Sunniten und Schiiten: Ein Dreißigjähriger Krieg? (V)

9. Januar 2016
Kategorie: Historisches | Medien | Philosophisches | Sunniten und Schiiten: Ein Dreißigjähriger Krieg?

Wieso taucht dann dennoch immer wieder diese Begrifflichkeit in den Medien auf, obwohl bei genauer Betrachtung nur sehr wenig übrig bleibt, was man vergleichen kann? Es bieten sich mehrere Erklärungsmöglichkeiten an.

Die Offensichtlichste: die Geschichtsvergessenheit der Journalisten, die sich nur rudimentär mit dem Dreißigjährigen Krieg auskennen, und an einen Religionskonflikt glauben. In diesem Sinne ist es ja paradoxerweise so, dass sich die Konflikte darin ähneln, dass sie nicht (nur) religiös, sondern (auch) machtpolitisch geprägt waren. Allerdings mit Abstrichen.

Die Hinterhältigste: Journalisten versuchen das Bild einer aus den Fugen geratenen, überreligiös gewordenen islamischen Umma zu zeichnen, die nun die ganze Welt in ihren Strudel zieht; obwohl bei näheren Betrachtung es die Welt war, die sich in den Nahen Osten einmischte, und diese Reaktion (!) erst provozierte. Es ist doch etwas merkwürdig, dass immer wieder Interventionen gefordert werden, immer wieder von Verantwortung die Rede ist, obwohl sich insbesondere die USA seit dem Sturz Mossadeghs andauernd im Nahen Osten einmischen und erst für die jetzige Entwicklung verantwortlich sind. Wäre die national-arabisch-säkulare Idee nicht gescheitert, hätte es keinen Nährboden für radikalislamische Ideen gegeben. Es sind aber nunmehr dieselben USA, die auch den Sturz al-Assads fordern, obwohl der Sturz Mossadeghs, Husseins, Mubaraks und Gaddafis erst die Region in jene Lage gebracht hat, in der sie heute steckt.

Die Ideologische: das linksliberal-westliche Weltbild der Journalisten, das sie für jedweden klaren Blick auf die Lage völlig blind macht. „Linksliberal“ nutze ich deswegen als Begriff, weil es sowohl ehemals linke (auch marxistisch getrimmte) Gesinnungstäter trifft wie selbsternannte Liberaldemokraten. Ich will hier genau erklären, warum ich diese Begriffe verwende: denn Liberale und Linke glauben, dass es eine Art Fortschritt, eine Entwicklung, einen Prozess in der Geschichte gibt. Beiden Weltbildern ist inhärent, dass es einen Weg zu einer „Erlösung“ gibt: bei den Linken ist dies der Sozialismus/Kommunismus der am Ende einer Folge von Revolutionen steht, bei den Liberalen ist es der demokratische Weltstaat.

Kurz: beide Gruppierungen glauben an ein irgendwie geartetes Ende der Geschichte, wie es Fukuyama postuliert.

Ich kann mich noch in meinem eigenen Politikstudium lebhaft daran erinnern, wie nahezu jeder davon überzeugt war, dass am Ende alle Länder sich zu Demokratien nach westlichem Vorbild wandeln würden; ähnlich wie die knallharten Marxisten des Ostblocks, die an den Endsieg des Kommunismus glaubten, behauptete einer meiner Dozenten, auch China werde eines Tages nicht anders als Europa oder die USA regiert werden.

Unsere gesamte Elite ist von solchen im Grunde intoleranten „Westen“-Jüngern durchsetzt, wie ich sie schon im Winkler-Beitrag beschrieb. Es ist eine hochgefährliche Idee, weil sie an die grundsätzliche Überlegenheit der westlichen Ideale festhält und glaubt, sie würde auch in der hinterletzten Ecke gelten. Insofern liest man auch immer wieder, dass die „Religion“ das Problem sei. Denn für eben jene Gläubigen an die ewige Demokratie ist die Aufklärung der Schlüssel zur endgültigen Menschenseligkeit.

Der Glaube an die Aufklärung ist aber deswegen Gift, weil man völlig übersieht, dass es Aufklärung nur da gab, wo vorher das Christentum existierte. Andere Länder kopierten den Westen, aber es war nur eine falsche Patina. Im Grunde wussten auch die Araber, dass sie Selbstverrat am „Eigenen“ übten. Deswegen hatte die Re-Islamisierung den Erfolg, den sie heute hat.

Viele Vertreter unserer Elite aber wollen das immer noch nicht einsehen. Nachdem die Arabellion gescheitert ist, von der man naiverweise dachte, sie hätte dieselbe Wirkung wie die 1989er Revolution, braucht man einen nächsten Strohhalm, um sich daran festzuhalten. Diese Hoffnung ist ein Dreißigjähriger Krieg; nicht des Krieges wegen, sondern weil die Linksliberalen in ihrem falschen Geschichtsverständnis tatsächlich im Innersten hoffen, darauf würde ein Westfälischer Frieden folgen. Das ist vermutlich die Crux in der Medien- und Politiklandschaft: die tiefe Sehnsucht nach einem Erlösungserlebnis, das die eigenen Ideale bestätigt, an die man glaubt.

Was man dabei übersieht, ist, dass es keinerlei Anknüpfungspunkte an den Frieden von 1648 gibt, weil die res publica christiana des Mittelalters und der Frühen Neuzeit komplett anders funktionierte; weil auch keine dem 1555er Augsburger Frieden entsprechende Vereinbarungen zwischen Sunniten und Schiiten in über 1000 Jahren existieren; und zuletzt fehlt irgendeine Form des Reichsverbandes, des gemeinsamen Oberhauptes und der gemeinsamen Reichsidentität, wie sie das frühneuzeitliche Deutschland kannte.

Für Aufklärer, Vernunftjünger und Liberalmarxisten geht die Geschichten immer nur in eine Richtung. Für sie leben die Muslime „im Mittelalter“; sie müssen „unsere Erfahrungen“ machen; wenn sie erst mal einen Religionskrieg hinter sich haben, machen sie zuerst einen Westfälischen Frieden, dann kommt die Aufklärung, anschließend die Französische Revolution, und irgendwann sind sie „wie wir“.

Dass die Staaten des Nahen Ostens nicht etwa noch in die Moderne aufbrechen müssen, sondern sie mit Nasser und Mossadegh bereits hinter sich haben, spielt keine Rolle. Der Orient lebt im wahrsten Sinne in der Postmoderne; er hat die Moderne abgestreift und ist in ein neues Zeitalter aufgebrochen, in dem er sich einer Reformation verschrieb, die aber so gar nicht im Sinne des Westens verlief. Denn Reformation bedeutet im Grunde „Zurückformen“, heißt, zu den Ursprüngen zurückgehen und es wieder in die richtige Richtung bringen. Auch Luther wollte nichts Neues, er wollte wieder die alte Kirche, wie sie zu Zeiten Christi war – also das komplette Gegenteil dessen, was wir heute unter politischen Reformen verstehen!

Es entbehrt nicht der Ironie, dass die größten Reformer unter den Muslimen die Salafisten sind, die den harten, reinen Islam Mohammeds wollen. Ich bezweifle aber, dass dies im Sinne der linksliberalen Journalistenjünger ist, die in der Aufklärung das Allheilmittel sehen; und Luther täte das genauso Unrecht wie dem Dreißigjährigen Krieg.

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