Machiavelli auf Tichys Einblick – Kommentare

31. August 2016
Kategorie: Freiheit | Historisches | Lesermeldung | Linkverweis | Machiavelli | Medien | Tichys Einblick

Die gestrige Machiavellerie lief für einen Feuilleton-Artikel wohl in gewöhnlichen Bahnen. Man kann nicht erwarten, zwischen der Röhl-Kolumne und einem Interview Alexander Wallaschs mit Götz Kubitschek, sowie den Anti-Merkel-Beiträgen dasselbe Interesse zu wecken. Aber: mir geht es ja nie so sehr um Quantität, als Qualität. Ich ließ es mir daher auch nicht nehmen, so gut wie möglichst auf die Kommentare einzugehen. Ein paar der dortigen Perlen und hiesigen Antworten zitiere ich an dieser Stelle gerne für die Zukunft.

Falkenauge schrieb:

Ich glaube nicht, dass man Machiavelli nachträglich so ins Positive wenden kann. Wie auch immer: Er war von der Idee der politischen Macht völlig beherrscht und war insofern repräsentativ für sein Zeitalter, in dem viele so dachten.
Man muss sagen: Auf den Egoismus hat Machiavelli seine Theorie vom Staat gegründet, die ungeheuren Einfluss auf die Entwicklung des modernen Staates genommen hat. Er ging dabei von der Voraussetzung aus, dass die Menschen von Natur aus schlecht seien und es auch unveränderlich blieben, da es keine fortschreitende Entwicklung in der Menschheitsgeschichte gebe, sondern nur einen ewig sich wiederholenden Kreislauf. Die Konsequenz daraus war für ihn der zum Prinzip erhobene Egoismus, der notwendig das Regieren des Fürsten bestimme. Das egoistisch-kluge politische Handeln unterscheide prinzipiell nicht zwischen guten und üblen Mitteln, sondern setze beide ein, je nach ihrer Zweckmäßigkeit für den erstrebten Erfolg, die Sicherung und Erweiterung der äußeren Macht.

“Wer von dem Misstrauen gegen die menschliche Natur ausgeht, muss allen Nachdruck darauf legen, dass der Mensch durch äußeren Zwang zu einem einigermaßen sozialen Verhalten gezwungen werden muss. Dazu muss sich der Staat zu einem Machtstaat ausbilden, der auch wirklich die umfassende Gewalt hat, um den Zwang durchzuführen. Mit der immer stärkeren Ausschaltung der Sittlichkeit in der Politik wird das eigentlich Menschliche ausgeschaltet, dasjenige, das den Menschen vom Tier und von den leblos-mechanischen Kräften unterscheidet. An die Stelle des menschlich-sittlichen Handelns wird daher ein mechanisches Spiel der Interessen, eine Abwägung und Ausbalancierung der Machtfaktoren treten; die Politik wird etwas wie ein Schachspiel werden, der Staat sich zu einem Unpersönlich-Maschinellen entwickeln.” (Karls Heyer: Machiavelli nund Ludwig XIV., S. 92, 93)

Er war im Grunde ein Vorbereiter des französischen Absolutismus, in dem der Egoismus eines einzelnen Machtpsychopathen auf die Spitze getrieben wurde.

Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Machiavelli! Alle Machtansprüche von Menschen über Menschen müssen überwunden werden. Siehe:
http://fassadenkratzer.wordpress.com/2014/09/19/der-staat-als-instrument-der-machtsucht-einzelner/

Meine Antwort:

Verehrtes Falkenauge,

nun ja “wenden” – ich bin ja nicht der Erste, der so eine Interpretation vornimmt. Im Gegenteil, es gab immer eine Strömung, die Machiavelli als “Republikaner” sah, es war leider nur jene, die man weniger wortstark vernahm. Der Aufklärer Jean-Jacques Rousseau hat da weitaus intensivere Mythen über den „Freiheitskämpfer“ Machiavelli gepflegt, als ich es hier tue. Auch einige Gründerväter der USA sahen in Machiavelli einen Vorläufer ihrer Republik, und geradezu als Gegenbild zum absolutistischen Staat.

