Schon vor längerer Zeit schrieb ich einen Beitrag darüber, dass Begriffe wie Hass, Wut oder Zorn falsch verwendet bzw. missbraucht und missdeutet werden. Die Falschverwendung und populistische Instrumentalisierung durch die politische Linke samt aktivistischem Anhang, der Politik und der Medien haben die Situation eher verschlimmert als verbessert. Journalisten beklagen sich über „Hass“, der „Wutbürger“ steckt überall und das Netzdurchsuchungsgesetz (sic!) macht sich auf zum noblen Kampf gegen alle Hasserinnen und Hasser.
Ganz abgesehen davon, dass bereits Thomas von Aquin dem vermeintlich per se schlechten Hass Gutes abgewinnen konnte, trifft der Gemütsstand so gar nicht die Mentalität, die ich mit dem derzeit herrschenden Kampf verbinde. Indes auf Twitter und Facebook Nutzer wegen Lappalien in vorauseilendem Gehorsam zensiert werden, da Sperrung wegen Hassverdacht sicherer scheint als eine Sperrung wegen eines tatsächlichen „Hassverbrechens“, wird der Begriff nicht echter oder gar wahrer.
Wut und Hass sind wärmende, vitalisierende Gefühle. Sie regen zum Widerspruch, zum Streit an. Es mag sein, dass dies tatsächlich auf viele Vertreter der sog. Sozialen Netzwerke zutrifft. Einige machen ihrem Ärger Luft, andere mögen tatsächlich eine auf Blut und Tod geführte Fehde mit der Regierung führen. Womöglich gibt es ihnen Kraft, womöglich schlagen sie deswegen über die Stränge.
Im Grunde sind mir aber solche Regungen immer sehr fern geblieben. Der Zustand Deutschlands ist so beklagenswert, dass er bei mir bereits seit einem Jahrzehnt keine echte Wut oder gar Hass hervorruft. Viele mögen bei der Finanz- und Eurokrise gemerkt haben, dass etwas nicht mit der EU stimmt, andere bei der Ukraine-Krise aufgewacht sein, dass die Medien ihrem Auftrag nicht gerecht werden, und wieder andere brauchten bis zum Jahr 2015 um zu begreifen, dass die alten Zeiten längst vorbei sind. Deutschland und die Welt scheinen 2005 gänzlich anders geartet gewesen zu sein – und doch war schon für vieles die Saat bereitet, was uns bis heute beschäftigt.
In mir regt sich jedoch kein heißes Gefühl. Manche Affären – wie das falsche Spiel bezüglich eines türkischen Doppelstaatlers oder der Angriff auf alternative Medien – stacheln mich zum Widerstand an. Sie reizen mich wie ein dahingeworfener Fehdehandschuh; es ist dies aber nie eine emotionale Angelegenheit, als vielmehr ein rebellischer Hang wie ihn die Italianità oder das alte freiheitliche Deutschtum mitbringt, das in diesen Tagen des mehltaubehafteten Germaniens weit weg scheint. Das alte Wort Empörung hat in seiner Grundbedeutung weitaus mehr damit zu tun als „Hass“ oder „Wut“. Empörung war früher der Aufstand gegen das Unrecht, das einem angetan wurde und galt als legitim. Heute empören sich vor allem die Medien „über“ etwas, nicht gegen etwas.
Man mag manchmal glauben, die Meinungsmacher hätten diesen Begriff für ihre moralischen Kinkerlitzchen gekapert, um ihn der einfachen Menge zu rauben und jeden Widerstand gegen die Obrigkeit als illegitim abzukanzeln, wenn dieser nicht von den Schreibfedern der Nation angeleitet wird. Empörung und Skandale werden von Medien und Politik festgelegt, nicht vom einfachen Volk. Stellvertretend mag dafür die Petitesse stehen, dass einfache Nutzer seit Jahren gesperrt und zensiert werden, weil sie dieser Clique nicht angehören. Wenn ihnen dies geschieht, dann, weil Zeitungsredaktionen, Foren oder soziale Netzwerke von ihrem „Hausrecht“ Gebrauch machen – denn niemand ist gezwungen, diese zu benutzen! Wird dann aber mal ein Journalist oder ein Satiremagazin gesperrt bzw. angegriffen, so stehen die etablierten Verbände zusammen und echauffieren sich über das Vorgehen. In der Medienrepublik sind eben einige Schreibende gleicher als andere.
