Ende Februar hatte ich die Erwiderung der beiden Historiker Morley und Steinacher auf die Thesen ihres Kollegen Engels vorgestellt und aufgezeigt, weshalb die dort vorgebrachten Vorwürfe einer längeren Untersuchung nicht gänzlich standhalten. Ebenso hatte ich dem Artikel Engels eigene Apologie angehängt.
Dieser „Althistorikerstreit“ – ich entnehme dem Begriff eher Ironie als Ernst – ist noch nicht am Ende. Morley betreibt eine eigene Seite, den „Sphinxblog“.* Dort hat er sich zur Replik des Brüsseler Kollegen geäußert, wenn auch in einem recht unkollegialen Ton. Ich wollte dies zuerst nur im Interesse der Leser dokumentieren statt zu kommentieren, komme jetzt aber doch nicht um einen längeren Beitrag herum, weil Morleys Angriff – so muss man es hier ganz deutlich nennen – Symptome offen legt, welche man allgemein nur in Politik, Journalismus und ganz bestimmten Geisteswissenschaften vermutet, nun aber auch die Historischen Seminare einzunehmen versucht.
Es sei dem vorangestellt: in meiner Zeit am Seminar für Alte Geschichte lernte ich gerade diese Sparte als die womöglich toleranteste und offenste der verschiedenen Epochenschwestern kennen. Der Zeitgeschichte hängt immer der Makel an, dass viele derjenigen noch leben, denen man auf die Füße treten kann; Zeiten, die möglichst weit zurück liegen, muss man nicht mehr mit denselben Samthandschuhen anfassen. In meinen Studentenjahren konnte ich so noch eine Seminararbeit abliefern, die den römischen Dictator Sulla als vorbildlichen Staatsmann und klugen Strategen zeigte, der im Gegensatz zu seinen Rivalen die Anwendung der machtpolitischen Spielregeln besser beherrschte, und dessen Marsch auf Rom mehr Notwendigkeit als Herrschsucht darstellte. Ganz abgesehen davon, dass Sulla eine der ganz wenigen Männer der Geschichte ist, der die Macht aus den Händen geben konnte und sein Leben friedlich im Bett beendete.
Versuchen Sie nur einmal daran zu denken, Ähnliches über einen Gewaltherrscher des 20. Jahrhunderts zu schreiben. Völlig unmöglich.
Das Exempel ist bewusst gewählt, weil Morleys Blogeintrag so ganz anders geartet ist, als das, was man von einem Althistoriker erwarten würde. Noch in meinem Beitrag schrieb ich, dass ich mir nicht vorstellen könne, dass die Titelzeile von einem der Historiker stamme. Nachdem ich mir aber „If it comes up mud“ durchgelesen habe, bin ich mir dessen nicht mehr sicher. Was meint Morley mit dem Schlamm, der hier aufkommt? Etwa die „Schlammschlacht“ als solche, die aber bisher noch auf einem sehr gemäßigten und einem – für Zeitungsverhältnisse – recht akademischen Niveau verlief? Könnte der Schlamm auf Engels Thesen bezogen sein, die er gewissermaßen als Müll abtut? Oder steckt die letzte – und mit Abstand provozierendste – Absicht dahinter, nämlich, dass Engels mit seiner Arbeit Steigbügelhalter eben jenes Faschismus sei, den er postuliert und deshalb sogar für diesen verantwortlich sei?
Ich werde letzterem Punkt später besondere Beachtung schenken, möchte aber wenigstens ein paar Nebenpunkte ansprechen. Die Angelsachsen zeigen sich im akademischen Betrieb seit jeher provozierender, überspitzter, manchmal sogar polemischer als ihre kontinentalen Kollegen, meiner Ansicht nach überschreitet Morley diese Linie nicht nur mehrmals, sondern auch völlig ohne Not. So zeigt er sich despektierlich, einfach nur um despektierlich zu sein, indem er Engels These auf ein lapidares „The EU Is Doomed, Because Rome“ zuspitzt. Das darf man noch als Polemik werten. Auch über die Zeilen …
Fair enough; if over the next 20-30 years Europe collapses into civil war – and it’s worth stressing that this is not about a return to warring nation states, according to Engels’ model, but about conflict between suburbs and districts within different regions of Europe – and then willingly surrenders in toto to a single charismatic autocrat, then he wins, and as the prophet of the new regime will presumably be in a position to have me locked up and my property confiscated. We win if it doesn’t. My real problem is deciding what the stakes should be; let’s say 10 litres of fresh water, as that will be worth its weight in gold in any post-apocalyptical wasteland you care to imagine, and will be perfectly serviceable in any case.
… kann man möglicherweise noch sarkastisch grinsen. An anderer Stelle verfällt Morley nur in Rosinenpickerei, wenn er unbedingt den Historikerstreit mit dem Althistorikerstreit nicht gleichsetzen will, weil Habermas fehle.
