Abdel-Samad, das Kopftuch und die muslimische Pseudoatheistin

15. April 2017
Kategorie: Europa | Freiheit | Gastbeitrag | Historisches | Ironie | Italianità und Deutschtum | Medien | Mittelalter

Üblicherweise stehen hier nur Beiträge aus Löwenfeder (oder eben: Fremder Feder), der nachfolgende Fall lässt mich aber eine Ausnahme machen.

Mit Sicherheit kennen Sie den Publizisten Hamed Abdel-Samad, der einst mit Henryk Broder auf „Deutschland-Safari“ ging, und für seine Kritik am Islam bekannt ist – in seinem jüngsten Buch setzte er diesen mit Faschismus gleich. Weniger bekannt dürfte Ihnen vielleicht Jasamin Ulfat-Seddiqzai sein, die letzteren zu desavouieren versuchte.

Da die Angelegenheit in den Medien nur wenig vertieft wurde, hier ein Hintergrundbericht von Meike Katharina Roesch.

Am 31. März besuchte ich den „Talk im DKH“ in Dortmund. Gast war Hamed Abdel-Samad. Aus Angst vor Krawallen war eine im vorigen Herbst geplante Veranstaltung abgesagt worden. Eingelassen wurden nur angemeldete Gäste nach Ausweis- und Taschenkontrolle. Einen Bericht über den Abend wollte ich eigentlich gar nicht schreiben, und zwar aus dem einfachen Grund, dass der Vortrag genau so ablief, wie ich es erwartet hatte: Abdel-Samad war gut, das Publikum gemischt. Einiges war amüsant, erschien mir aber keiner schriftlichen Erwähnung wert. Vor ein paar Tagen machte mich dann eine Arbeitskollegin auf einen Zeitungsartikel aufmerksam, von dessen Foto mich eine der Vortragsbesucherinnen anlächelte. In freudigem Wiedererkennen las ich gespannt, was sie – es war ein Interview zusammen mit ihrem Mann – zu erzählen hatte. Nach Beendigung der Lektüre beschloss ich, dem Vortrag und den Geschehnissen doch ein paar Zeilen zu widmen. Nur der Vollständigkeit halber.

Kurz zu den Rahmenbedingungen: Anwesend waren knapp 300 Besucher, die Reihen waren gut gefüllt, das Publikum gemischten Alters und Stilempfindens. An der Eingangstür war vorsorglich – ist es doch hinlänglich bekannt, dass Rechtsextreme den streitbaren Autor für vogelfrei erklärten, weswegen er bar jedes Privatlebens unter Polizeischutz lebt – folgendes Schild angebracht: „Die Stadt Dortmund behält es sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, von der Veranstaltung auszuschließen.“

Nicht uninteressant war die Beobachtung des Klatschverhaltens während des Vortrags. Es gab zwei Blocks. Die Klatscher bildeten einen Block vorne links und einen hinten rechts, der Rest trug moralisch so einwandfreies Schweigen zur Schau, dass die Stille fast massiv wirkte. Gekonnte Choreographie der Reflektierten, die aus Angst vor einfachen Antworten sicherheitshalber erst bei Übersteigung der eigenen intellektuellen Möglichkeiten zur Zustimmung bereit sind. Interessant war aber vor allem, dass sich die meisten Leute im Raum, obwohl einander eigentlich fremd, doch zielsicher der eigenen weltanschaulichen Kohorte zugesellt hatten. Vor mir saß ein junges Pärchen – er nachlässig gekleidet, sie in Sportkleidung, einen Kaugummi kauend, die Füße auf dem Stuhl vor ihr geparkt –, dem die Nähe zur hinteren klatschenden Abteilung, in die ich ganz unschuldig geraten war, sichtlich unangenehm war. Das Unwohlsein der beiden, eingekeilt zwischen Islamkritik von vorne und Zustimmung von hinten (einziger Ausweg wäre die aufsehenerregende und kaum elegant zu lösende Flucht gewesen, saßen die beiden doch in der Mitte der Stuhlreihe) stieg beständig. Mit ihm, muss ich gestehen, auch meine Erheiterung über das Schauspiel der sich windenden Sportsgeister.

Abdel-Samad lieferte, ließ sich durch keine Islamapologetik aus der Ruhe bringen, argumentierte. Ein Bonmot erlaube ich mir zu zitieren: „Ich bin der Meinung, dass der Koran das einzige heilige Buch ist, das den Hass zu einer Tugend erhoben hat und den Krieg zu einer heiligen Pflicht.“ Er sprach von islamischen Gelehrten, von Avicenna und Averroes, den islamischen Gelehrten, die laut Abdel-Samad zu Unrecht heute in Folge pathetischer Geschichtsverklärung vom Islam vereinnahmt werden. Der einzige Anteil, den der Islam an ihren Leistungen habe, sei, dass er ihre Werke verboten, teils verbrannt und Avicenna des Landes verwiesen habe. Zwar wehte in Cordoba ein der Wissenschaft förderlicher Wind, nicht aber wegen des Islams, ganz im Gegenteil. Die Qualität sei darin zu bemessen, dass die Leistungen, namentlich die medizinischen und übersetzerischen – letztere übrigens ohnehin keine der Muslime, die des Griechischen nicht mächtig waren, sondern christlicher und jüdischer Gelehrter – zustande kamen, obwohl der Islam Hegemon war. Er sprach vom Kopftuch als Symbol des politischen Islams, er definierte den Beginn des politischen Islams im Gegensatz zum spirituellen: In dem Moment, in dem ein Vater sage, seine Tochter solle nicht am Schwimmunterricht teilnehmen, weil sie Muslima sei, beginne der politische Islam. Am Ende erklärte Abdel-Samad, was das Kopftuch von „ganz normalen Kleidungsstücken“ wie seiner Jacke unterscheide, sei der Umstand, dass er seine Jacke jederzeit ausziehen könne, es der Zweck der Jacke sei, ausgezogen zu werden.

