Bleiben wir kurz beim Reich. Warum war Böhmen so wichtig für den Kaiser? Neben geostrategischen Gründen – Böhmen war ein reiches Land direkt vor der österreichischen Haustüre, und dessen Abfall an einen Feind ein außerordentliches Risiko – spielte vor allem die Reichspolitik eine Rolle. Die Kurfürsten „kürten“, also wählten den Kaiser des Alten Reiches. Eine dieser Kurstimmen gehörte Böhmen. Ein Kaiser musste sich zu Lebzeiten absichern, dass er die Unterstützung der Kurfürsten hatte; einerseits, um die Stabilität des Reiches zu erhalten, andererseits, damit sein Nachfolger ebenfalls Kaiser wurde und die Krone in der Familie blieb. Erst die Kaiserwürde hatte die Habsburger zu einer der wichtigsten Dynastien Europas werden lassen.
Diese war aber nun in doppelter Gefahr, weil Böhmen sich Friedrich V. von der Pfalz zum neuen Herrscher erkor. Nicht nur hatte Friedrich als Pfalzgraf eine eigene Kurstimme und konnte damit eine zweite für sich verbuchen; Sachsen und Brandenburg waren ebenfalls Protestanten und hatten im Kurkollegium jeweils eine Stimme. Bei 7 Kurfürsten stand es demnach langfristig 4:3 für die Protestanten, die es dem katholischen Kaiser hätten schwer machen können.
Ferdinand II. hatte sich noch in Frankfurt zum Kaiser wählen lassen, aber er konnte aufgrund der neuen politischen Gegebenheiten kaum damit rechnen, dass dies immer so blieb. Der Krieg gegen Böhmen und die Pfalz war daher folgerichtig. Dabei prallten die Protestantische Union und die Katholische Liga in einem fünfjährigen Krieg (1618-1623) aufeinander. Dass aber dieser Krieg eher dynastisch-machtpolitisch zu verstehen war, denn religiös, zeigt das Beispiel des protestantischen Sachsens, das auf kaiserlicher Seite kämpfte und bei einem Sieg der Liga die Lausitz zugestanden bekam. Dem wichtigsten katholischen Land nach Österreich – Bayern – wurde zudem die pfälzische Kurwürde im Falle eines Sieges versprochen.
Dieser Böhmisch-Pfälzische Krieg endete in einem Sieg für die kaiserliche Sache. Ferdinand II. hatte damit eine Machtbasis, wie sie möglicherweise kein Vorgänger mehr seit Kaiser Karl V. besessen hatte. Mehr noch: er konnte nun gegen die protestantischen Fürsten effektiver vorgehen als zuvor, um die zuvor eher partielle kaiserliche Herrschaft in eine weitaus präsentere zu verwandeln. Das locker regierte Reich in der Mitte Europas sollte zentralisierter werden. Schon fürchteten die benachbarten Großmächte, der Kaiser könne bald über Deutschland herrschen wie der englische König über England oder der französische König in Frankreich. Das oberste Prinzip der europäischen Mächte lautete jedoch: Europas Mitte muss schwach bleiben.* Nicht verwunderlich, dass deswegen der katholische (!) König von Frankreich sich mit den protestantischen Reichsständen verbündete, und diese in ein Bündnis mit Dänemark band.
Auch hier sehen wir: die Konfession ist nicht der Auslöser, sondern reines Mittel zum Zweck.
Kurz nach dem Ende des Böhmisch-Pfälzischen Krieges folgte daher der Krieg gegen die norddeutsch-protestantischen Reichsstände und Dänemark. Auch dieser Dänisch-Niedersächsische Krieg (1623-1629) endete mit einem katholisch-kaiserlichen Sieg. Er stärkte Ferdinands Position so massiv, dass er nun das Reich grundlegend reformieren wollte, um es nach dem Vorbild anderer frühneuzeitlicher Staaten fester an seine eigene Person zu binden. Wie schon 1623, erklärte er nun 1629 die protestantischen Fürsten für abgesetzt und setzte ihm genehmere Leute ein – so den fähigen General Wallenstein als Herzog von Mecklenburg. In dieser Zeit katholischer Dominanz erließ Ferdinand das Restitutionsedikt: demnach sollten die Protestanten den Großteil der im Zuge der Reformation beschlagnahmten Kirchengüter verlieren und diese an die geistlichen Herrschaften restituieren. So sollten auch die längst aufgelösten Bistümer – neun an der Zahl, darunter Magdeburg und Bremen – samt Fürstbischof wiederhergestellt werden.
Für manche Fürsten bedeutete dies den Verlust eines Großteils ihres Territoriums, das Vorfahren vor einem guten Jahrhundert eingezogen hatten – verständlich war das Entsetzen in diesen Kreisen. Allein der Herzog von Württemberg wäre durch diese Verordnung der Hälfte seines Herrschaftsgebietes beraubt worden.
