Politische Miszellen im deutschen November 2016 (2)

30. November 2016
Kategorie: Europa | Freiheit | Ironie | Italianità und Deutschtum | Machiavelli | Medien

Ad secundo: Die Brüsseler Rochade.

Es grämt mich, diesen Beitrag so spät zu verfassen, denn mittlerweile haben mich die Ereignisse eingeholt. Dem Löwen geziemt es nicht zu brüllen: ich habe es ja gleich gesagt. Dennoch, man möge ihm nachsehen, diese Gedanken seit Monatsanfang mit sich getragen zu haben, und nunmehr am Monatsende sich fürchterlicherweise in allem bestätigt zu sehen.

Die „Brüsseler Rochade“ war kein überraschendes Manöver. Olaf Scholz fühlt sich als Oberbürgermeister der sicheren Hansestadt zu wohl, als dass man ihm einen Schritt auf die Bundesebene zumuten wollte. Im roten Hamburg, das dazu ein eigenes Bundesland ist, lässt es sich schön regieren. Wieso für die SPD sich als Kanzlerkandidaten verheizen lassen, weil Sigmar Gabriel um seine Unbeliebtheit weiß? Auch wenn die Presse anderes verkündet: Scholz hätte nichts zu gewinnen und macht nicht den Steinmeier. Letzterer hatte sich stets als glücklos erwiesen und hatte auch keinen unabhängigen Platz wie Scholz inne; seit seiner Abwahl in NRW hangelte er auf Ministerposten, die allerdings nicht vom Volk, sondern von der Regierung abhängig sind. Scholz hat dieses Problem nicht: er ist Herr aus eigener Kraft.

Nicht auszuschließen, dass Scholz doch noch Kanzlerkandidat wird, aber damit bestätigte er mehr Dummheit, als ihm zuzutrauen ist.

Insofern war die Brüsseler Rochade der einzige Schachzug. Steinmeier wird Bundespräsident, dafür wechselt Schulz von Brüssel nach Berlin, um Steinmeier im Außenministerium zu beerben. Die Taktik ist offenbar: Schulz bekommt das Außenministerium, das als das „beliebteste“ gehandelt wird, um Lorbeeren und Ansehen zu sammeln. Als EU-Parlamentspräsident ist Schulz für den deutschen Wähler nicht greifbar, ein Gespenst im fernen Elfenbeinturm der Eurokratie. Als Minister würde er ab Februar im Zentrum der Bundespolitik stehen, und es dürfte offensichtlich sein, dass die SPD ihn bereits seit Januar hofieren wird. Das alles dient der Vorbereitung als Kanzlerkandidat, damit Schulz mit den Deutschen „warm“ wird.

Die Rochade offenbart aber gleich zwei Dinge:

Erstens die Verzweiflung auf der Suche nach einem sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten. Denn ganz abgesehen von Schulzens mangelnder Popularität und allen Vorurteilen (ob gerechtfertigt oder nicht) ist es doch ein Armutszeugnis, dass man einen Sozialdemokraten quasi aus dem Ausland holen muss, weil man vor Ort niemanden hat, dem man die Bürde auferlegen kann, 2017 gegen Merkel anzutreten. Früher hätte sich jeder um die Kanzlerkandidatur gestritten – man denke an die 90er Jahre und den Krach zwischen Scharping, Lafontaine und Schröder. Heute streitet man sich geradezu darum, wer es nicht macht. Einerseits folgt die SPD immer noch dem müntefering’schen „Opposition ist Mist“, hat aber andererseits keine Ambition auf die eigentliche Macht in Kanzlergestalt. Oppermann, der so unverhohlen von Rot-Rot-Grün philosophiert, hätte es doch selbst machen können! Aber nein: natürlich weiß Oppermann bereits, dass man 2017 nicht gewinnen wird, man mit Merkel als Kanzlerin gut leben kann, und die Fortsetzung der Großen Koalition auch für die SPD das Geringste aller Übel ist. Man verhandelt nur noch über den Preis und liebäugelt mit anderen Damen, um die Geliebte eifersüchtig zu machen.

Zweitens aber – und das ist noch gravierender – die völlige Uneinsichtigkeit der SPD und ihre letztlich immer noch in den 80ern und 90ern fußende Parteistrategie. Ein Manöver wie dieses, welches Karrieristen untereinander austauscht und diese dabei als vorausschauende Staatsmänner präsentiert (das gilt für Steinmeier als Bundespräsident, wie Schulz als möglichen Kanzlerkandidaten) – kurz: als auch noch vom Volk gewünschte Nominierte, die das Wohl des Staates so oft verteidigt und gefördert hätten, passt vielleicht in die Wohlstandsrepublik des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts, aber nicht in die Ära von Trump, Le Pen und Farage. Jetzt, da überall „Populismus“ wütet und das „Anti-Establishment“ auf dem Vormarsch ist, ausgerechnet zwei Vertreter des „Systems“ so in den Vordergrund zu rücken, bedeutet, seinen Gegnern Recht zu geben.

