Unbegreiflich

20. Dezember 2016
Kategorie: Medien | Non enim sciunt quid faciunt | Zum Tage

Unbegreiflich ist, wie sehr die Rede Merkels zum Anschlag von Berlin im Kontrast zu jener von Helmut Schmidt im Angesicht des RAF-Terrors steht.

Unbegreiflich ist, dass ein Regierungsoberhaupt bei einer nationalen Tragödie im selben Ton und Duktus wie immer – das heißt: einer unverständlichen und verklausulierten Sprache – bleibt, und vom Papier abliest.

Unbegreiflich auch: wie ein Kanzler der Bundesrepublik Deutschland beim schlimmsten Terroranschlag in der jüngeren deutschen Geschichte davon spricht, „traurig“ zu sein. Ganz abgesehen davon, dass emotionale Sprache Populisten immer vorgehalten wird („sad“), sollte man sich nur eine Sekunde vorstellen, Helmut Schmidt hätte dergleichen dazumal geäußert (stattdessen: Zorn, Brutalität, Wahn!).

Unbegreiflich, ad quarto: statt dass der Staat mit aller notwendigen Härte antwortet, erscheint das Geschehen als schicksalsträchtige Naturgewalt, über die niemand verfügen kann, weswegen Politik keine Rolle spielt.

Unbegreiflich, dass Göring-Eckhardt anderen vorschreibt, was man zu denken und zu fühlen hat.

Unbegreiflich: Journalisten und Politiker, welche die Instrumentalisierung von „rechts“ beschreien, obwohl sie in Ermangelung irgendeines Mitleids das Ereignis selbst für ihre Agenda negativ instrumentalisieren, indem sie Hintergründe aussparen oder verdrängen wollen.

Unbegreiflich ist ebenfalls, dass es wohl ein Gedankenverbrechen geworden ist, Hintergründe aufzuklären, und Konsequenzen aus diesen zu schließen.

Unbegreiflich, dass man immer wieder davon faselt, Terror wolle Angst machen, diese sei die Priorität der Terroristen, weswegen man weiterleben solle wie bisher; dabei ist das primäre Ziel von Terroristen nicht die Verbreitung von Angst und Schrecken, sondern die Tötung von möglichst vielen Menschen.

Unbegreiflich, wie mit der Floskel der niemals hundertprozentigen Sicherheit gespielt wird, obwohl bereits das zu RAF-Zeiten kein Grund war, dass der Staat alle zur Verfügung stehenden Mittel zur Strafverfolgung und Tatvermeidung einsetzte.

Unbegreiflich, dass so eine Person mit elf Minuten Beifall und 90%-Ergebnis zur Spitzenkandidatin ihrer Partei gekürt wurde. Noch unbegreiflicher, dass diese Frau im September wieder gewählt wird.

Unbegreiflich, wie Fatalismus zur Staatsraison erhoben wird, unter dem Deckmantel von „Rationalität“, „mürrischer Indifferenz“ oder „neuer Alltäglichkeit“.

All dies ist unbegreiflich; unbegreiflich dagegen ist es nicht, wie dies geschehen konnte. Nizza war das Menetekel und seit Wochen hörte man von einer erhöhten Anschlagsgefahr auf deutsche Weihnachtsmärkte. Unbegreiflich ist eher, wie man ein Volk mit Emotionen vollzuseifen versucht, gerade vonseiten jener, die alles als postfaktisch bezeichnen, was ihnen nicht passt.

Um unbegreifliche Rhetorik begreiflicher zu machen; einmal die Rede Schmidts und einmal die Merkels im Vergleich; beide viereinhalb Minuten lang und doch komplett anders.

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