Ich gebe zu bedenken: von den etwa 3.000 Seiten Schriftgut Machiavellis, sind nur etwa 50-100 „Principe“. Seine Hauptwerke – Discorsi, Florentinische Geschichte – werden dagegen kaum rezipiert. Ein Grund dafür: Sie können eine Schrift von 50 Seiten besser vermarkten als eine von 500. Die Leute sind lesefaul, und der Fürst knapp und auf den Punkt geschrieben. Die „Istorie Fiorentine“ dagegen nehmen schon etwas mehr Platz ein. Dort gibt es Passagen, wie die über den Ciompi-Aufstand, wo Machiavelli sehr deutlich zeigt, wie der Kampf Volk gegen Elite abläuft, und warum das Volk der Dumme ist.

Wenn man dann noch weiß, dass Machiavelli im Briefwechsel den Principe eher nebenbei erwähnt, er dagegen die Discorsi und die Florentinsiche Geschichte immer wieder zitiert, merkt man, dass man auch dazumal „zwischen den Zeilen“ schreiben musste.

Hoffe, ein paar Anregungen gebracht zu haben.

Nutzer Emil Kohleofen meinte:

Sehr geehrter Herr Gallina,
sehr schönes Stück, besonders der Begriff Merkellianismus ist hübsch, und ich sehe die Dame bildlich vor mir, wie Sie das eine oder andere Todesurteil unterschreiben lässt ! Aber Scherz beiseite, ohne ein vernünftiges, robustes Staatswesen sitzt der Mensch in seiner Höhle und der Diskurs mit den Mitgeschöpfen beschränkt sich auf die regelmässige Klopperei um die Ressourcen. Drum sollten wir Nicolo’s Ratschläge achten und menschenwürdig umsetzen, sofern wir an den Schalthebeln der Macht sitzen.

Leserkommentator Leines stieß auf einen subversiven Unterton:

Machiavelli führt den Verlust der italienischen Freiheit und den Sieg der „Barbaren“ auf die Unfähigkeit der herrschenden Elite zurück. Der Principe liest sich nicht zuletzt als Mahnschrift, wieso Italien, der zeitgenössische Vorreiter auf dem Feld von Kultur, Wissenschaft, Technik und Wirtschaft – seine Freiheit an die Ausländer verlieren konnte. Kein unabwendbares Schicksal, sondern die Inkompetenz der Herrschenden hat demnach Italien in den Untergang geführt.”

Warum nur kommt mir dieser Satz so bekannt vor? Wer zwischen den Zeilen zu lesen gelernt hat, der weiß genau, – so wird es dann wohl kommen, wenn nicht unmittelbar eingegriffen wird in das Regierungsgeschehen. Die Unfähigkeit der Herrschenden “Elite” . Verlust des Vorreitertum auf Technik- und Wissenschaftsfeldern und Verlust bzw. Herabwürdigung der eigenen Kultur, finden nahezu täglich statt, ja werden geradezu herbeigeredet.

Ich danke für die sehr knappe aber auf den Punkt zusammengefasste Beschreibung. Dieser Beitrag zeigt einmal mehr, dass das Niveau von RTE stetig zunimmt, während die Leitmedien zunehmend dem Hyperventilismus anheimfallen.

Tichy-Leser Enrico Stiller wendet nicht ganz ungerechtfertigt ein:

Toller Artikel zur Ehrenrettung Machiavellis. Endlich jemand, der auf die ‘Discorsi’ hinweist. Aber ausserdem sollte man einmal hervorheben, was eigentlich GENAU im “Fürsten” formuliert ist. Machiavelli sagt dort nicht dem Fürsten, er solle sich nicht an Verträge halten, lügen und betrügen, etc..
Machiavelli formuliert durchgängig in diesem Buch nach folgender Art:
WENN ein Fürst Erfolg haben will (und damit hatte M. die Umstände seiner Zeit im Auge), DANN sollte er folgende Massgaben beachten…
Es ist keine Aufforderung zum Handeln, sondern eine Art Gebrauchsanweisung für Leute, die bestimmte Ziel verfolgen – Ziele, zu denen M. nicht explizit Stellung nimmt.
Schon Friedrich dem Grossen in seinem ‘Anti-Machiavell’ ist dies aufgefallen, auch wenn er dem Florentiner diese Distanzierung nicht recht glaubte. Aber auch Friedrich hatte die Discorsi wohl nicht gelesen, eher nur den ‘Fürsten’.
Machiavelli ist alles andere als ein Prediger der Unmenschlichkeit gewesen.
Er war ein Prediger des Rationalismus. An Ideologien – und wahrscheinlich auch an Religionen – glaubte er nicht.
In unserer heutigen Zeit in Deutschland, wo wir jeden Rationalismus über Bord werfen, an obskurantistischen Irrsinn wie Genderismus glauben, wo die Politik offensichtlich von einer religiös erweckten Kanzlerin gemacht wird, wo eine ganze Elite sich dem Glaubensrausch an Drittweltismus und Victimismus hingibt, als gäbe es kein morgen – in dieser heutigen Welt könnten wir eine grosse Dosis mehr Machiavelli gut gebrauchen.