Kurz zu den Fakten in diesen postfaktischen Zeiten: Steinmeier ist bereits bei einer Wahl angetreten, und hat als Kanzlerkandidat 2009 mit 23% (!) eines der schlechtesten Ergebnisse eingefahren, dazu bei einer der niedrigsten Wahlbeteiligungen (70%) in der Geschichte der Bundesrepublik. Zu behaupten, die Deutschen wollten Steinmeier als Bundespräsidenten, ist daher blanker Hohn. Ebenso wenig kann Martin Schulz als Vorzeigepolitiker gelten: seine polternde, undiplomatische Art ist für das Bürgermeisteramt Würselens vielleicht gerade verkraftbar, aber schon auf EU-Ebene hat Schulz nicht den besten Eindruck gemacht. Der EU-Skeptizismus ist oftmals ein Deutschlandskeptizismus, und Schulz ist zur Fratze jenes Bildes des hässlichen Deutschen geworden. In Italien merke ich das immer wieder. Und der Mann soll bald Außenminister werden. Ganz abgesehen davon, dass der Kult um das Außenministerium und dessen mythische, „beliebte Kraft“ verblasst ist, seitdem der merkel’sche Igel immer vor dem steinmeier’schen Hasen am Zielpunkt ist.

Ganz abgesehen davon: selbst für Würselen scheint Schulz nicht geeignet, knabbert die Stadt doch immer noch an seinen Entscheidungen bezüglich eines Schwimmbads. Die Fehlentscheidung dürfen bis heute seine Nachfolger „ausbaden“, die auf den Kosten dafür sitzen bleiben – indes Schulz nach Brüssel wechselte. Der Schelm sieht Parallelen zur Gegenwart.

Die Illusion bezüglich einer Rot-Rot-Grünen Regierung, die von der SPD als Hoffnung auf eigene Macht, von der Union als Drohgespenst zum eigenen Machterhalt aufgebaut wird, bleibt eine Illusion. Sie ist rechnerisch nicht möglich und bleibt Mittel, um die – frei nach Strauß – „Lätscherten, Lammerten und Depperten“, die ihr Kreuz immer an derselben Stelle machten, zu genau diesem Ritual erneut zu bewegen. Eine Prognose bleibt Spekulation; doch rein konservativ geschätzt dürfte die Union bei ca. 30% landen, die AfD bei 15%, und die Liberalen bei 5% oder 6% einziehen. Damit kommen sie schon allein bei dieser vorsichtigen Schätzung auf 51%. Da noch mehr CDUler womöglich die Liberalen stärken, um Merkels 4. Kanzlerschaft grummelnd zu quittieren, und die AfD eher unter- als überschätzt wird, rückt das Schreckgespenst beider Großparteien in noch deutlichere Ferne.

Die Chimäre eines dominierenden linken Lagers in Deutschland verdankt sich dem Wahlsystem. Dadurch, dass FDP und AFD nur ganz knapp mit 4,8% an der Hürde scheiterten, ist das Linksspektrum im Bundestag überrepräsentiert. Fassen wir das Ergebnis von 2013 in absoluten (!) Zahlen zusammen, so bekamen Union, FDP und AfD zusammen ca. 22 Millionen Stimmen, die SPD, Grüne, und Linke nur 18 Millionen Stimmen. Das heißt, bereits 2013 haben die Wähler „rechts“ gewählt. Jeweils 2 Millionen Stimmen fielen für AfD und FDP weg. Dass dieser Umstand bis heute nie thematisiert wurde, und auch nicht dessen Bedeutung für die Medienberichterstattung (die sich nach dem Parlament, nicht nach Wählern richtet) und gefühlter Nichtvertretung im Parlament, ist womöglich einer der größten Skandale der Nachkriegsgeschichte.

Deutschland ist – wie übrigens die meisten Länder – von einer eher konservativen Wählerschicht geprägt. Der Rechtsruck dürfte seit 2013 eher zugenommen haben. 2017 wird sich dieser noch folgenschwerer Bahn brechen. Rein rational kann niemand daran glauben, dass die SPD in den nächsten Jahren nur den Hauch einer Chance auf die Kanzlerschaft hat, wenn sie nicht die Themen aufnimmt, welche heute das Leben jener Schicht des kleinen Mannes anspricht, die sie verraten hat. Rot-Rot-Grün ist eine numerische Unmöglichkeit und Traum jener Medien, die kaum die tatsächlichen ideologischen Mehrheiten in Deutschland abbilden. Stattdessen wird dieses Konglomerat aus Karrieristen und Medien – welche postfaktisch übersehen, was auf sie zukommt, -einen Clinton-Effekt für Deutschland beisteuern.

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