondern die Natur grausam, unerbittlich, gewaltig – darin liegt ein ungeheuerlich faustisches Element, nämlich der Gedanke, der Deutsche allein könnte Gottes Schöpfung wieder in die Fugen bringen. Das ist mehr Anmaßung als das preußische Kaiserreich, mehr Herrschaftsanspruch als die Nationalsozialisten, mehr Weltrevolution, als die Kommunisten deutscher Prägung sich je erträumten. Wir, die ein Prozent, retten ein System, das wir im Grunde nicht verstehen und größer ist, als der Mensch. Was für ein Sündenfall.

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*Die Löwin würde hinzufügen: „Dafür Herfried Münkler.“

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