Was zur Hölle ist in diesem Land los? Wieso sperrt Twitter den Account der @titanic. Meinen Sie damit dem barbarischen #NetzDG zu entsprechen? https://t.co/daK0udAKhs
— ZEIT ONLINE (@zeitonline) January 3, 2018
Plötzlich gilt das Gesetz, das dieselben Medienmacher noch anschoben, weil sie sich erhofften, die bösartigen rechten Kräfte des Landes und ihr wutbürgerisch-hassendes Anhängsel kaltzustellen, als „barbarisch“. Zu spät, leider zu spät! Gerade die Zeit, die sich ins Bett mit den um die Amadeu-Antonio-Stiftung kreisenden AAS-Geiern gelegt hatte, sollte sich als ebenso verantwortlich ansehen wie der nun beim Spiegel jammernde Pseudo-Irokese. Da hilft auch nicht die Illusion weiter, der böse Kapitalismus und damit die Unternehmen hätten plötzlich die Kontrolle über die Meinungsfreiheit in Deutschland übernommen, wie man sich bei der Tagesschau in die Tasche lügen will. Es war einzig und allein die deutsche Bundesregierung, welche mit angedrohten Geldstrafen Facebook & Co. die Pistole auf die Brust setzte, damit nicht nur echte Straftatbestände, sondern auch „vermutete“ geahnt werden konnten.
Einen satirischen Tweet des Magazins #Titanic gegen AfD-Politikerin von Storch hatte Twitter gelöscht und daraufhin den Account zwischenzeitlich geblockt. Für den DJV eine nicht hinnehmbare Zensur – und eine Folge des #NetzDG. pic.twitter.com/o80yvP7Rzq
— tagesschau (@tagesschau) January 3, 2018
Der Deutsche Journalistenverband wäscht seine Hände in Unschuld und tut das, was er üblicherweise auf „den Nazi“ im Lande projiziert: er gibt dem Ausländer die Schuld (übrigens eine Methode, die seit einigen Jahren durchgehend im deutschen Pressewesen angewendet wird, solange die Ausländer nur weit weg genug sind). Projektionen sind mittlerweile das Hauptmetier der Elite dieses Landes geworden: Drehbuchautoren phantasieren von der Rückkehr rechtsextremer Regierungen in Europa, Akademiker halten die Warnung vor einem irgendwie gearteten Bürgerkrieg für eine gefährliche rechtextreme Imagination, um die Massen aufzuwiegeln, und Politiker beschweren sich über den rauen Umgangston, der ihnen aus dem Volk entgegenschlägt, welches sie selbst als „Pack“ titulieren.
Seit einigen Monaten folgt eine neue Strategie in diesem Kampf der selbsternannten 87 %. Hatte man jahrelang die Schiene gefahren, dass Kritiker und Skeptiker gewissermaßen uninformiert seien, und man diese nur informieren müsste, folgte alsbald der Tenor, es handele sich schlicht um dumme, abgehängte, sozial schwache Menschen, die sich in eine von ihnen selbst kreierte Matrix flüchteten. Die „deplorables“ aus Hillary Clintons Wahlkampagne waren geboren, jene Ausgegrenzten der Gesellschaft, die Fake News und Verschwörungstheorien frönten. Politisch wie medial ist der Erfolg dieser Strategie bekannt: noch größerer Verlust der Reichweite klassischer Medien und der Sieg jener als „populistisch“ gebrandmarkten Parteien. Die nächste Etappe wird nun genommen: die Vertreter des anderen Lagers sind im Grunde unbelehrbar und unerziehbar. Die behauptete „Filterblase“ und „Echokammern“ gebe es gar nicht, man nähme die anderen Fakten schon war, bliebe aber bei seiner Meinung. Dass alle Menschen – nicht nur eine Seite – unliebsame Fakten ausblenden und sich ihre Meinung nicht nehmen lassen, fällt den Wahrheitsliebenden natürlich nicht ein.
Der Staat kennt als Antwort auf abweichendes Verhalten seit Urzeiten eines: Verbote. In unschöneren Zeiten gab es in gleich zwei Staaten auf deutschem Boden sogar noch andere „Besserungsmöglichkeiten“. Was die liberale Tradition der Aufklärung und der sozialistische Entwurf des 19. Jahrhunderts miteinander teilen, ist die Überzeugung, den Menschen ändern und verbessern zu können. Wo das Christentum den Menschen als das fehlerhafte Wesen annimmt, das er ist, sind beide Ideologien bereit, einen neuen Menschen und eine neue Zeit anzustreben. Der Mensch muss demnach erzogen werden.