Diese Äußerung rief eine junge Frau mit Kopftuch auf den Plan. Von hinten war sie für mich nicht als Muslima zu erkennen, das Kopftuch war eher im Stil der in den vergangenen paar Jahren unter Studentinnen recht beliebten H&M-Tücher gehalten, besonders gerne getragen in feministischen oder eher linken Kreisen. Sie trug vor, Dozentin an der Universität Duisburg-Essen und Atheistin zu sein, trotzdem das Kopftuch zu tragen, wofür sie auch Gründe habe, die sie jetzt aber nicht anführen wolle. Jedenfalls sei das Tuch sehr wohl ein normales Kleidungsstück und in keinem Fall politisches Symbol oder Signum der Unterdrückung der Frau. Da das Kopftuch für sie als Atheistin, so meine Gedanken, tatsächlich nur modische Bedeutung haben kann, konnte ich ihr Eingreifen in eine religiöse oder politische Debatte nicht recht nachvollziehen. Was sie auf dem Kopf trug, war ja streng genommen kein Kopftuch, es käme ja auch niemand auf die Idee, den Strandlookfeministinnen zu unterstellen, sie verschleierten sich. Dreißig Sekunden später hatte ich den Vorfall schon wieder als Kuriosität ad acta gelegt und mich gedanklich schon auf den Heimweg vorbereitet, als, Abdel-Samad sagte gerade wieder etwas über Kopftücher, die junge Dame erneut aufstand, dieses Mal ohne Zuschauermikrofon einige Sätze, die ich nicht verstehen konnte, sprach, und damit für eine gewisse Erregung im Saal sorgte. Das nächste, was ich hörte, war Abdel-Samad, der beruhigend mit ihr sprach und sagte, sie müsse das nicht tun und da sie ja ohnehin Atheistin sei, hätte es ohnehin keinerlei argumentative Kraft für irgendetwas. Kurz darauf begann sie triumphierend, ihr Kopftuch abzuwickeln. Als sie fertig war, stand sie also ohne Kopftuch da. Ich hatte kurz das Gefühl, dass die Situation für sie etwas unbefriedigend sein müsse, denn die Erwartung, es uns allen zu zeigen, wurde atmosphärisch und praktisch enttäuscht. Es erfolgte gar keine Reaktion, die meisten Leute im Publikum nahmen den Vorgang etwas verwundert zur Kenntnis. Verstanden, was sie vorher gesagt hatte, hatten wohl nur die nah Umsitzenden. Keine Erkenntnis, keine Empörung, kein Aufbrausen, nichts. Ich empfand den Schluss als ganz gelungen und fuhr nach Hause.

Ein paar Tage später dann der Zeitungsartikel. Eine Kollegin machte mich darauf aufmerksam. Ein Interview mit der jungen Frau, die, wie ich erfuhr, Jasamin Ulfat-Seddiqzai heißt, verheiratet ist, eine kleine Tochter hat, an der UDE arbeitet und im Bereich Postkolonialismus promoviert. Nebenbei publiziert sie nicht-wissenschaftliche Texte in Zeitungen. Beim Lesen des Interviews – es ging um ihr Leben und ihre Ansichten, insbesondere ihr Verhältnis zur Religion – habe ich dann den Vorgang am Vortragsabend etwas besser verstanden. Sie ist gar keine Atheistin, die ihre Kopfbedeckung abgenommen hat, eine Handlung, deren Symbolgehalt mir unverständlich war. Ihr Mann gibt Islamunterricht an einer Schule, sie selbst ist nach eigener Auskunft nicht besonders spirituell, verbindet den Islam vor allem mit Askese und geht außer dem Fasten und vorschriftsgemäßen täglichen Gebeten keiner religiösen Praxis nach. Das mag eine sehr liberale und eklektizistische Auslegung der Religion sein, ist aber weit entfernt von Atheismus. Das öffentliche Abnehmen ihres Kopftuches war also doch das Abnehmen eines religiösen Symbols. Und, hier liegt doch eine Pointe, die Abdel-Samad ironischerweise in seiner Sicht der politischen Bedeutung des Tuches bestätigt: Das Abnehmen des religiösen Symbols in Abwehr einer kritischen These ist eine eindeutig politische Aktion. Somit hat sich selbst das Tuch einer progressiven, westlich orientierten Frau, die sich selbst als „Deutsche“ bezeichnet, im Kontext dieser Diskussion zum Symbol des politischen Islams gewandelt. Ich kann es abnehmen, obwohl ich Muslima bin, und deshalb ist jede Kritik haltlos. Als änderte ihre persönliche Einstellung irgendetwas am Symbolgehalt der Verschleierung. Dieselbe Logik, vom Besonderen auf das Allgemeine zu schließen, wird Rechten gerne vorgeworfen, übrigens auch ein Lieblingsthema von Jasamin Ulfat-Seddiqzai, die sich nahtlos einreiht in die Riege politisch korrekter Feministinnen, die in allen konservativen und „rechten“ (was sie meint, sind vor allem werteorientierte) Bestrebungen die letzten Zuckungen eines sterbenden Systems sieht, das bald zu unserem Glück überführt wird in das zur Genüge bekannte Utopia der Globalisten. Soviel zu einer unschuldigen Geste einer Politaktivistin, ein gewöhnliches, höchstens persönlich bedeutsames Kleidungsstück betreffend.

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