Vorwort
Ich habe Deutschland nicht betrachtet, um eine Neugierde zu befriedigen; ich wollte dort Belehrung schöpfen, die wir nutzen können. Wer annimmt, ich wollte ein Loblied auf Deutschland anstimmen, täuscht sich sehr; wer dieses Traktat liest, wird sich überzeugen, dass ich das durchaus nicht beabsichtigte; ebenso wenig habe ich vor, die Regierungsform der Deutschen anzupreisen oder zu verspotten; denn ich gehöre zu denen, die glauben, dass es in den menschlichen Gesetzen kaum jemals etwas absolut Gutes gibt.
Gleichheit, Freiheit und die Demokratie
Sie werden – das sei vorab gesagt – nur wenige Völker finden, die dem Wort „Demokratie“ eine so heilige Bedeutung zumessen, und zugleich so wenig Erfahrung mit ihr haben, wie die Deutschen. Der amerikanische Stolz auf die Demokratie speist sich aus Sitten und Geschichte der USA. Amerika wurde aus einer Revolution herausgeboren und seine Gründerväter wussten sehr genau um die Vor- und Nachteile dieser Regierungsform. Sie haben ihre Freiheit im Kampf mit der Geschichte selbst errungen; hier in der Form des größten damals bestehenden Reiches, nämlich des Englischen. Die Revolution der Amerikaner ist ganz und gar auf dem Wert der Freiheit gegründet; erst danach schließt sich die Gleichheit an. Dies steht im Gegensatz zur Französischen Revolution, deren vorderstes Ziel nicht die Freiheit, sondern die Gleichheit war. Den Menschen treiben Ambition und Neid, und während sich die Ambition in der Freiheit äußert, so äußert sich der Neid in der Gleichheit. Das Verhältnis beider Kräfte prägt die Demokratie. Ein zu hohes Maß an Freiheit endet in der Anarchie, ein zu hohes Maß an Gleichheit in der Knechtschaft. Die Gleichmacherei, wie sie die Demokratie anstrebt, führt dazu, dass Individuen ihre Eigenheiten und ihren individuellen Freiraum verlieren. Zudem ist festzustellen, dass ein starker Staat, den Zentralisierung oder Gleichschaltung auszeichnet, aus der Überbewertung der Gleichheit entsteht. Ein föderales, dezentrales System hingegen gewährt größere Freiheiten; aus diesen Gegebenheiten heraus ist es auch einfach zu verstehen, warum großen, zentralisierten Staaten zu misstrauen ist.
Gleichheit und Freiheit in der deutschen Geschichte
Blickt man auf die deutsche Geschichte und die verschiedenen Regierungen in Deutschland vor der Gründung der jetzt bestehenden Bundesrepublik, so ist Deutschland weder ganz mit Amerika noch ganz mit Frankreich vergleichbar. Die deutsche Dezentralisierung hielt die schlimmsten Auswüchse der Gleichheit im Zaum. Im Ersten Reich herrschte ein Kaiser, den die jeweiligen Fürsten wählten. Städte und Bischöfe wahrten eifersüchtig ihre Rechte. Dies ist der Grund, warum in den Reichsstädten ein Bürgersinn herrschte, den es zeitgleich nicht in Frankreich gab; aber das macht das alte Deutschland noch lange zu keiner Demokratie. Im alten Deutschland bedeutete Freiheit Unabhängigkeit und Autonomie, es war dies die „Deutsche Freiheit“. Das alte Reich kannte demnach die Freiheit, es kannte jedoch nicht die Demokratie. Den Zusammenhalt des Reiches bedrohte eher eine Anarchie, wie sie in der geringen Entschlussfreudigkeit des Reichstages zu Tage tritt; man wird dafür jedoch das deutsche Volk in dieser alten Zeit als weniger geknechtet ansehen können als das französische, das bald unter dem Absolutismus lebte.
Wie sehr diese deutsche Mentalität noch im 19. Jahrhundert verwurzelt war, wird an dem Schicksalsjahr 1848 deutlich; der Impuls der französischen Revolutionäre war jener nach Gleichheit, jener der deutschen der nach Freiheit, Einheit und mit Abstrichen nach Gleichheit. Daher ist auch verständlich, warum diese Revolution scheiterte, da eine Gruppe die Freiheit, die andere die Einheit und eine letzte die Gleichheit in Frankfurt bevorzugte. Die deutschen Sitten förderten in dieser Zeit immer noch eher die Anarchie als die Knechtschaft; in der Tat wären die Deutschen dazumal sehr gute Amerikaner gewesen, hätten sie nicht den übergroßen Sack der Geschichte und der alten Herrschaften mit sich herumgeschleppt. In Amerika gab es nur wenige Reiche, jeder kam mittellos in die Neue Welt und nahm sich das Land, das er brauchte; die Amerikaner waren von Anbeginn ein sehr gleiches Volk. Die Deutschen jedoch, mit ihrem jahrhundertealten Adel, der seine Linien bis zu Kaiser Karl dem Großen zurückführte, und dessen Erben sich immer noch auf den Thronen hielten, konnten nicht neu beginnen, ohne dem Adel Rechenschaft zu zollen. Amerika hatte Einwohner, Deutschland hatte eine Gesellschaftsordnung. Daher ist es kein Zufall, dass so viele Deutsche nach der gescheiterten Revolution ihr Glück in den neuen Staaten jenseits des Atlantiks fanden: die dortige Gesinnung war ganz ihre.