Was wir erleben ist eine Wiederbelebung des sozialistischen Besserungsgedankens durch Bestrafung in Form eines Zensurgesetzes, das dazu tragischerweise (der Zyniker meint: logischerweise!) von den angeblichen Stützen der Demokratie eifrig beklatscht und gestützt wurde. Viele Vorzeigedemokraten in der ersten Reihe von Politik, Wissenschaft und Medien zeigen dabei immer wieder ihre Treue zum guten Staat, indem sie sich als Vorkämpfer gegen Hass und Hetze profilieren. Auch der kleine Mann in der letzten Reihe kann dies nachahmen, indem er sich als tugendhafter Denunziant gegen seinen Mitbürger durchsetzt, um sich als veritabler Nazijäger auf die Seiten der Guten zu stellen. Eine solch makabre Melange aus linksradikalem Gedankengut, vermischt mit vermeintlichen Menschenrechten und dem Wohl der Allgemeinheit, bei der etwaige Kleinbürger das Leben ihrer Mitmenschen zur Hölle machten, geschah zuletzt im Paris des Grand Terreur unter Robbespierre. Ja, ich höre bereits die Kritik, dass dies nicht vergleichbar sei, weil eine wesentlich blutigere Veranstaltung, allerdings kamen die Franzosen nach einem Jahr zur Besinnung – bei den Deutschen hält das Spiel seit 2015 an, ein Ende ist nicht in Sicht. Das Konzept indes ist ähnlich: die Revolutionäre zeigten der barbarischen Reaktion, wie rückständig diese ist, indem man just alle Pfaffen und Adligen unter die Guillotine legte, derer man habhaft wurde, und Heiko Maas inszeniert sich als Kämpfer für Toleranz und Freiheit, indem er möglichst vielen Leuten das Maul verbietet, die nicht seiner Meinung sind.
Der Name Maas ist jedoch nur eine Ablenkung von den wahren Profiteuren der neuerdings beschlossenen Gesetze. Macht hat stets der, über den man sich nicht lächerlich machen darf. Während noch 2005 plumpe Kommentare über Merkels Frisur für Lacher auf jeder Party sorgten, wird heute auch ein anerkannter Gast in jeder Gesellschaft gemieden, wenn er die Kanzlerin sachlich kritisiert – selbst wenn er dafür Statistiken, juristische Gutachten oder abweichende Meinungen aus dem Ausland einbringt.
Kritik an der Kanzlerin ist zur Systemkritik geworden, zur Kritik an der Demokratie, zur Kritik an der offenen Gesellschaft, zur Kritik an der freiheitlich-rechtstaatlichen Grundordnung, zur Kritik an allem Guten und Schönen. Die Deutschen des frühen 19. Jahrhunderts konnten Staat, Gesellschaft, Nation, Volk und Regierung unterscheiden, weil es zwar eine deutsche (Sprach)Gesellschaft und eine deutsche (Kultur)Nation gab, aber keinen deutschen Staat. Die Deutschen des frühen 21. Jahrhunderts können heute keinen dieser Begriffe mehr voneinander trennen, für sie sind Deutschland, die Deutschen und der deutsche Staat verschmolzen. Der krampfhafte Versuch, das „Volk“ von allem „Ethnischen“ zu trennen – obwohl jeder des Altgriechischen Mächtigen weiß, dass Ethnos in der Grundübersetzung eben jenes „Volk“ meint – deutet auf eine völlige Loslösung deutscher Identität von Kultur, Religion, Brauch und Abstammung hin, um einer rein staatlichen Konnotation zu weichen. Das deutsche Volk sind dann tatsächlich „die, die hier leben“, sie sind das „Personal“ einer bürokratischen Behörde: formlos, seelenlos und in letzter Instanz sinnlos. Kritik an der deutschen Politik ist damit zur Kritik am Deutschtum per se geworden – womit die Gegenwart gefährliche Parallelen mit dem späten wilhelminischen Kaiserreich im Kriegstaumel aufweist. Wenn deutsche Journalisten meinen, man müsse die mächtigste Frau des Landes vor Kritik aus irgendwelchen anonymen Twitterkanälen beschützen, ist das ein Eingeständnis dafür, dass die deutsche Führung mehr und mehr sakralen Charakter erhält ähnlich dem fränkisch-merowingischen Königtum. Eine mögliche Kahlrasur Merkels und ihre Einweisung in ein Kloster dürften jedoch in nächster Zeit bedauerlicherweise nicht anstehen.