Darauf entgegnete der Löwe:

Noch einmal sehr schön betont, ja. Ich habe es durch die Formulierung “auch” angedeutet. Der Principe verpflichtet nicht dazu Böses zu tun, sondern es sich als “ultima ratio” im Hinterkopf zu behalten. Genau darauf zielt ja immer die Strategie eines Feindes, wenn er Sie diffamieren will: er legt Ihnen Sachen übel aus. Bei Machiavelli galten die Ratschläge immer als “letztes Mittel” oder als “praktischer Hinweis” niemals als “Muss”.

So gesehen – das ist einigen wohl schon aufgefallen – ist Machiavelli der Antagonist der Alternativlosigkeit.

Wie auch im Diarium, ließ es sich Leser Ulrich Christoph nicht nehmen, meinen Artikel um ein lesenswertes Addendum zu erweitern:

„Machiavelli-Test
Ein Testverfahren zum Erfassen der menschlichen Fähigkeit, andere zu manipulieren und zu beherrschen, hat der amerikanische Psychologie-Professor Richard Christie von der Columbia University entwickelt. Mittels verschiedener Situations-Tests und ausgefüllter Fragebogen glaubt der Psychologe, den jeweiligen Grad der Skrupellosigkeit auf einer «Mach-Skala» messen zu können – so genannt nach dem Florentiner Renaissance-Politiker Niccolò Machiavelli. (Der Spiegel).“

Aus: L. Kroeber-Keneth, Machiavelli und wir. Seewald 1980.

Die Literatur über den Messer Niccolò ist uferlos, die Zahl und die Qualität der Fehlurteile über seine Leistungen ist kaum geringer und, wie man sieht, mitunter geradezu grotesk.

Ein Absatz in dem obengenannten Buch fiel mir bei der Lektüre von Herrn Gallinas ausgezeichnetem Artikel wieder ein; er betrifft die Ambivalenz der Wertungen Machiavellis seitens seiner Zeitgenossen und der Nachwelt.
K.-K. schreibt Machiavelli die Gabe der „negativen Faszination“ zu, d. h. die Fähigkeit, die Umwelt gegen sich zu erbittern. Er schreibt weiter: „Wie oft hat Machiavelli der florentinischen Signoria von seinen Legationen unverhohlen geschrieben, daß sie unfähig, unwissend und schäbig sei. Er hatte recht. Das hat seine Sache nicht besser gemacht. Aber er war nun einmal für seine Person nichts weniger als ein «Machiavellist».“

Dem kann der hiesige Diarist nur beipflichten:

Da treffen Sie ins Schwarze, weil Sie die Legationen bemühen. Die Botschafterberichte Machiavellis sind oftmals völlig unbeachtet geblieben, obwohl ja sein eigentlicher Beruf. Da trennt sich meiner Ansicht nach auch die Spreu vom Weizen der Machiavelli-Forscher. Ob man nur den Principe kennt, vielleicht noch die Discorsi – das ist eine Sache fürs erste Semester. Ich hatte das Glück, sämtliche Gesandtenberichte durchzuforsten, in der Menge kaum zu vergleichen. Der Machiavelli, der da zwischen den Seiten steht, ist derselbe, auf den wir später stoßen – aber auch einer, der sich stark über Ungleichbehandlung, das florentinische Günstlingssystem beklagt, und mit Zynismus und Spott kein gutes Haar an seinen Zeitgenossen lässt. Das ist auch letztendlich die Ausgangsbasis für mein Machiavelli-Bild: nicht so sehr die Bücher, als vielmehr sein Leben aus den Legationen und Episteln (Briefwechsel mit Guicciardini zum Beispiel).

——————-

Das ist eigentlich das Schönste bei solchen Themen: wenn man noch einige weitere Geister finden kann, mit denen man weitere Machiavellerien treibt.

Teilen

«
»