Die Machtfülle des Kaisers zeigte sich auch daran, dass Ferdinand dieses Edikt nur erlassen brauchte – es gab keine Konferenzen, keinen Reichstag, keine Kurfürstenberatungen. Mit diesem absolutistischen Anspruch hätte Ferdinand das Reich auf einen Kurs gebracht, wie es später Louis XIV. in Frankreich tun sollte. Einige munkelten gar von einer Abschaffung des kurfürstlichen Wahlrechts und der Durchsetzung einer Erbherrschaft im Reich.
Verständlich, dass die am Boden liegenden Protestanten sich irgendwie wehren wollten – und daher Gustav Adolf von Schweden ins Land riefen, um die „protestantische Sache“ zu verteidigen (die, wie wir sehen, vor allem aus Eigentumsverhältnissen bestand – Max Weber hätte da bestimmt ein Wort mitzureden). Damit sollte eine der fürchterlichsten und katastrophalsten Abschnitte in der Geschichte des 30jährigen Krieges und der gesamten Reichsgeschichte folgen. Von 1630-1635 tobte der Schwedische Krieg, der sich über das gesamte Reichsterritorium ausbreitete. Die gefürchteten Heere Gustav Adolfs und die Revanche der Kaiserlichen haben sich bis heute tief in das Kulturbewusstsein gefressen. Selbst die Protestanten im Reich merkten, dass sie die Geister, die sie gerufen hatten, nicht mehr loswurden – und schlossen sich mit dem Kaiser gegen den gemeinsamen Feind zusammen. Im Gegenzug ließ Ferdinand das Restitutionsedikt aussetzen.
Das wiederum brachte Frankreich auf den Plan, das fürchtete, der Kaiser könne jetzt doch noch die Schweden vertreiben und einen günstigen Frieden schließen. Ab 1635 begann der 13jährige, Französisch-Schwedische Krieg. Hier kämpften nunmehr protestantische Schweden und katholische Franzosen, zusammen mit einigen wenigen protestantischen Reichsständen gegen die Mehrzahl der protestantischen Reichsstände, den Kaiser und die Katholische Liga. Kurz sollte auch Dänemark wieder in den Krieg eintreten – auf kaiserlicher Seite gegen den Glaubensbruder Schweden.
Wer hier einen Religionskrieg sehen will, dem kann ich freilich nicht mehr helfen.
Warum nun dieser grobe Überblick über den Verlauf des Dreißigjährigen Krieges? Wie schon zuletzt gesagt: ein „Religionskrieg“ ist dies mit Sicherheit nicht, eher ein regionaler Konflikt, der sich zu einem kontinentalen ausweitet, und durch die reichsinternen Machtfragen letztendlich in einem Hegemonialkampf zwischen dem Reich und Frankreich endet. Seit dem Sieg des Kaisers 1623 ist Frankreich das Land, das dem Reich am meisten schaden will.
Der Vergleich zwischen Saudi-Arabien und dem Iran verbietet sich allein schon deswegen. Denn der Kaiser ist ebenso katholisch wie das französische Oberhaupt. Schweden, Dänemark und die protestantischen Stände sind Spielzeuge Frankreichs, um den Rivalen daran zu hindern, die eigene Agenda im Reich durchzusetzen. Ein starkes, geeintes Deutschland wäre der Alptraum für die Franzosen; denn die Habsburger, die den Kaiser stellen, sitzen auch in Spanien auf dem Thron. Frankreich wäre dann von zwei mächtigen Ländern eingekreist. Den Franzosen ist daher jedes Mittel Recht, um die kaiserliche Autorität zu schwächen – schon im 16. Jahrhundert hatten die Franzosen nicht davor zurückgescheut, mit dem Sultan von Konstantinopel ein Bündnis zu schließen, um Kaiser Karl V. in die Knie zu zwingen.
Die Hauptrolle spielt also nicht Papst oder Luther, sondern Machiavelli. Im Nahen Osten ist dagegen recht klar, dass Schiiten und Sunniten nicht kooperieren würden. Selbst nicht im Angesicht eines ausländischen Feindes, wie sich immer wieder zeigt – stattdessen zeigen sich auch hier die Beteiligten als willfährige Instrumente anderer Gruppierungen, wenn man sich als „Feind eines Feindes“ anbietet. Das allein ist die einzige Parallele. Aber ansonsten? Ich sehe keine.
Kehren wir also aus dem 17. Jahrhundert in das Zeitgeschehen zurück. Sehen wir uns mal im Folgenden den Iran, Saudi-Arabien und die Konflikte sowie deren eigentliche Wurzeln genauer an. Denn streng genommen hat der Dreißigjährige Krieg im Herzen Europas begonnen und sich dann ausgebreitet; meiner Ansicht nach ist aber der Konflikt, den wir heute im Nahen Osten sehen, nicht zuletzt erst durch das Ausland in diese Region hineingetragen worden.
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*Ein Prinzip im Übrigen, das die Amerikaner bis heute befolgen, da es das Rezept für jedwede Herrschaft über Europa ist. Man versteht dann auch, weshalb die Deutsche Einigung unter Bismarck ein Kunststück war, und weshalb dieses „Zweite Reich“ von allen Seiten und mit allen Mitteln bekämpft wurde.