Ist also dieser Beitrag Hass, ist er Wut? Mit Sicherheit aus Sicht der Guten und Schönen. Aber nein, ich schreibe diese Zeilen eben ohne das heiße Gefühl; mich kräftigt nichts, mich reinigt nichts dabei, es bleibt kalte Bestandaufnahme. Ich bin nur ein Sanudo: ein Venezianer, der schreibt, was er sieht und hört. Ich habe keinen Auftrag, der mich leitet. Im Grunde bin ich nur ein Historiker, der mangels Anstellung zum Chronisten geworden ist, und ebenfalls in Ermangelung eines passablen toskanischen Weinguts – aber in Besitz einer Tastatur – versucht zu ordnen, was andere verschleiern. Der Reaktionär neigt ja eben nicht zur Wut, das bedeutete, er verlöre die Contenance. All diese Wut, all dieser Hass sind im Grunde nichts, was das rechte Lager – von der gemäßigten rechten Mitte bis zum Außenrand – historisch und ideologisch ausmacht. Der Aufstand, der revolutionäre Kraftakt, der wütende, aufbegehrende Mensch sind nicht seine Welt; „macht kaputt, was euch kaputt macht“ ist nichts Geistiges, nichts Schönes, es ist die linke Gosse der Sansculotten. Es ist genau diese linksradikale Aggressivität, diese Verkrampftheit und dieser Vernichtungswille, der tausendmal häufiger in den Kommentaren etablierter linksradikaler Autoren auf Bühnen, in Filmen und Schrift zu finden ist als in den bürgerlichen Empörungen gegen das Establishement, die als kleine Zuckungen in den großen Wellen des Massenstroms auf und nieder schwappen. Sie haben die Meinungsmacht in tausendfach gedruckten Zeitschriften und in zwangsgebührenfinanzierten Sendungen mit hunderttausenden Zuschauern und gönnen dem winzigen Bürger nicht die abweichende Meinung auf dem digitalen Marktplatz.
Was in mir herrscht, das ist ein Gefühl der Leere, weil aus diesem Land so vieles fließt, was es einmal ausgemacht hat, weil Tag für Tag schwindet, was es unverwechselbar machte. Sie nennen es „Angst vor Veränderung“, haben aber weder Stadtteile fallen, noch Leute aus ihrer Umgebung überfallen gesehen. Kein Anschlag rüttelte sie aus dem Leben, nicht der Verlust von Freunden oder Verwandten. Die angeblichen Rechte und Werte, die sie so vollmundig verteidigen, gönnen sie sich nur selbst. Sie werfen anderen die Filterblase vor, leben aber längst in einer Matrix.
Es ist ein kaltes Gefühl. Eines, das einem das Blut aus der Haut saugt. Eines, das dem Mitleid und der Trauer viel näher ist als Hass und Wut. Es ist der Verzweiflung genau so fern wie der Hoffnung. Es ist der Ohnmacht genauso nah wie dem Wunsch, eben aus dieser Situation heraus weiterzumachen.
Wut und Hass sind Etikette der Elite, die anderen angesteckt werden. Es zeigt, das sie keinerlei Ahnung hat, was in vielen Deutschen, in vielen Europäern vorgeht. Gerade jene, die von Empathie faseln, können nicht nachvollziehen, was in einem Teil der Menschen dieses Landes vor sich geht. Sie projizieren einzig und allein ihre eigene Verachtung für diese Menschen auf eben diese. Was letztlich bleibt, ist die Verachtung für die Totengräber der Freiheit.
Ob ich noch so viel Verachtung aufbringen kann? Schwerlich. Die letzten Jahre haben mein Soll an Verachtung aufgebraucht. Was dem Konservativen und Reaktionär bleibt, ist nicht die Revolution, sondern der Waldgang. Als Romane kann ich allerdings wenig für den Wald aufbringen. Man kann sich im häuslichen Obergeschoss kaum Beethovens Sinfonien und Dantes Gesängen widmen, wenn auf dem öffentlichen Platz davor die Guillotine geschärft wird und Köpfe rollen.