Das Ziel des Terrors

23. Dezember 2016
Kategorie: Carl Schmitt | Europa | Freiheit | Historisches | Lesermeldung | Machiavelli | Medien | Non enim sciunt quid faciunt | Philosophisches | Tichys Einblick

Zum jüngsten Anschlag in Berlin äußerte sich Leser Horst Herold so:

„Ich möchte Ihnen da widersprechen: Ziel von Terroristen ist es, Schrecken (terror) zu verbreiten, nicht möglichst viele Menschen zu töten. Natürlich ist der Schrecken kein Selbstzweck, sondern dient wiederum weiteren Zielen. Das kann die Beeinflussung politischer Entscheidungen sein, aber auch grundsätzliche Destabilisierung und Zermürbung.“

Ich möchte mich heute etwas länger mit dem Ziel des Terrors und seiner Geschichte beschäftigen; der zitierte Leser soll das bitte nicht als persönliche Antwort oder Gegenrede verstehen, sondern nur als Ausformulierung meiner Ansicht, welche ich – wie ich aufzeigen werde – aus vielfältigen Gründen für die richtigere und in der Quintessenz auch realistischere halte, vor allem, um das Wesen dessen zu verstehen, was passiert. Nicht nur im Beitrag selbst und angefügtem Antwortkommentar habe ich meine Meinung verdeutlicht, sondern auch schon vor vielen Monaten auf Tichys Einblick, als Herles dort etwas ganz Ähnliches schrieb. Der Löwe antwortete:

Da ich es immer wieder lese, erhebe ich Einspruch gegen die Floskel „das Ziel der Terroristen ist die Zerstörung der offenen Gesellschaft“, oftmals auch abgekürzt: Angst ist das Ziel der Terroristen.

Nein, das Ziel der Terroristen ist es, möglichst viele Menschen zu töten. Ihre Ziele erreichen sie nicht wegen einer von uns irgendwie angefangenen Umformung der Gesellschaft, sondern indem sie die Ungläubigen bekämpfen. Dem Islamisten ist es herzlich egal, was man fühlt oder denkt.

Die Auflösung der Staatsgewalt zugunsten von Partisanengruppen, vom „totalen Krieg“ im besten Sinne des Wortes gegen den „absoluten Feind“ – das ist weitaus mehr das Ziel von Terroristen, die als solche bereits nichtstaatlich agieren. Ob der Staat überhaupt eine Chance dagegen hat, und seinem Wesen nach fähig ist, diese Gefahr einzudämmen, und überregulierte Sicherheitsmaßnahmen ergo Sinn ergeben, steht auf einem eigenen Blatt; das ändert aber nichts an der Zielsetzung, die alles andere als ideell, sondern im besten Sinne konkret darin verläuft, statt der Lebenswirklichkeit die Staatswirklichkeit und das ebenso konkrete Ableben von „Feinden“ zu befördern.

Jetzt mag man meinen: so verschieden ist das nicht. Das aber nur auf den ersten Blick, denn eine „offene Gesellschaft“ ist zuerst einmal eine sehr abstrakte Angelegenheit, verglichen mit Verletzten, Verkrüppelten und Gemeuchelten. Weitergedacht: womöglich ist „terror“ das falsche Wort, um überhaupt das zu bezeichnen, was schon so oft passiert ist, wieder passiert und noch oft passieren wird. Das Wort „terror“, also „Schrecken“, insinuiert nämlich bereits das Ziel. So scheint dann auch die Erklärung bei der Hand. Gehen wir aber vom islamistischen Terrorismus aus – und vieles deutet derzeit darauf hin – dann müssen wir unsere Benennung oder Definition von Terrorismus überdenken.

Unser Bild von Terror wird immer noch stark von den 70er Jahren geprägt; in Italien von den Jahren des Bleis und den Roten Brigaden, in Deutschland vom Deutschen Herbst und der RAF. Auch die IRA und andere Organisationen ähnlicher Couleur wie die ETA können wir dieser Kategorie zuschlagen. Anschläge, Attentate und Entführungen waren reines Mittel zum Zweck: zur Freipressung von Gefangenen, beispielsweise. Die Opfer waren nicht selten symbolisch, oder wichtige Persönlichkeiten. Bereits hier zwei ganz offenbare Gegensätze: die heutigen Terroropfer sind wahllose Zufallsfälle, Erpressungen finden nie statt, ebenso wenig (unblutige) Entführungen. Hatten RAF und Konsorten bereits ihre Opfer zur reinen Verfügungsmasse degradiert, geht der Islamismus aber noch eine Stufe weiter: er teilt den Menschen gar keinen Wert mehr zu! Einzig die Masse zählt.