Eine weitere Zäsur erfolgte mit der Gründung des Zweiten Reichs im Jahr 1871. Deutschland zentralisierte sich, aber nicht wie Frankreich oder Italien; es war so föderal, dass es die persönlichen Freiheiten wahrte, aber so zentralisiert, dass es nicht mehr in Anarchie verfiel. Der Gleichheit boten die Stände und Autoritäten Einhalt; die Menschen waren frei, aber ungleich. So konnte es keine Masse geben, welche die Gleichmacherei der ganzen Gesellschaft forderte; das Gefühl, das alles seinen Platz und seine Ordnung hat, entspricht dabei ganz der Mentalität dieses Volkes. Die Deutschen haben ihren Staat daher mit Gesetzen und Dokumenten geordnet, während es die Amerikaner mit ihrem gesunden Menschenverstand bzw. Sitten tun. Die Delegierung von Verantwortlichkeiten an Gesetze und Dokumente ruinierte die deutschen Sitten, die den amerikanischen nicht unähnlich waren, jedoch über Zeit. Dies wird deutlich an den Sozialgesetzgebungen Bismarcks. Da Sitten jedoch nicht über Jahre, sondern Generationen zerstört werden, ging der Verlust der Eigenverantwortung und das Misstrauen gegenüber der Obrigkeit schleichend vonstatten; was den Deutschen jedoch an Tugenden blieb, war ihre Dezentralisation, ihr Pflichtgefühl der Gemeinschaft gegenüber und die Frömmigkeit; es sind dies die Tugenden, die Staaten erfolgreich machen.
Es mag daher verwundern, dass die erste deutsche Republik – die eine Demokratie war – keinen Erfolg hatte. Die Antwort ist jedoch schlüssig: sie bediente weder die Eigenheiten der Demokratie, noch die Eigenheiten der Deutschen. Das Preußenreich verdankte seine Stabilität der Ungleichheit; der Staat musste daher in Anarchie verfallen, da die Demokratie sofort die Gleichheit wollte. Die Weimarer Republik war auch zentralisierter als das Deutsche Reich und nahm Bundesstaaten manches Privileg. Die große Masse, die sich zuvor niemals hatte entwickeln können, nahm nun Form an und rief nach jener Gleichheit, welche die Demokratie zur Tyrannei werden lässt. Das Jahr 1933 war daher kein Bruch, sondern logische Folge. Weimar war übersättigt von persönlicher Freiheit, die in der Anarchie endet; niemand wird die Unruhen dieser Zeit kleinreden wollen. Aber ebenso sehr war die zunehmende Gleichheit Nährboden für jene Massenbewegungen, welche den Sozialismus brauner und roter Prägung erst zuließen.
Von den Jahren danach wird an anderer Stelle so viel gesprochen, dass ich nicht wüsste, was man über die beiden Diktaturen sagen sollte, ohne längst Gesagtes zu wiederholen: niemals herrschte in Deutschland mehr Unfreiheit und mehr Gleichheit, solange man denn Deutscher war; und niemals war Deutschland zentralisierter und die Meinung so eingeschränkt, nicht nur der Regierung, sondern auch der Masse wegen, welche jeden Diskurs erstickte und unliebsame Geister verriet.
Die Geschichte der Demokratie in Deutschland ist daher eine sehr junge, die Geschichte der Freiheit eine alte (aber vergessene), und die der Gleichheit eine verhängnisvolle. Ich möchte diese Feststellung voranstellen, weil ich glaube, dass in den ersten Jahren der Bundesrepublik die Freiheit in Deutschland dominierte, jedoch seit der Jahrtausendwende wieder die Gleichheit triumphiert hat. Wie geschildert, ist dies keine sehr hoffnungsvolle Angelegenheit, wenn wir auf die Geschichte Deutschlands und die Erfahrungen blicken, die wir mit diesem Zustand gemacht haben.