Die Transferunion ist besiegelt

9. Mai 2017
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Europa | Freiheit | Machiavelli | Regionalismus

Nach ihrem Sieg bei der Bundestagswahl entfernte Angela Merkel eine Deutschlandfahne aus Gröhes Hand; bei der Wahl Emmanuel Macrons tönte nicht die Marseillaise, sondern die Europahymne. Für ein Land wie Frankreich, in dem die Revolution, Nation und die eigene Hymne so eng verzahnt sind und die Basis französischer Identität bildet, ein offenkundiges Menetekel.
An anderer Stelle wurde bereits ausgeführt, weswegen Macron mit Sicherheit keine Alternative ist, und möglicherweise sogar das größere der beiden Übel. Le Pen ist in erster Linie ihr Etatismus bzw. Sozialismus anzukreiden – doch den haben so gut wie alle Kandidaten und Parteien verinnerlicht. Das französische Volk, dessen berühmtester König mit „L’etat c’est moi“ eine geschichtsübergreifende Mentalität prägte, kann auch im Grunde gar nicht anders denken und fühlen. Es sehnt sich nach dem Staat, nach der Bürokratie, nach dem Zentralismus.

Macron ist da eher die Fortsetzung als die Ausnahme. Er ist eng verzahnt mit der Welt der französischen Elite, den Schulen, den Banken, der Politik. Doch erst jetzt – nach der Wahl – kommen die ersten Zweifel der ausländischen Unterstützer auf: wie will dieser Mann eigentlich regieren? Macron besitzt keinen einzigen Parlamentssitz. Bei den Wahlen im Sommer müsste er mit seiner erst im letzten Jahr gegründeten Bewegung mehrere Achtungserfolge aus dem Stand erzielen. Dabei hat der Investmentbanker und Mehrfachmillionär diese Wahl nur über Leihstimmen gewonnen – zusätzlich gaben Millionen Franzosen leere Stimmzettel ab. Trotz des Medienechos: ein überzeugender Sieg sieht anders aus.

Der neugewählte Präsident war früher Parteimitglied der Sozialisten. Die hat er im Streit verlassen; und einige dürften ihm bis heute nicht verzeihen, dass er die Partei gespalten, und zuletzt dem eigentlichen Kandidaten Hamon die Stimmen gestohlen hat. Obwohl ideologisch die größten Gemeinsamkeiten mit der Partei des baldigen Ex-Präsidenten Hollande bestehen, wird es schwierig werden, die alten Weggefährten und Parteifeinde in eine neue Politik nach Macrons Geschmack einzubinden. Bei den Republikanern dürfte das erst recht schwierig werden. Und man sollte sich hier keine Illusionen machen: auf Nationalebene mag man für Macron gestimmt haben, in den Wahlkreisen werden aber wieder die traditionellen Parteien die Mehrheiten für sich gewinnen. Der Premierminister wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht Macrons Bewegung entstammen, will er sich ein Bündnis mit einer der Großparteien sichern. Mit einem Präsidenten ohne eigene Mehrheit steht aber Frankreich mehr als nur eine „schiefe“ Regierung mit Präsident und Premier aus verschiedenen Parteien bevor – es wird zu einer Politik des täglichen Aushandelns, des täglichen Kompromisses kommen. Die neue französische Regierung wird auf tönernen Füßen stehen.

Es ist daher wahrscheinlich, dass Macron seinen Rückhalt in Brüssel finden wird. Die Brücke besteht bereits länger. Macron ist ein Fürsprecher einer engeren Union, vergemeinschafteter Schulden und einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzordnung. Als Wiedergänger jener angeblicher Kapitalisten, die eigentlich Sozialisten sind, wird er das Projekt des Superstaates vorantreiben, wenn man ihm dafür entgegenkommt. Der kranke Mann an der Seine sehnt sich nach dem Kapitalfluss aus der deutschen Steuerbierflasche. Die anderen romanischen Länder werden diesen Schritt begrüßen. Dafür dürfte Berlin die Hegemonie im Konzert der europäischen Mächte bewahren. Eine Win-Win-Situation. Die Transferunion dürfte kommen – wann, das bleibt die einzige Frage. Macron ist noch jung, und was ihm innenpolitisch nicht gelingt, wird er auf EU-Ebene wettmachen wollen. Die Zeit arbeitet dabei für ihn und gegen Merkel, die 2017 wiedergewählt wird, aber ihre besten Jahre schon hinter sich hat.

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