Saudi-Arabien: Land der Hoffnung

3. Mai 2017
Kategorie: Freiheit | Italianità und Deutschtum | Medien | Non enim sciunt quid faciunt

Die Kommentarsparte des Flaggschiffs der öffentlich-rechtlichen Meinungsflotte hat bereits seit einigen Jahren Schlagseite. Erst jüngst dachte man, die ARD habe mit ihrem Kommentar zum fehlgeschlagenen Attentat auf den borussischen Mannschaftsbus bereits Havarie erlitten; es handelte sich um eines jener Desaster, bei welchem der Zuschauer nicht so ganz entscheiden konnte, ob er das Schauspiel hilflos, lächerlich oder weltfremd nennen sollte. Wenn Sie es verpasst haben sollten: Michael Stempfle, der sich anscheinend bei der Tür zwischen dem ARD-Hauptstadtstudio und der Redaktion des Jugendmagazins „logo!“ irrte, und eine merkwürdige Rede an die Terroristen hielt.*

Die Tagesthemen vom 12. April legen also kräftig vor. Kann man so eine Darbietung überbieten? Man kann. Ein komplett anderes Thema, und vielleicht auch von der Stimmlage und der Naivität des Sprechers her kaum vergleichbar; was ideologische Verblendung und Fremdschämen angeht, hält dieser Beitrag jedoch locker mit.

Carsten Kühntopp ist Korrespondent vom ARD-Studio Kairo. Bereits die Schlagzeile nimmt vorweg, dass sich der Leser gleich auf eine Geisterbahnfahrt der politischen Verrenkungen bereit machen darf: Saudi-Arabien – viel besser als sein Ruf.

Schon am Anfang nimmt Kühntopp augenscheinlich seinen Gegnern den Wind aus den Segeln:

„Saudi-Arabien hat einen schlechten Ruf. Viele Menschen sehen es als ein Land religiöser Fanatiker, die mit ihren Petrodollars blutige Konflikte überall in der Region befeuern, beispielsweise in Syrien und im Jemen – während sie zuhause Frauen als rechtlose Mündel halten.
Keine Frage: Die Lage der Menschen- und Bürgerrechte in Saudi-Arabien ist miserabel. Und das ist nichts, was man als Imageproblem kleinreden und dann mithilfe von PR-Agenturen beheben könnte. Wie soll man also mit „solchen Leuten“ umgehen?“

Aber: alles halb so wild. Denn alle diese Vorurteile – Rechtlosigkeit der Frauen, öffentliche Hinrichtungen, Krieg in Nachbarländern – stellen nur Idioten auf, die keine Ahnung haben von Saudi-Arabien. Kühntopp macht deutlich: wer Saudi-Arabien angeht, der kann das nur tun, weil er keine Ahnung hat!

„Diejenigen, die am lautesten gegen die Saudis wettern, sind häufig die, die das Land am wenigsten kennen. Anstatt fundierter Urteile bieten sie überholte Vorurteile.“

Da hat es uns der ARD-Journalist aber gegeben. Beachten Sie bitte „fundierte“ Urteile. Besonders im Verlauf des Kommentars. Gerade der ÖRR, der immer wieder von Fake News faselt, von postfaktischen Zeiten herumlamentiert und behauptet, die einzige Wahrheitspresse zu sein, stellt hier und auch später gar keine Fakten auf! Die Fakten sind: öffentliche Hinrichtungen, Prinzenherrschaft, Rechtlosigkeit der Frau, Verbot aller Religionen außer dem Islam (versuchen Sie mal eine christliche Bibel ins Königreich zu schmuggeln!), Besuchsverbot der Heiligen Stätten, Finanzierung des Salafismus samt militantem Arm – es ließe sich noch weiteres hinzufügen.
„Ja, aber“, lesen wir da raus. Denn jetzt gibt es ein Wundermittel, das vertreibt die böse Diktatur ganz schnell. Und wenn nicht, so legt sich die Diktatur wenigstens ein schönes morgenländisches Gewand an. Das nennt sich Vision 2030:

„Mit der vor einem Jahr beschlossenen „Vision 2030“ hat sich Saudi-Arabien einen Umbau seiner Wirtschaft verordnet, eine Diversifizierung weg vom Öl – und damit einhergehend eine Öffnung der Gesellschaft. Egal mit wem man in Saudi-Arabien spricht – überall hört man: Ja, es hat sich in letzter Zeit viel zum Guten geändert. Und viele Menschen fügen dann hinzu: Nein, es geht uns noch nicht schnell genug und nicht weit genug, aber die Richtung stimmt. Diesen Reformprozess kann und sollte Deutschland helfend begleiten, die Saudis sind daran offenbar interessiert.“

Kurz: alles nicht so schlimm in Saudi-Arabien, denn egal, mit wem ich spreche, alle sagen, es hat sich was geändert. Das scheint vielleicht für Kühntopps Bekanntenkreis ganz schön zu sein – nach journalistischen Standards hört es sich freilich nicht an. Es wird nämlich niemand genannt. Es wird auch keinerlei Sachbestand angeführt, um diese These zu erhärten. Dass sich viele Korrespondenten in Filterblasen bewegen, weiß man spätestens seit dem Brexit-Referendum oder der US-Wahl. Man bleibt unter seinesgleichen und wird in den eigenen Ansichten bestätigt. Was – außer der Worthülse „Diversifizierung“, die klingt, als handele es sich bereits um einen Eigenwert – hat sich denn bisher konkret geändert? Wer sagt etwas? Was passiert? Die einfachsten Fragen werden im Grunde nicht beantwortet, sondern man bleibt im Nebulösen. Symptomatisch sind Sätze wie folgender:

„Saudi-Arabien ist nicht statisch, sondern es verändert sich.“

Ach was!

„Das geschieht bereits seit einigen Jahren, in letzter Zeit aber in erhöhtem Tempo. Aus europäischer Sicht mag das noch immer ein Kriechgang sein, aber die Saudis selbst spüren plötzlich überall neue Freiräume. Etwa zwei Drittel der Menschen hier sind noch keine 30 Jahre alt. Gerade den jungen Leuten gibt die staatlich verordnete „Vision 2030“ nun einen Horizont der Hoffnung. Innerhalb der Regierung ist es ihre Generation, ist es die Generation der Enkel des Staatsgründers, die nun nach oben drängt.

[…]

Saudi-Arabien lässt sich eben nicht auf das Zerrbild vom erzkonservativen, menschenverachtenden und frömmelnden Ölscheich reduzieren. Wenn man der Kanzlerin im Zusammenhang mit ihrer Reise nach Dschidda etwas vorwerfen wollte, dann, dass sie sich nicht genug um das Land kümmert: Dies war ihr erster Besuch seit nicht weniger als sieben Jahren.“

Hier werden Dinge miteinander vermischt. Der Zuschauer hört, bzw. der Leser liest: Reformprozess. Der ist aber rein wirtschaftlicher Art. Ein Drittel der jungen Araber ist arbeitslos. 2030 soll Arbeitsplätze beschaffen. Es ist also genau das Gegenteil dessen angedacht, als was uns das Prozedere verkauft wird: die „Vision“ ist dazu da, um das Konfliktpotential über Ausgaben zu lösen, kurz: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Eine irgendwie geartete „Öffnung“, welche den salafistischen Islam verlässt – das ist höchstens der Traum oder die Verklärung des Korrespondenten, aber gar nicht das, was die Saudis vorhaben. Merkel reist nach Dschidda, weil sie Anteil haben will an der wirtschaftlichen Entwicklung – nichts anderes heißt das. Insofern ist das ganze Stück eine Rechtfertigung des Kanzlerinnenbesuchs und eine völlige Verzerrung dessen, was in Saudi-Arabien geschieht. Und auch hier mit der typischen Besserwisserei: wer was anderes behauptet als ich, ist blöd und Fake News. Und das alles, ohne irgendwo einen konkreten Fakt genannt zu haben.

Dabei ist es bei dem neuen Gewand, das sich die Hüter der Heiligen Stätten überziehen, wie bei den meisten orientalischen Tanzkleidern: man kann auch hier durch den feinen Stoff das sehen, was eigentlich verhüllt bleiben sollte. Die Vision 2030 ist kein politisches Programm. Den Abschied vom Öl und Gas haben auch die Golfstaaten zugunsten einer „Diversifizierung“ vor. Der Bau einer Formel-1-Strecke in Bahrein, die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar und der Bau von Luxushotels in den Emiraten sind Aushängeschilder eines nun auch touristischen Standbeins.** Ein guter Unternehmer investiert in mehrere Projekte, sodass er eine Rücklage hat, sollte sich eines nicht lohnen.