Es ist daher aus realpolitischer Sicht verantwortungslos, dem Volk weiszumachen, die Attentäter wollten eine Gesellschaft destabilisieren. Der Islamist geht weiter: er will nicht die Vernichtung des „Systems“ oder der „Zentralgewalt“, er will die konkrete Tötung von Ungläubigen. Wer sich nicht unterwirft, hat den Tod verdient. Hier mischt sich der politische Terrorismus mit jener religiösen Komponente, die der klassische Terrorismus alter Facon nicht kennt. Durch die komplette Entmenschlichung, der Absolutsetzung von Gut und Böse, erhält der schmitt’sche Partisan eine Handlungsmöglichkeit, welche selbst der Vorausdenker des Freund-Feind-Schemas so nicht hätte erahnen können. Bekämpft die Ungläubigen, wo immer ihr sie findet – das ist in seiner Totalität kaum zu toppen.

Im Linksextremismus bedeutete die Machtdemonstration gegen das System einen Sieg. Dem Islamisten genügte schon die Tötung Schleyers deswegen, weil er nicht an den richtigen Gott glaubte – bar seines Ranges, seiner Herkunft, seines Vermögens. Deswegen ist heute jeder Schleyer und niemand. Die Ideologen des IS wollen nicht die offene Gesellschaft destabilisieren, sie wollen in letzter Instanz Land erobern. Ob mit oder ohne Ungläubigen. Auch letzteres kann man bewerkstelligen. Und genau letztere Option war für regionalistische Terrorbanden genau so abwegig wie für linksextremistische. Man siehe nur in den Irak und nach Syrien: die komplette Auslöschung von Dörfern jesidischer oder christlicher Minderheiten wird dort erbarmungslos durchgeführt. Das ist die kalte Realität. Selbst ein RAFler wollte letztendlich über etwas herrschen. Der Dschihadist kann im Zweifelsfall auch über rauchende Trümmer gebieten und das Land neu bevölkern.

Das sind die Leute, mit denen wir es zu tun haben. Ihnen geht es nicht um Schrecken. Ihnen geht es um blanke Vernichtung, welche nur Konvertiten schont.

Man könnte dies als Anlass nehmen, mir vorzuwerfen, dass gerade wegen dieser veränderten Umstände der Terror von damals, den Schmidt bekämpfte, nicht mit dem heutigen zu verglichen sei, und daher auch das Vorbild Schmidt verfehlt. Wer aber die Rede Helmut Schmidts ganz genau verfolgt, hört einige Rezepte heraus, die heute nicht einmal „gedacht“ werden könnten. Neben der Mobilisierung der gesamten Staatsgewalt, und einer schonungslosen Kriegserklärung gegen alle, die sich dieser widersetzen, kommt der Aufruf des Zusammenstehens – aber eben nicht das leere Gefasel der One-World- und Herzchenfraktion, die neulich den Breitscheidplatz beanspruchte!

Schmidt selbst bediente sich hier jener Strategie von Freund und Feind, die seine terroristischen Herausforderer studiert hatten. Eine ganze Passage ist an die „Sympathisanten“ gerichtet, heißt jene, die das Treiben der RAF tolerierten, vielleicht sogar stützten. In dieser Situation macht Schmitt klar: entweder seid ihr für den Staat, für Deutschland, für „mich“ – oder ihr seid gegen den Staat, und damit gegen „mich“. Böses „Wir gegen die“-Denken, das heute sofort unter Verdacht gestellt wird. Aber eben diese Methode hebt Schmidt – vermutlich zu Recht – als jene hervor, mit der man Terroristen schlägt. Man muss das Rückzugsmilieu des Terroristen ausrotten, in dem er sich wie ein Fisch bewegt. Auch da könnte man Schmitts (wir reden wieder über den Eremiten von San Casciano, nicht den Kanzler) Theorie des Partisanen herausgraben, der die Unterstützung der Einheimischen hat und dort vor den Autoritäten sicher ist.

