Biologistische und zyklische Geschichtsphilosophie

28. März 2017
Kategorie: Antike | Europa | Fremde Federn | Historisches | Philosophisches

In seinem Beitrag „Von Platon bis Fukuyama. Biologistische und zyklische Konzepte in der Geschichtsphilosophie der Antike und des Abendlandes“ führt der Althistoriker David Engels u. a. aus:

Denn der Rückzug in eine Betrachtung der Ereignisse, „wie sie eigentlich gewesen sind“, mag zwar vom rein einzelwissenschaftlichen Standpunkt her ebenso komfortabel wie unproblematisch sein, läuft aber letztlich auf eine Apologie rein antiquarischer Geschichtsbetrachtung hinaus, welche dadurch auch gesamtgesellschaftliche Tragweite erhält, daß sie darauf bedacht ist, innerhalb der eigenen Disziplin keinerlei Opposition zu tolerieren, welche eine andere Perspektive auf die zusammengetragenen Fakten entwickeln könnte. Anders ausgedrückt: Dadurch, daß die Geschichtswissenschaft, mit Spengler gesprochen, sich selbst zur bloßen „Ameisenarbeit“ herabgewürdigt hat und aus Opposition gegen die „Gefahren“ der Geschichtsphilosophie die Möglichkeit bestreitet, die solchermaßen aufgehäuften Fakten überhaupt irgendwie sinnbringend für Gegenwart wie Zukunft zu deuten, ist eben diese Deutungshoheit keineswegs verschwunden, sondern hat sich vielmehr in die Kreise derer verlagert, welche erfahrungsgemäß hierzu am schlechtesten qualifiziert sind, da ihr Interesse an Geschichte unweigerlich von ebenso eigennützigen wie kurzsichtigen Zielsetzungen geprägt ist: Journalisten und Politiker.

Daß eine solche, geschichtsphilosophisch motivierte Selbstabdankung der Geschichtswissenschaft auf lange Sicht hin tragische Folgen für die Disziplin an sich haben muß (und bereits hat, bedenkt man den geradezu spektakulären akademischen Schrumpfungsprozeß aller historischen Disziplinen und den konsequenten Abbau des Humboldt’schen humanistischen Bildungsideals), ist daher nur eine natürliche Konsequenz, mißt sich doch die Bedeutsamkeit einer wissenschaftlichen Disziplin an ihrem konkreten Nutzen für Gegenwart und Zukunft. Und welchen Nutzen soll dabei eine Geschichtsschreibung haben, welche auf prinzipieller „Offenheit“ besteht und somit bestreitet, daß Geschichte in Anbetracht der prinzipiell gleichbleibenden menschlichen Natur vielmehr durch die Wiederkehr repetitiver Strukturen geprägt ist, und daß es die eigentliche Aufgabe der Geschichtsschreibung sein müßte, durch Studium der Vergangenheit eben diese Strukturen als solche kenntlich zu machen, um somit ihr Wiedererkennen in der Gegenwart und, im Rahmen des Möglichen, ihre Auswirkungen auf die Zukunft zu ermöglichen? Dies war jedenfalls die ursprüngliche Definition der Historie, denkt man etwa an Thukydides, dessen klassische Beschreibung des Nutzens der Geschichtsschreibung offensichtlich den Gegenpol dessen ausmacht, was seit einigen Jahrzehnten offizieller Konsens zu sein scheint:

Zum Zuhören wird vielleicht diese undichterische Darstellung minder ergötzlich scheinen; wer aber das Gewesene klar erkennen will und damit auch das Künftige, das wieder einmal, nach der menschlichen Natur, gleich oder ähnlich sein wird, der mag es so für nützlich halten, und das soll mir genug sein: zum dauernden Besitz, nicht als Prunkstück fürʼs einmalige Hören ist es aufgeschrieben.

[…]

Die scheinbare Bestätigung des Fortschrittsglaubens durch die technologischen Entwicklungen der letzten beiden Jahrhunderte hat dann den etwas kurzsichtigen Glauben daran, daß Weltgeschichte sich im wesentlichen auf die Aneinanderreihung „großer Erfindungen“ reduziere, zu einem verbreiteten Allgemeingut zumindest innerhalb der westlichen Welt gemacht, woran wohl auch die überall festzustellende, erschreckende Schrumpfung des historischen Horizonts des akademischen Betriebs nicht unschuldig sein dürfte, welcher mittlerweile auf naivste und reduktionistischste Weise das Studium der „Weltgeschichte“ auf eine „moderne“, letztlich rein westliche Epoche, und eine „vormoderne“ Epoche reduziert hat, welche dann den Rest der Welt und die letzten Jahrtausende behandelt.

[…]

Und so erstaunt nicht, daß sich gerade im 20. und 21. Jh. angesichts der zunehmenden Fragwürdigkeit des inhaltlich weiterhin nicht bezweifelten Fortschrittsgedankens viele Stimmen erhoben haben, welche einer nostalgischen Sehnsucht nach der vermeintlich „heilen“ Zeit der „Vormoderne“ nachhängen; eine Sehnsucht, welche zum einen durchaus als wertvolles Korrektiv der Entartungen der Gegenwart interpretiert werden kann, zum anderen aber auch große Gefahren in sich birgt, da meist nicht erkannt wird, daß das scheinbare „Heil“ der Vergangenheit wesentlich von gesellschaftlichen und spirituellen Geistesverfassungen geprägt war, deren Wiederkehr gleichzeitig alle Grundvoraussetzungen aushebeln würde, auf denen die gegenwärtige westliche Welt gegründet ist.

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