Theresianischer Konservatismus contra friderizianischer Konservatismus

1. Februar 2019
Kategorie: Europa | Freiheit | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Italianità und Deutschtum | Machiavelli | Persönliches | Philosophisches

Vermutlich existieren nur zwei Angelegenheiten, die das Berliner Exil erträglicher machen: dazu gehört in erster Linie das Institut Philipp Neri, in zweiter Linie das Angebot politischen und intellektuellen Austauschs; zu letzterem zählt mit Sicherheit die Bibliothek des Konservatismus. Die gestrige Veranstaltung war ausverkauft, denn der Vortrag „Der Konservative und die Rechte – Ein gespanntes Verhältnis“ hat nicht nur inhaltlich einen Nerv getroffen, sondern mit dem Redner Karlheinz Weißmann Prominenz aufgefahren. Dass demnach in den Zuschauerreihen auch Persönlichkeiten wie Nicolaus Fest und Andreas Lombard zugegen waren, verwunderte wenig.

Gute Vorträge erkennt man aber nicht nur daran, dass man neue Erkenntnisse gewinnt, an alte Erkenntnisse erinnert wird und der Abend eher kurz- denn langweilig ausfällt – sondern auch daran, dass man genau weiß, wo die Ansichten von Redner und Zuschauer auseinanderdriften; luzide Vorträge neigen dazu, dass man die darin gestellten Fragen vielleicht anders beantwortet als der Vortrag selbst, und darin vorgestellte Konzepte deswegen in Frage stellt, weil sie einleuchtend sind, aber nicht gänzlich befriedigend.

Wie löst Weißmann nun die Frage, was rechts, was konservativ ist? Zuvor weist der konservative Ein-Mann-Thinktank darauf hin, dass sein Modell verkürzend ist, wohl wissend, dass eine weitere Differenzierung den Abend sprengen würde. Dass demnach seine Dreiteilung der Linken (Anarchisten, Kommunisten, Sozialisten), die Dreiteilung der Rechten (Völkische, Bonapartisten, Konservative) und seine Einteilung der Liberalen (die leider undifferenziert bleibt) zu kurz greift und mit Sicherheit noch einiges der Reflexion bedürfte, ist damit unstrittig; warum bspw. die die quantitätsmäßig völlig unbedeutende Gruppe der Anarchisten so eine große Rolle spielt, auf rechter Seite die Monarchisten hingegen fehlen, ist eine Frage, die sich nicht nur der Löwe an diesem Abend stellte.

Eine häufige Konstante an diesem Abend: in den großen Linien gab man Weißmann Recht, in den Details hingegen blieben die Unterschiede auffällig. Unstrittig, dass Linke (Gleichheit), Liberale (Freiheit) und Konservative (Ordnung) sich auf Grundwerte zurechtstutzen ließen, dass Linke von einem harmonischen Urzustand ausgehen, Rechte von einem organischen Ganzen, dass es zu bewahren gelte. Das kann man in diesen Zügen ohne Umschweife unterschreiben.

Wichtig auch die Feststellung, dass es sich bei den Gruppen innerhalb der Rechten um „Familien“ handelt, nicht etwa um eine Skala-Einteilung von moderat bis extrem. Das wird insbesondere deutlich beim Typus der Völkischen. Nach Weißmann sieht der Völkische im Volk das Zentrum, das es zu erhalten gilt, das Große Ganze, an dem sich alles orientieren muss. Überspitzt brachte Weißmann es so zum Ausdruck: alle Bretonen sind gute, anständige Menschen, und wenn erst einmal die Bretonen im Mittelpunt bretonischer Politik ständen, hätte man die Lösung parat; nur die schlimmen Franzosen machten alles kaputt. Spöttisch fügte der Vorträger hinzu, dass dieselbe Gruppe wohl auch politische Probleme mithilfe von Volkstanz und Volksmusik zu lösen vermögen.

Das Beispiel ist vielleicht auch deswegen so gewählt, um zu verdeutlichen, dass die Rechte von Grundkonzepten und Mentalitäten zusammengehalten wird, innerlich aber so divers ist, dass man nicht einfach von einer Gruppe in die nächste wechseln kann. Überspitzt gesagt: Mir käme es beispielsweise auch nach einer radikalen Zuspitzung der politischen Situation nicht in den Sinn daran zu glauben, dass das Deutsche im Grunde das anständigste aller Völker ist, so man es nur machen lässt, und die Dekadenz über Volkstum zu retten sei; nein, ich glaube nicht an die heilende Kraft von Dirndln und Haxen. Und wenn, dann habe ich mehr Hoffnung, dass die Venezianer wieder ihr Handelsimperium aufbauen, so man sie doch wieder zu See fahren lässt – im Übrigen eine Hoffnung, die angesichts des Zustands der Lagunenstadt und seiner Bewohner irgendwo gegen Null tendiert.

Dennoch gibt es eine ganze Vielzahl von Autoren, die kein anderes Thema haben als die bereits genetische Veranlagung der politischen Rechten, sich beim geringsten furor teutonicus in rasseidologische Wernazis zu verwandeln. Insofern ist es wohltuend, dass Weißmann nicht eine einfache „Linie“ postuliert, die je nach Fieberthermometer mal Schrebergartenbesitzer und Biedermeierspießer sind, und sich bei genügender Radikalisierung zuerst zu Bewunderern des Autoritarismus und anschließend zu Parteigängern des völkischen Gedankens wandeln. Die Begriffe „radikal“ und „extrem“ werden eingemottet.