Weitergedacht: die damaligen linksextremen Milieus waren letztendlich überschaubar. Auch das Milieu der Sympathisanten. Heute dagegen gibt es im Ruhrgebiet, in Berlin, Frankfurt und anderen Großräumen rechtsfreie Zonen, in denen sich nicht einmal die Polizei hineinwagt. Die verfehlte Einwanderungspolitik hat sich damit selbst ein Problem herangezüchtet, da ein Appell an diese Bevölkerungsgruppen nicht denselben Effekt hat. Ganz abgesehen vom mangelnden polizeilichen Zugriff hat sich hier die Gesellschaft fragmentiert. Die Muslime dieser Gebiete fühlen sich nicht als Deutsche, nicht zum Deutschen Staat zugehörig. Im Zweifelsfall können sie nicht einmal Deutsch, das sie dazu befähigte, die Rede zu verstehen.

Und noch mehr: der Appell geht in dieser kritischen Lage nicht etwa in Richtung der Muslime, sich nunmehr offen zu Deutschland zu bekennen, sich vom Islamismus zu distanzieren und der säkularen Verfassung die Treue zu schwören – sondern fundamentiert diese Segregation des Nationalstaates hin zum Vielvölkerstaat auch noch, indem Vielfalt, Buntheit und der status quo sogar noch als vorbildlich gepriesen werden. Der Rüffel geht nicht in Richtung der Aquarien, in denen sich terroristische Piranhas tummeln – sondern gegen die Rechten, die „instrumentalisieren“. Wieder die linke Krankheit, dass eine abstrakte rechte Bedrohung (Theorie) als gefährlicher erscheint, als eine faktische islamische (Sein). Dass dieser morbus teutonicus weite Teile der Elite erfasst hat, ist keine Neuheit, aber wer es jetzt noch nicht versteht, den werden auch ein „Frankfurt“ oder „Hamburg“ nicht wecken.

Dabei erscheint der Aufruf, man dürfe sich jetzt nicht von den Terroristen diktieren lassen – absolut lächerlich. Wie schon erwähnt, ist das sowieso nicht das Ziel der Islamisten (das ist politisch gesehen die Scharia, welche über andere Hebel erreicht wird). Ganz im Gegenteil ist es für selbsternannte Dschihadisten, deren Krieg den Ungläubigen gilt, doch sehr praktisch, wenn alles so weiterläuft wie bisher. Kerzen, Teddybären, Wahrzeichen in Nationalfarben, keine Konsequenzen! Zum anderen: wir sprechen hier von Berlin. Die Stadt ist nicht nur eine Ausgeburt des Hedonismus (spätesten heute dürfte auf dem dortigen Kurfürstendamm wieder flaniert, gekauft und Party gemacht werden wie eh und je), der sich an solchen Vorkomnissen kaum stört, sondern ein Sumpf der Ignoranz. Was in Charlottenburg passiert, wird in Marzahn schon nicht wahrgenommen (und andersherum). Berlin ist ein Zeichen des Nebeneinanderlebens, und das wird nicht nur an den „Problemvierteln“ deutlich, wo ein Terrorist mit Sicherheit unbeschadet untertauchen könnte, ohne, dass es jemand bemerkt.

Ich gehe aber noch ein Stück weiter. Was ist denn dieser so vielgerühmte Lebensstil, den jetzt alle bemühen? Besinnungsloser Konsumrausch und Abgleiten in Amüsement und Bedeutungslosigkeiten? Es ist doch genau das, was neulich hier Thema war: wie bei Huxley, bei dem die Menschen so abgelenkt sind mit ihren „pleasures“, dass sie das Wichtige vom Unwichtigen nicht mehr unterscheiden können. Für mich persönlich klingt im Appell des „Weiter so!“ auch immer ein Stück des Nichtaufwachenwollens aus dem schönen Traum mit. Es ist ganz angenehm, liegen zu bleiben, und das dann auch noch hochmoralisch abzustecken. Insofern ist die Aussage, die Terroristen wollten genau dies zerstören, sogar ein Selbstbetrug. Wir machen es ihnen somit einfacher.

In eine ähnliche Richtung geht die Aussage, man müsse sich an den Terror gewöhnen, er sei Alltäglichkeit. Als Beispiel wird dann oftmals Israel angeführt, wo man sich auch an Anschläge „gewöhnt“ habe. Nur: dabei wird durchgängig ausgelassen, dass Israel nicht nur seine Sicherheitsvorkehrungen verschärft hat, sondern auch noch einen mehreren Meter hohen Grenzwall unterhält, der seit seiner Fertigstellung die Anzahl der Anschläge massiv gesenkt hat.

Aber kommen Sie diesen Apologeten mal mit dem Vorschlag, eine Mauer zu bauen. Der Glauben, geschlossene Grenzen änderten etwas, ist ja postfaktisch.

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