Guareschis Prophezeiung (II)

13. Januar 2016
Kategorie: Freiheit | Fremde Federn | Giovannino Guareschi | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Ironie | Italianità und Deutschtum | Medien | Philosophisches

In dieser Situation wendet sich Don Camillo an Jesus. Und dieser Dialog, mit all seinem prophetischen Inhalt, ist es wert, in voller Länge übersetzt zu werden; beginnend mit Jesus, der die Sorgen seines Schützlings zur Kenntnis nimmt:

»Don Camillo, warum bist du so pessimistisch? War mein Opfer denn umsonst? Ist denn meine Mission bei den Menschen gescheitert, weil die Bosheit der Menschen größer ist als die Güte des Herrn?«

»Nein, Herr. Ich will nur sagen, dass die Leute heute an das glauben, was sie sehen und greifen können. Aber es existieren wesentliche Dinge, die nicht gesehen, nicht berührt werden können: Liebe, Güte, Frömmigkeit, Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Hoffnung. Und Glauben. Das ist die Selbstzerstörung, von der ich dir erzählt habe. Die Menschheit, so scheint es, zerstört ihr gesamtes spirituelles Erbe. Der einzig wahre Reichtum, den sie in Jahrtausenden angehäuft hat. Eines Tages, nicht weit vom heutigen, werden wir genau so sein wie die Steinzeitmenschen in ihren Höhlen. Diese Höhlen werden wie hohe Wolkenkratzer sein, mit den wundersamsten Maschinen angefüllt, aber der Geist der Menschen wird jener der der Höhlenmenschen sein.
Herr: die Menschen fürchten sich vor schrecklichen Waffen, die Menschen und Dinge vernichten. Aber ich glaube, einzig die Sachen, die ich eben erwähnt habe, können den Menschen ihren Reichtum zurückgeben. Am Ende werden sie alles zerstören, und die Menschen, befreit von der Sklaverei und allen irdischen Gütern, werden wieder zu Gott schauen. Sie werden Ihn wiederfinden und ihr spirituelles Erbe neu aufbauen, dessen Zerstörung sie in unseren Tagen beenden. Herr, wenn es das ist, was uns wiederfahren wird – was können wir tun?«

»Dasselbe, was ein Bauer tut, wenn der Fluss über die Ufer tritt und die Felder überschwemmt: die Saat retten. Wenn der Fluss sich in sein Bett zurückzieht, so scheint die Erde wieder auf und die Sonne trocknet sie. Wenn der Bauer den Samen gerettet hat, kann er ihn erneut auf der Erde ausbringen, die durch den Fluss noch furchtbarer gemacht wurde; und der Samen wird heranreifen, und die prallen und goldenen Ähren werden den Menschen Brot, Leben und Hoffnung geben.

Man muss den Samen retten: den Glauben. Don Camillo, man muss denen helfen, die noch Glauben haben und ihn intakt halten. Die geistige Wüste erstreckt sich jeden Tag ein Stück weiter, jeden Tag trocknen mehr Seelen aus, weil sie den Glauben abgeworfen haben.
Jeden Tag zerstören immer mehr Menschen vieler Worte aber ohne Glauben das spirituelle Erbe der Menschheit und den Glauben anderer. Menschen jeder Rasse, jeder Abstammung, jeder Kultur.«

Don Camillo wäre nicht Don Camillo, wenn er sarkastisch nachfragte:

»Willst du damit vielleicht andeuten, dass der Teufel so listig geworden ist, dass er es ab und an auch schafft, sich als Priester zu verkleiden?«

»Ich bin gerade erst aus dieser Klemme* mit dem Konzil herausgekommen, willst du mich wieder in die Klemme* bringen?«

Wenn das naive Worte sein sollen; bitteschön. Sie sind es definitiv nicht. Bereits 1968 sagt Guareschi in wenigen Sätzen das aus, worin wir leben: in einer Gesellschaft des Scheins, der Worte und der glückseligmachenden Maschinen, in denen Geist und Spiritualität ebenso wenig eine Rolle spielen wie Charakter. Und er sagt das voraus, was auch Malraux schon in den 60ern ankündigte: die Rückkehr des Glaubens, ohne den es keine Hoffnung geben wird.

Wenn ich diese ganzen Leute mit ihrer gekrümmten Haltung, und ihren affenartig verformten Fingern sehe, die völlig weltabgewandt auf die Tasten hauen und auf Minibildschirme schauen – sind wir dann noch so weit von Guareschis Steinzeitmenschen entfernt?

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*Guareschi benutzt hier das Wort „guai“, für das ich an der Stelle keine völlig zufriedenstellende Übersetzung finde. Prinzipiell sind damit Probleme, Schwierigkeiten, bzw. eine verzwickte Situation gemeint. Klemme, Bredouille käme dem sehr nahe. Da der Begriff nicht selten in der Umgangssprache gebraucht wird, kann man ihn auch salopp mit „Mist“ übersetzen – das könnte aber den Text in seiner Bedeutung überstrapazieren. Kurz: „Probleme“ wäre zu wenig, „Mist“ womöglich zu viel.
Ja, man könnte auch schreiben: „Junge, ich bin gerade aus der Scheiße um dieses Konzil herausgekommen, willst du mich jetzt wieder in die Scheiße reinreiten?“
Aber, wie gesagt, das würde Guareschi nicht gerecht. Jesus sowieso nicht. Träfe aber den Sinn wohl besser.

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