Insofar as the current debate can be labelled an Althistorikerstreit – that really does seem much too grandiose, though I promise to change my mind on this if Habermas weighs in – then it is one in which the interpretation of the past is a secondary matter, even if I do have serious doubts about many aspects of Engels’ account of the Roman Republic.
Völlig überflüssige Sticheleien in einem akademischen Diskurs, dazu als Fernduell. Aber spätestens hier überspannt Morley deutlich den Bogen:
No, I don’t think so. We’ve suddenly shifted from “the history of the late Roman Republic shows the path that Europe is destined to follow” to the much vaguer assertion that “there will be civil unrest, and a range of problems with the legitimacy of European democracies and multicultural societies” – which is a wager more along the lines of “I bet I know what the weather was like yesterday”.
If the only solid, testable components of the theory are things that are already true, then it’s difficult to see what Roman history adds to the discussion beyond a veneer of scholarship and a claim of Historical Inevitability. Roland and I are not idiots; we’re not claiming that there are no issues with contemporary Europe or the EU, let alone claiming to predict that everything is guaranteed to be wonderful. Rather, we simply reject the claim that history – any history – can tell us what will happen in future. We find Engels’ particular claims especially problematic – I mean, seriously, a pan-European autocrat? – but this is about the general principle of what we can and can’t learn from the past, not about proposing a rival vision of future events. Maybe that was a mistake; clearly there’s more money and publicity in making prophecies than debunking them.
Morley behauptet also, Engels sei zurückgerudert, hätte quasi seine These geändert. Das stimmt aber so nicht; mich beschleicht bei solchen Behauptungen immer wieder die Vermutung, dass Morley bisher nur die verschiedenen Interviews, aber immer noch nicht das eigentliche Buch gelesen hat. Befremdlich ist zudem die höhnische rhetorische Frage, die einen paneuropäischen Diktator als absurd darstellt – unter dem Gesichtspunkt, dass mit Karl dem Großen und Napoleon dies bereits zweimal de facto stattgefunden hat, und auch in der jüngeren Geschichte von totalitären Diktatoren versucht wurde, ist das für einen Historiker ein merkwürdig selbstverliebter Ton. Wie Engels in seinem „Postscriptum“ schreibt, sind Details nicht identisch; Geschichte wiederholt sich ja auch eben nicht identisch, sondern reimt sich. Morley unterstellt – und tut das den ganzen Beitrag über – als würde der belgische Kollege sein Modell holzschnittartig 1:1 postulieren. Diesen Anspruch erhebt Engels freilich nicht, und beschreibt dies auch auf den letzten Seiten seines Buches ausführlich, wenn er sagt, es sei die Rede von „strukturellen Parallelen“ und eben „keineswegs von einer unmittelbaren Identität“. Diese Art der Unterstellungskultur ist insbesondere in einem ganz bestimmten Milieu anzutreffen, und leider stelle ich fest, dass auch Morley darunter fällt.
A recent UK survey suggests that historians are among the most trusted professions – at least when they are talking about their own area of expertise – ranking miles above economists, let alone politicians. There’s no indication of why this view is held; my guess would be some combination of acceptance of our claims to research integrity and basing everything in the evidence, a belief that the past is something about which one can have reliable knowledge rather than just opinion, and recognition of the low-stakes nature of the subject matter, so that it’s neither in our interests to lie about the past nor in the interests of the media to rubbish our expertise on a regular basis.
The existence of such trust places a responsibility on us: not to undermine it by abandoning the principles of historical research and argument, and not to abuse it by drawing on historical authority to push a different agenda. That isn’t to say that historians cannot express political opinions or produce simplified popular accounts, but in both cases this needs to be done with responsibility: the simplification as a necessary compromise for the sake of accessibility, with the aim of moving the reader/viewer towards a more complex understanding, rather than peddling any old rubbish for the money with contempt for the audience; political opinions either clearly presented as personal rather than professional, acknowledging that we’re now speaking beyond our area of expertise simply as well-informed citizens, or presented in a professional manner, caveats and all.
Wir als Historiker haben eine Verantwortung zu tragen. Wir sind moralisch verpflichtet. Du, David Engels, stellst dich außerhalb davon, weil du nicht so umsichtig forschst und schreibst, wie das von unserer Zunft gefordert wird. Und ja, es geht noch weiter:
Engels has regularly stressed that he is not promoting a political agenda, but simply reflecting on what he, as a historian, sees when he compares the present with the Roman Republic. It’s the Buffy defence, effectively: “I didn’t jump to conclusions. I took a tiny step, and there conclusions were.” I confess I find it a little hard to believe that someone would write, and energetically promote, an entire book about the comparison between Rome’s decline and the present state of Europe without the slightest hint of a political agenda, but let’s take this at face value. I still think there’s a problem.
