Dass Deutschland politisch, kulturell und mental fest im Würgegriff der grünen Ideologie ist – mit Sicherheit wenig überraschend. Wie so häufig bleibt mein Einspruch bestehen, dass eben jene Bewegung eine höchst germanozentrische Angelegenheit ist, die außerhalb eines bestimmten Kulturraums keine Rolle spielt – insbesondere, da selbst unter europäischen Grünen die Ideologie weit auseinanderdriftet; dazu aber an späterer Stelle mehr.
Die Heinrich-Böll-Stiftung hat auf ihrer europäischen Webseite eine Grafik hochgeladen, die solche konterrevolutionären Gedanken ad absurdum führen soll. Dort sehen wir eine starke grüne Bewegung in ganz Europa, in manchem Mitgliedsland stärker, im anderen etwas schwächer. Allerdings dürfte jedem Laien eine Besonderheit ins Auge springen – denn nicht etwa Deutschland ist Zentrum der grünen Bewegung, sondern Polen. Polen. Richtig gelesen.
Und spätestens hier beginnen die Merkwürdigkeiten.
Denn jeder, der sich nur vage mit der polnischen Politik beschäftigt, weiß, dass die Partia Zieloni, die ideologisch den deutschen Grünen in wenigen Angelegenheiten nachsteht, so gut wie gar keinen Einfluss in Polen hat. Weder im Sejm noch in den Landesparlamenten hat sie einen Sitz. Mit gerade einmal 550 Mitgliedern ist sie auch alles andere als eine ernstzunehmende Großpartei.
Des Rätsels Lösung: die Stiftung legt hier nicht das Einzelwahlergebnis an – das in Polen auf Nationalebene bei weniger als zwei Prozent liegen dürfte – sondern verrechnet die Stimmen der gesamten Listenverbindung, welcher die Kleinpartei angehört. Und zu dieser als „coalition“ ausgewiesenen Parteienunion gehören bei der Europawahl zufällig auch die Oppositionsparteien PO (Bürgerplattform), SLD (Bund der Demokratischen Linken) und PSL (Polnische Bauernpartei). Grafisch bauen dann die zweifelhaften Nachfolger von Heinrich Böll daraus eine 34 Prozent starke grüne Partei in Polen auf.
Ähnlich verhält es sich mit der grünlackierten Statistik in Spanien. Dort kommen die „Grünen“ (Equo) durch eine Koalition auf 16 Prozent. Sie treten mit dem linken Bündnis Podemos an, haben aber als Kleinpartei nur zwei Sitze im spanischen Parlament. Durch Podemos rangiert die Kleinpartei bei zweistelligen Ergebnissen, als Equo das letzte Mal alleine antrat, reichte es nicht einmal für einen Prozentpunkt. Ganz ähnlich schaut es im Nachbarland Portugal aus: da suggeriert die Parteistiftung der deutschen Grünen, dass ihre portugiesischen Weggefährten bei 9 Prozent lägen. In Wirklichkeit ist „Os Verdes“ wie die spanische Schwesterpartei eine marginale Erscheinung, die nur über ein Bündnis mit den Kommunisten überlebt. Zu mehr als zwei Sitzen reicht es auch hier nicht im Parlament.
Tatsächlich gibt es in Lettland eine starke grüne Bewegung – zumindest im europäischen Vergleich. Aber auch die in der Karte suggerierten 15 Prozent stimmen nicht, da neueste Umfragen die Union aus Grünen und Bauern (Zaļo un Zemnieku Savienība) nur noch bei 10 Prozent verorten. Und jetzt kommt der eigentliche Clou: diese „grüne“ Partei ist – wie der Name schon andeutet – nicht im ideologischen Lager der deutschen Grünen zu verorten, sondern eher konservativ und landwirtschaftlich orientiert; weswegen diese Partei auch nicht mit den Grünen, sondern als Teil der liberalen Fraktion (ALDE) im EU-Parlament sitzt. Warum aber führt die Böll-Stiftung dann diese Partei überhaupt auf? Weil diese – Sie konnten es sich vorher denken – natürlich ein Wahlbündnis ist, und demnach auch aus einer grünen Partei besteht. Aber könnten Sie sich vorstellen, dass die deutschen Grünen einmal dazu aufriefen, deutsche Tradition und Kultur zu ehren, um die eigene Identität zu behaupten? Kein Wunder, dass es die lettischen Grünen geschafft haben, den Regierungschef zu stellen.
Sehr ähnlich sieht es übrigens in Litauen aus, das wiederum von der Stiftung als grünes Niemandsland ausgezeichnet wird: offiziell haben die Grünen hier weniger als ein Prozent. Tatsächlich existiert aber auch hier eine Bauern- und Grünenunion, die konservativ ist. Sie erreicht derzeit 25 Prozent. Die sind aber offensichtlich den Mitstreitern aus Deutschland keine Erwähnung wert, weil die eigentliche grüne Partei in der Bedeutungslosigkeit versauert.
Apropos weniger als ein Prozent: überhaupt wäre es überlegenswert, ob man die Länder in Süd- und Osteuropa als grün auszeichnet, da sie hier gar keine Rolle spielen (besonders auffällig in Italien). Fairerweise müsste man dann allerdings auch die oben aufgeführten Länder dazuzählen. Allerdings würde die noble grüne Bewegung in Europa dann zu einer rein skandinavischen und zentraleuropäischen Angelegenheit zusammenschmelzen – und für eine Partei, die sich den europäischen Bundesstaat so gerne auf die Fahne schreibt, wäre es für das Selbstverständnis vielleicht alles andere als förderlich, wenn die grün-europäische Bewegung zuletzt nur eine vor allem von Deutschland geprägte Erscheinung ist.