Am 12. Januar 1519 starb Maximilian I. auf der kaiserlichen Burg Wels. Fünfhundert Jahre nach seinem Tod hatte ich Gelegenheit, ihn für ein kurzes Gespräch zu gewinnen.
Eure Majestät – zuerst einmal herzlich willkommen im 21. Jahrhundert. Ich hoffe, die Reise verlief unproblematisch?
»Angenehmer als so mancher Zug zum Reichstag, danke sehr.«
Maximilian I., der „letzte Ritter“, Monarch zwischen Mittelalter und Neuzeit, Habsburger, König, „Erwählter Kaiser“. Euer Reich war eines, das die gesamte Mitte Europas einnahm. Nicht nur Deutsche lebten darin, sondern auch Böhmen, Italiener, Niederländer, Wallonen, Flamen, Franzosen. Eure Person ist in unserer Zeit deswegen gefragt, weil es mit der EU ein Projekt gibt, das dem Reich nachzueifern sucht. Wie steht Ihro Majestät dazu?
»Ich möchte mich doch etwas gegen diesen sehr groben Vergleich verwehren. Das Heilig-Römische Reich Deutscher Nation ruht auf der Reichsidee, auf Rom, auf Christus, auf dem gewählten König und Kaiser. Die Europäische Union, auf was fußt die?«
Aufklärung und Menschenrechten.
»Wie soll denn ein Kaiser durch Aufklärung und Menschenrechte regieren? Ich Maximilian, von Ihro Gnaden Menschenrechten, gewählt von der Aufklärung? Demokratie, was für eine langweilige Veranstaltung. Aber klar, dass das Mittelmaß, das die Menschen am meisten ausmacht, in einer mittelmäßigen Wahl nur Mittelmäßige an die Macht bringt und die sich aufs Mittelmaß berufen. Eine schöne EU hab’s da.«
Was seht Ihr als das größte Problem der gegenwärtigen EU an?
»Viel zu wenige Turniere!«
Majestät?
»Noch mal: viel zu wenige Turniere. Zu wenige Bankette, zu wenig Jagdausflüge, wenn Ihr versteht! Nicht einmal ein schönes Hofzeremoniell haben die in Brüssel. Ausgerechnet in Brüssel! Meine liebe Maria (von Burgund, Anm. d. L.) hat kurz nach unserer Heirat deutlich gemacht: Max – Max hat sie gesagt – die ganzen alten Teppiche müssen raus, neue rein, ihr lebt hier in Deutschland noch hinterm Mond was Kunst, Mode und Einrichtung geht. Und ein paar gute Köche braucht’s auch! Und so ein schönes Zeremoniell wie in Brüssel gibt es auch nicht.«
Wenn Eure Majestät das noch etwas ausführen könnten für unsere Leser, die das Renaissanceleben etwas weniger kennen?
»Ja freilich. Seht Ihr, Herrschaft beruht nicht auf Beratergeschwätz und Aktenschubern. Feste, Prunk, Feierlichkeit – das macht Spaß, da begeistert man sich fürs Ganze, da kann man mitmachen, das ist schön. Ich sage es Euch klipp und klar: diese EU macht doch keinen Spaß. Nicht einmal eine richtige Parade gibt es. Wie sollen die Leute Spaß am König haben, wenn der sich nur in Aktenbergen vergräbt oder nur mit seinesgleichen Ball tanzt?«
Majestät sind also der Meinung, dass das schlechte Image der EU selbstverschuldet ist?
»Unbedingt. Wie schon gesagt, ich hab’s nicht sonderlich mit der Demokratie – außer natürlich, sie stützt einen König. Hier ist es aber anders: da haben sie ein paar Berufsadlige, die meinen, es besser zu wissen als andere. Gut, schön, gerne! Dann muss man aber auch das Volk bei Laune halten. Ein paar Landsknechte durch die Straßen paradieren lassen, ein Fest geben. Entweder politische Beteiligung oder Party. Ist doch kein Wunder, wenn die europäischen Völker keine Lust auf so eine Veranstaltung haben, bei der sie weder das eine, noch das andere ihr Eigen nennen. Oder man ist eben Schweizer. Schweizer sein bedeutet aber nun mal auch, sich dauernd mit anderen Bauern zu treffen und abzustimmen.«
Frankreich war Zeit Eures Lebens ein wichtiger Rivale in der Gestalt Ludwigs XII. Wie bewertet Ihr den heutigen Zustand Frankreichs?
»Verheerend. Dergleichen will man ja nicht einmal mehr zum Duell herausfordern. Frankreich war immer ein reiches und mächtiges Land in Europa. Es bedarf großer Anstrengung, so etwas zugrunde zu richten. Und man wünscht es nicht einmal seinem schlimmsten Feind.«
Seht Ihr die Verantwortung beim gegenwärtigen Staatspräsidenten Macron?
»Frankreich hat einen Präsidenten? Und Ihr fragt nach dem tieferen Problem?«
Ich frage deswegen, weil Frankreich nicht nur mit sozialen Unruhen zu kämpfen hat. Finanzpolitik war in Eurer wie in unserer Zeit immer eine sehr wichtige Angelegenheit. Und – mit Verlaub – die Spendierfreudigkeit Eurer Majestät ist legendär.
»Es ist das eine, ob ein Kaiser einen Kredit bei einem Kaufmann nimmt, oder eine Regierung – was ist das überhaupt? – die Transaktionen mit einer „Bank“ tätigt. Abstraktheiten, nichts mehr. Ein Kaiser und ein Kaufmann bestehen aus Fleisch und Blut, der Kredit ist mit Gold gedeckt. Jedes finanzielle Abenteuer endet in der Rückzahlung oder der Sprengung. Unendlich Geld kann keiner aufnehmen. Zugleich hat auch ein Fugger gewusst, dass eine Nicht-Rückzahlung von Geld dennoch Vorteile hat. Denn er weiß, dass der Kaiser mehr braucht, und wird dann Konzessionen verlangen.
Die EU druckt dagegen Geld. Ach, wie schön wäre das dazumal gewesen! Ein Traum!«
Und Ruin des Reiches …
»Wie meinen?«
Wo wir schon bei Geld sind: ein wichtiges Dogma der EU ist der Erhalt des Euro als Einheitswährung. Wie steht Ihr dazu?
»Welch leidige Diskussion. Das Haus Habsburg hat immer einen großen Teil des Reiches eingenommen, mit sehr verschiedenen Ländereien. Und als Kaiser geht der Überblick über die vielen Territorien und Fürsten schnell verloren, wenn man sich nicht so gut hält, wie es ein guter König tun muss. Dass es dutzende verschiedene Währungen gab, hat dem Zusammenhalt des Reiches nie geschadet. Ob der Kölner mit Mark zahlt oder ein anderer mit Gulden – wozu gibt es Wechsler? Was geht mich als Kaiser das Münzgeklimper der kleinen Leute an? Reichspfennig gut und schön, aber wie man mir den Pfennig zahlt, ist mir doch gleich. Ein Münzgeld war keines Reiches Unterpfand.«
Dann zur letzten Frage: Ihr hattet auch einmal eine kurze Zeit Ambitionen auf den päpstlichen Thron. Was sagt Ihr zum gegenwärtigen Zustand der Römisch-Katholischen Kirche?
»Ja, das hätt‘ ich auch noch ’konnt.«
Ich danke Eurer Majestät für Eure kostbare Zeit.
»Vielen Dank, es hat mich sehr gefreut.«