[…]
“History shows” that the EU is doomed to failure? Good lord, never imagined that this might be taken up by right-wing nationalists and the stooges of hostile powers who are actively seeking to bring down the European project. “History shows” that European culture is a unified body of values that’s intrinsically incompatible with Islam or other foreign stuff? I am shocked, shocked that this would be seized upon by racists and Islamophobes…
Nicht das, was Engels sagt, ist wichtig – sondern das, was Morley denkt. Kennen Sie diese Art der Unterstellung? Es ist jene Krankheit des Diskurses, welche die Medienhäuser beherrscht. Moralismus in der Geschichtswissenschaft. Mir gefällt nicht, was du sagst, weil es die Leute bestätigen könnte, die ich nicht mag. Morley ist „schockiert“. Die Passage liest sich sehr emotional, auch danach:
Claiming that “History shows” the entire enterprise is doomed, however, is an attempt at circumventing and terminating discussion, at presenting an individual political opinion about the EU as an objective feature of reality.
Yes, in a couple of decades we can see what’s happened – but that, in its simple form, implies that ideas have no power to shape events. On the contrary, claims about What History Shows can become self-fulfilling if they persuade enough people. “The EU is doomed, Because Rome” thesis is either a conscious contribution to efforts to bring that about, or an abdication of responsibility for how others might make use of such ideas.
Was soll der Schluss einer solchen These sein? Dass unliebsame Forschungsergebnisse nicht mehr debattiert werden können? Dass Boten erschlagen werden, der Nachricht wegen? Dass ein Forscher wegen seiner Ergebnisse, welche politischen Strömungen Vorschub leisten könnten, schweigen soll? Freiheit der Wissenschaft?
Morley wirft Engels vor, seine Herangehensweise sei gewissermaßen deterministisch, dass die EU verloren sei und damit Diskussionen umgehe – aber wie soll man das dann nennen, was Morley hier tut, indem er Engels „Verantwortung“ zuschieben will, wenn rechte oder rechtsextreme Parteien Aufwind erhalten? Man muss nicht erschrocken sein, aber zumindest erstaunt, dass Morley als Verfechter dieses ach so freien Europas und seiner Werte, sich selbst wohl auch noch als Liberalen betrachtend, hier ganz autoritär Meinungen verbieten will bzw. dafür „moralische Verantwortung“ fordert. Himmel hilf – unter Morley wäre ein Machiavelli heute nicht denkbar, denn seine Thesen könnten Wasser auf den Mühlen der Borgia und der Medici sein! Der gesamte Zweig der realistisch-zyklischen Geschichtsforschung müsste demnach eingestampft werden, wollte man dies mal im Morley’schen Sinne überspitzen.
Nein, ich bin kein Professor wie Morley oder Engels, aber ich kenne den Betrieb doch zu gut, als dass ich mich frage – wer stellt denn am Ende fest, was moralisch vertretbar ist, und was nicht? Gibt es dazu ein Gremium? Wer legt fest, was ich als Forschungsmeinung von mir geben darf und was nicht? In diesem Fall spielt sich Morley zu eben dieser Instanz auf. Ich habe keine Ahnung, woher er diese Selbstgewissheit nimmt, mir wäre allerdings neu, dass die Freiheit der Forschung eingehegt werden soll, wenn das Resultat nicht gefällt. Jedenfalls noch nicht.
Der Fall macht stutzig. Denn er zeigt, dass nicht etwa Engels mit seinen – aus liberaler Sicht sicher provokanten – Thesen das Problem ist, sondern eher Leute wie Morley, die nicht etwa den Forschungsbestand als solchen anfechten, sondern dessen Auswirkungen. Es riecht stark nach eben jener deutschen Forschungsmeinung, die sich gegen die Ergebnisse von Christopher Clark wehrte, weil dessen „Schlafwandler“ bedeutet hätten, dass Deutschland keine Alleinschuld am Ersten Weltkrieg trüge; das aber wäre ein moralisches Manko gewesen. Es ist immer dasselbe, wenn sich Menschen auf einer Mission glauben.
Proud to be a citizen of the world; if that makes me a citizen of nowhere, well, that was Lucian's recommendation for the true historian…
— Neville Morley (@NevilleMorley) October 5, 2016
Welche Mission die des verehrten Morley ist, sieht man in seinem angehefteten Tweet. Auch zu diesem Typus Wissenschaftler sagt Engels etwas in seinem Postskriptum – aber man muss davon ja nicht gleich alles vorweg nehmen. Ich lege jedenfalls 10 Liter Frischwasser als Vorrat für Morley an, sollte er bei Wettabschluss diese nicht an Engels erstatten können …
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* Ich könnte die eben begonnene Ironie fortführen, dass unter Historikern mythische Tiere bei der Benennung ihrer Diarien anscheinend keine unpopuläre Rolle spielen, aber lassen wir dies vorerst beiseite …