Risse bekommt die Deutung jedoch, wenn man sich die Gruppen der Bonapartisten und Konservativen anschaut. Überhaupt ist es überdenkenswert, ob eine Gruppe der „Bonapartisten“ wirklich in der Familie der Rechten besteht, und das angesprochene Verständnis von Realpolitik von Thukydides an nicht vielmehr eine Einstellung, ja „Haltung“ ist, die dem Konservativen im Sinne der Staatsraison innewohnt. Wie schwierig die ganze Sache ist, wird daran deutlich, dass die Völkischen das Volk, Bonapartisten und Konservative aber den Staat als Grundelement ansehen. Das ist gleich aus mehrfacher Sicht fraglich: denn wenn Bonapartisten wie Konservative den Staat ins Zentrum rücken, wieviel Unterschied bleibt denn dann noch? Und weiter: ist der Staat wirklich das Zentrum der Überlegungen der Konservativen?

Was Weißmann richtig ausarbeitet, ist der hohe Stellenwert der Metaphysik, die der Konservative ihr zubilligt und ihn vom Volksverherrlicher wie linken Materialisten trennt. Die Folgerung, es sei nun „der Staat“ der als Prämisse diene, kam für Löwin wie Löwen bei der Veranstaltung überraschend; denn als das „große Ganze“ hatten wir vielleicht Kontinuität, Gott, Familie, Kultur erwartet – der Staat ist uns im Grunde egal, der das erhält. Dem Konservativen ist das Private heilig, nicht das Öffentliche. Ob die Deutschen überleben, erscheint nicht so wichtig, als dass Beethovens Musik, Dürers Malerei und der Kölner Dom es tun. Der Staat wird demnach ausgewählt, der dies am besten kann. Ich tauschte jeden Moment ein europäisches Imperium mit christlichem Kaiser und abendländischem Geist gegen dieses ökologisch nachhaltigste Deutschland aller Zeiten ein, weil die „Metaphysik“ in so einem Konzept sicherlich besser pulsierte als in der Merkelrepublik.

Der Nationalstaat ist demnach keine Konstante konservativen Denkens; er wird als Antwort des 19. Jahrhunderts weitergetragen, weil er damals eine wohl unvermeidbare Konstruktion war. Es gab genügend Rechte, die bis zuletzt erbittert an der Österreichisch-Ungarischen Monarchie festgehalten haben, für die nicht Nation, sondern der Kaiser sinnstiftend war. Soweit auch dazu, dass die traditionelle Rechte Mitte des 19. Jahrhunderts untergegangen sei und erst ideengeschichtliche Nachfolger zu Beginn der Jahrhundertwende aufgekommen seien. Das mag auf das protestantisch-preußische Deutschland, nicht aber auf das katholisch-habsburgische Österreich (oder auch das orthodox-zaristische Russland) zutreffen. Anachronismen, in der Tat! Aber eben doch nicht ausgestorben.

Das Abheben auf die Konfession geschieht hier nicht aus polemischen Gründen. An dem Abend wurde mehr denn je klar, dass ein protestantischer Konservativer und ein katholischer Konservativer sehr verschiedene Vorstellungen davon haben können, was es zu „konservieren“ gilt, bzw. welches Konzept Priorität hat. Was – so war eine Frage an Weißmann, gestellt von Lombard – könne denn der Konservative an die Jugend als mitreißenden Wert geben? Weißmann fiel da – eben ganz protestantisch – die Disziplin ein: „Reiß dich zusammen“. Spöttisch fügte er hinzu, dass der Spruch nicht ansatzweise so gut wie das linke Versprechen von Sex, Drugs und Rock’n’Roll sei.

Aber ist es das wirklich schon? Es ist der schlichte, spröde Gedanken des Protestantismus, der dahintersteht. Da ist keine Glorie, keine Ewigkeit: kurz, ein schmuckloser Altar ohne Blattgold. Nie war der Moment greifbarer, in dem der Kontrast zwischen österreichisch-katholischem, theresianischem Menschen und preußisch-protestantischen, friderizianischem Gegenpart offensichtlich wurde.

Der Konservatismus ist mehr als nur preußischer Drill. Der Konservative glaubt daran, dass das, woran er glaubt, immer da war, immer sein wird; er braucht demnach kein Heilsversprechen, denn alles, was wir suchen, war im Grunde schon immer da, wird immer da sein. Erschreckend, dass an diesem Abend nie das Wort der Kontinuität fiel. Das Versprechen an die Jugend, dass das, woran sie jetzt glauben, was sie jetzt lieben, was sie jetzt hoffen – dass es dieselben Dinge sind, die ihre Urgroßeltern glaubten, liebten und hoffen, wie es auch ihre Urenkel glauben, lieben und hoffen werden. Dass die große Kontinuität dieser Werte nicht abbricht. Dass wir das Ave Maria sprechen wie unsere Vorfahrin an der kleinen Eckkapelle auf dem Lande wie unsere Nachfahren in der Stadt; wir den Homer, den Dante, den Goethe lesen wie Generationen vor uns im Bewusstsein, dass das, was in diesen Schriften steht, uns zu dem macht, was wir sind; dass jede materielle Ordnung brüchig ist, nicht aber unser spirituelles und geistiges Erbe.

Wo Kubitschek zu pathetisch ist, ist Weißmann zu spröde. Konservatismus bedeutet, nicht nur einen Palast zu bauen, sondern auch, ihn schön einzurichten. Nicht nur einen Gott zu haben, sondern auch an ihn zu glauben. Nicht nur von Kontinuität zu reden, sondern sie zu leben. Ein Glas Rotwein über eine politische Diskussion zu stellen; einen Caravaggio über den Zeitgeist; die Familie über den Individualismus. Wir sind die mit dem schönen Leben.

Alles in allem war es deswegen ein anregender Abend; weil man danach besser weiß, dass der Konservatismus doch etwas vielfältiger ist, als man vorher dachte.

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