Orléanisten

26. Oktober 2017
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Europa | Freiheit | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Ironie | Machiavelli | Philosophisches

Es existiert in Deutschland und Europa ein Typus des gemäßigten Rechten, der in der Tradition der politischen Partei der französischen Orléanisten steht. Ihre Ideale sind recht angenehm gewesen: sie wollten weder absolute Monarchie noch Republik, sondern konstitutionelle Monarchie. Zugleich war ihnen die Pöbelherrschaft verhasst: denn der Pöbel wollte Gleichheit, und dazu bedurfte es eines Despoten. Der Ruf nach dem „starken Mann“ kam immer aus den unteren Schichten, die Orléanisten entstammten dagegen der Bourgeoisie, die sich einerseits im Clinch mit der herrschenden Elite befand, andererseits verächtlich auf die „Gosse“ niederblickte.

Für gewöhnlich ordnet man die Orléanisten den Liberalen zu. Auch dort erkennen wir die Traditionslinien: immer auf der Suche nach Kompromiss und von der Angst vor den Extremen beseelt, sehnten sie sich nach dem „juste milieu“, ja, sie machten diesen Begriff erst politisch salonfähig. Sie waren das, was man heute „die Mitte“ nennt, nämlich so zentristisch gesinnt, dass sie daraus ein Extrem machten. Dadurch, dass sie sich den Legitimisten annäherten, entfremdeten sie sich ihrer liberalen Anhänger – und wenn sie zu ihren eigentlichen, anti-absolutistischen Wurzeln zurückfanden, verprellten sie die gerade gewonnenen Traditionalisten. Einerseits opponierten sie gegen das göttliche Recht, dann wieder tätschelten sie die Gefühle des französischen Klerus. Der feste, prinzipientreue Kurs dieser frühen Liberalkonservativen war eine Zick-Zack-Linie. Sie hatten den politischen Umfaller vielleicht nicht erfunden, aber eine gewisse Kontinuität zu einer nach vier Jahren wieder ins Parlament gezogenen Partei ist nicht abzustreiten.

Soweit zur Politik. Dieser liegt aber eine menschliche Note zugrunde. Der Orléanist will keinem wehtun. Für ihn ist die Demokratie – oder wie sich auch die gegenwärtige Staatsform der Mittelmäßigkeit schimpft – Selbstzweck, selbst wenn sie aufgegeben muss zugunsten einer vermeintlich noch demokratischeren Variante. Wenn die Demokratie selbst einem demokratischen Recht zu opfern ist, so ist dies zu tolerieren. Toleranz hat der zeitgenössische Orléanist mit zwei Löffeln gefressen, und das zum Frühstück, wie zum Mittagessen. Abends streicht er sich dann etwas Haltung auf das Abendbrot. Der heutige Orléanist erfindet die Haltung dabei nicht selbst, aber er glaubt, dass dies so zu sein habe, weil andere Personen mit womöglich divergierender politischer Ansicht diese Verhaltensweise zum Diskurs erhoben hat und er nicht anecken möchte. Man bekommt eben nichts absolut, man braucht Kompromisse. Der alte Orléanist versuchte das Ancien Régime und die Französische Revolution zu vereinen, der heutige glaubt, dass dies ebenso gut mit der europäischen Demokratie und dem Islam funktioniert. Irgendwo wird es einen Mittelweg geben.

Der Name der Orléanisten rührt vom Haus Orléans her. Es handelt sich um einen Seitenzweig der französischen Königsdynastie. Während im 18. Jahrhundert die Bourbonen Frankreich regierten, stand das Haus Orléans in der zweiten Reihe: sollten die Bourbonen aussterben, so waren es die Herzöge aus diesem Haus, welchen die Macht im Königreich zufiel. Beide Familien entfremdeten sich zunehmend, und während die Bourbonen auf dem Thron eher eine konservative Politik verfolgten, setzten sich die d’Orléans für einen aufgeklärt-liberalen Kurs ein. Ihr bekanntester Vertreter, Louis-Philippe II., stand in Opposition zum herrschenden König. Man verdächtigte ihn, dass er schon vor der Revolution das Volk aufgestachelt habe. Nach dem Sturm auf die Bastille nannte er sich „Philippe Égalité“. Gleichheit, dieser Wert, der wohl der verhängnisvollste der Revolution war – Freiheit und Brüderlichkeit kennt schon das Christentum – als Programm! Und im Namen dieser hehren Werte, also zur Verteidigung der Demokratie gegen ihre Feinde, stimmte eben jener Philippe in der Versammlung, welche die Hinrichtung König Ludwigs XVI. beschloss – für die Guillotinierung seines eigenen Cousins. Es sollte dem einstigen d’Orléans nichts nützen: dem kleineren Übel des traditionellen Absolutismus folgte der Schrecken der republikanischen Terrorherrschaft. Wenige Monate nach der Hinrichtung seines Cousins rollte auch Philippes Kopf unter der Guillotine.

Dass radikale Ideologien keine Kompromisse kennen, ist eine Lehre, welche auch die Orléanisten in jedem Zeitalter aufs Neue machen müssen.

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