Wer aber die Golfstaaten beobachtet, weiß, dass sich diese Länder im Grunde nicht geändert haben – zusammen mit Saudi-Arabien betreiben sie immer noch eine extreme pro-sunnitische Außenpolitik im Schatten der USA. Die Rechtsstellung Andersgläubiger, Frauen und – neuerdings – auch Arbeitsmigranten ist am Golf miserabel. Die gewaltigen Bauprojekte haben zu einer bis dahin unbekannten Wanderung zwischen dem indischen Subkontinent und dem arabischen Strand geführt. Die „Gastarbeiter“ gelten als Arbeitssklaven. Berüchtigt sind die Unterkünfte, in denen diese schlechter als Vieh behandelt werden. Der hundertfache Tod pakistanischer Arbeiter kreiste bereits beim Stadienbau in Katar durch die Nachrichten. Das Leben dieser Menschen ist den chauvinistischen Arabern keine Mücke wert – was zeigt, dass westliche Menschenrechte nicht automatisch mit westlichem Handel oder westlichen Wirtschaftskonzepten einhergeht. Dass die jeweils kulturell und sozial geltenden Normen – kurz: der Islam – das Maß aller Dinge sind, so, wie in Chinas Schaubühnenkommunismus letztendlich der Konfuzianismus die Mentalität prägt, darauf kann oder will der Westen mitsamt seiner ideologisch verblendeten Vertreter nicht kommen. Man wünscht sich förmlich, von einem gerissenen Betrüger belogen zu werden, um nicht jedweden Respekt vor der journalistischen Berufsgruppe zu verlieren; allein, nichts davon lässt sich herauslesen. Stattdessen garniert den Artikel ein dreifaches „Hoch!“ auf die Kanzlerin, so, als sähe sich der Staatsfunk zur obligatorischen Reverenz vor dem Geßlerhut genötigt.

Besonders bitter erscheint dieser Beitrag, wenn man sich Kühntopps andere Kommentare anschaut. So bezeichnet der Mann vom SWR Syriens Herrscher Assad als Dauerlügner und die Eroberung von Aleppo als nur schwer erträglich für „Demokraten“. Wir halten fest: gute Diktatur, böse Diktatur. Während im Jahr 2016 die vereinte deutsche Journalistenmeute jeden Maulwurfshügel durchwühlte, um dessen mögliche Erzeugung unter Mithilfe von Donald Trump zu beweisen, führte Saudi-Arabien zeitgleich einen völkerrechtswidrigen Krieg im Nachbarland Jemen. Das ist dasselbe Land, das hier wegen der Vision 2030 Vorschusslorbeeren erhält – obwohl es sich dabei grundsätzlich nur um ein Wirtschaftsprogramm handelt, welches den hauseigenen Verbrauch von fossilen Brennträgern drosseln soll. Grün ist zwar die politische Farbe des Islam, dass aber die Einhaltung des Kyoto-Protokolls einen Ablass auf alle außen- und innenpolitischen Sünden gewährt, darauf wäre vermutlich nicht einmal die Römische Kirche zu Luthers Zeiten gekommen. Leider bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn man bedenkt, dass die Saudis auch die Geldgeber jener Verteidiger von Aleppo waren, welche der radikalislamischen Al-Nusra-Front angehören. Die Al-Nusra-Front ist ein Ableger Al-Qaidas, wird von der UN als Terrororganisation eingestuft und gehört seit Ende Januar 2017 dem dschihadistisch-salafistischen Bündnis Tahrir al-Sham an.

Mir bleibt daher nur noch auf einen Tweet hinzuweisen:

________________________________________________________
*Ganz anbei: immer noch interessant, dass ein verhinderter Anschlag auf einen Mannschaftsbus in Deutschland mehr Erregung und Empörung verursacht, als der Mehrfachmord auf dem Breitscheidplatz. Die Fußballreligion und ihre „Helden“ haben als Prominente eben eine größere Bedeutung als die namenlosen Opfer von Berlin.
**Im Übrigen führt auch der Iran immer wieder an, dass er die Kernenergie nutzen möchte, um von den fossilen Brennträgern loszukommen. Gegen diese andere Art der „Vision“ haben die Anrainer der Mullahs freilich etwas einzuwenden.

Teilen

«
»