Von Franzosenfreunden und armen Teufeln

7. November 2018
Kategorie: Carl Schmitt | Europa | Freiheit | Fremde Federn | Ironie | Philosophisches

In der Einleitung zur „Theorie des Partisanen“ von Carl Schmitt finden wir folgenden Passus:

Der Partisan kämpft irregulär. Aber der Unterschied von regulärem und irregulärem Kampf hängt von der Präzision des Regulären ab und findet erst in modernen Organisationsformen, die aus den Kriegen der französischen Revolution entstehen, seinen konkreten Gegensatz und damit auch seinen Begriff. Zu allen Zeiten der Menschheit und ihrer vielen Kriege und Kämpfe hat es Kriegs- und Kampfregeln gegeben, und infolgedessen auch Übertretung und Mißachtung der Regeln. Insbesondere haben sich in allen Zeiten der Auflösung, z.B. während des 30jährigen Krieges auf deutschem Boden (1618-48), ferner in allen Bürgerkriegen und allen Kolonialkriegen der Weltgeschichte immer wieder Erscheinungen gezeigt, die man partisanisch nennen kann. Nur ist dabei zu beachten, daß, für eine Theorie des Partisanen im ganzen, die Kraft und Bedeutung seiner Irregularität von der Kraft und Bedeutung des von ihm in Frage gestellten Regulären bestimmt wird. Eben dieses Reguläre des Staates wie der Armee erhält sowohl im französischen Staat wie in der französischen Armee durch Napoleon eine neue, exakte Bestimmtheit. Die zahllosen Indianerkriege der weißen Eroberer gegen die amerikanischen Rothäute vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, aber auch die Methoden der Riflemen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die reguläre englische Armee (1774-83) und der Bürgerkrieg in der Vendee zwischen Chouans und Jakobinern (1793-96) gehören sämtlich noch in das vornapoleonische Stadium. Die neue Kriegskunst der regulären Armeen Napoleons war aus der neuen, revolutionären Kampfesweise entstanden. Einem preußischen Offizier von damals kam der ganze Feldzug Napoleons gegen Preußen 1806 nur wie eine »Parteigängerei im Großen« vor.

Der Partisan des spanischen Guerrilla-Krieges von 1808 war der erste, der es wagte, irregulär gegen die ersten modernen regulären Armeen zu kämpfen. Napoleon hatte im Herbst 1808 die reguläre spanische Armee geschlagen; der eigentliche spanische Guerillakrieg begann erst nach dieser Niederlage der regulären Armee. Es gibt noch keine vollständige, dokumentierte Geschichte des spanischen Partisanenkrieges. Sie ist, wie Fernande Solano Costa sagt, notwendig, aber auch sehr schwierig, weil der gesamte spanische Guerrilla-Krieg sich aus annährend 200 regionalen Kleinkriegen in Asturien, Aragonien, Katalanien, Navarra, Kastilien usw. zusammensetzte, unter der Führung von zahlreichen Kämpfern, deren Namen von vielen Mythen und Legenden umwoben ist, unter ihnen Juan Martin Díez, der als der Empecinado ein Schrecken der Franzosen wurde und die Straße von Madrid nach Saragossa unsicher machte.

Dieser Partisanenkrieg wurde auf beiden Seiten mit schauerlichster Grausamkeit geführt, und es ist kein Wunder, daß mehr zeitgeschichtliches Material von den gebildeten, Bücher und Memoiren schreibenden Afrancesados, den Franzosenfreunden, als von den Guerrilleros gedruckt worden ist. Wie nun aber auch immer Mythos und Legende auf der einen, dokumentierte Historie auf der anderen Seite sich hier verhalten mögen, die Linien unserer Ausgangslage sind jedenfalls klar. Nach Clausewitz stand oft die Hälfte der gesamten französischen Streitmacht in Spanien und war die Hälfte davon, nämlich 250-260 000 Mann, durch Guerrilleros gebunden, deren Zahl von Gomez de Arteche auf 50 000, von andern weit niedriger geschätzt wird.

Zur Situation des spanischen Partisanen von 1808 gehört vor allem, daß er den Kampf auf seinem engeren Heimatboden riskierte, während sein König und dessen Familie noch nicht genau wußten, wer der wirkliche Feind war. In dieser Hinsicht verhielt sich die legitime Obrigkeit damals in Spanien nicht anders wie in Deutschland. Außerdem gehört es zur spanischen Situation, daß die gebildeten Schichten des Adels, des hohen Klerus und des Bürgertums weithin afrancesados waren, also mit dem fremden Eroberer sympathisierten. Auch in dieser Hinsicht ergeben sich Parallelen mit Deutschland, wo der große deutsche Dichter Goethe Hymnen zum Ruhme Napoleons dichtete und die deutsche Bildung sich niemals endgültig darüber klar wurde, wohin sie nun eigentlich gehörte. In Spanien wagte der Guerrillero den aussichtslosen Kampf, ein armer Teufel, ein erster typischer Fall des irregulären Kanonenfutters weltpolitischer Auseinandersetzungen. Das alles gehört als Ouvertüre zu einer Theorie des Partisanen.

Es ginge natürlich fehl, die heutigen Afrancesados in den deutschen Redaktionsstuben suchen zu wollen: einzig die Arroganz Goethes haben sie behalten. Ebensowenig dürfte man die heutigen EU-Napoleons mit dem großen Vorgänger vergleichen. Der Korse hat sich noch auf seinem Pferd gehalten, was bei den „Ischias-Problemen“ des gegenwärtigen Kommissionspräsidenten eher ausgeschlossen ist.

Stattdessen mag man uns selbst arme Teufel schimpfen.

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