Das Märchen von der Lachsschaumkuh

20. Dezember 2015
Kategorie: Hintergrund und Schreibarbeit | Ironie | Palatina | Zum Tage

Es war einmal, vor langer, langer Zeit (es war so etwa um die Mittagsstunde, aber noch nicht ganz zwölf Uhr) eine Seekuh, die lebte weit entfernt im Ozean. Im Gegensatz zu vielen anderen Seekühen lebte diese alleine, denn sie hatte mit der Seekuhgemeinschaft gebrochen und sich zurückgezogen.* Tagein, tagaus baute diese einsame Seekuh an einem Schloss für sich allein: ganz aus Lachsschaumspeise. Viele Meerestiere hielten das für einen Schritt in die falsche Richtung und hoben diese für die Gesellschaft zersetzenden, individualistischen Tendenzen hervor, und das Tribunal weichtierhafter Krustentiere strebte bereits einen Prozess an, da der Nordostturm des Lachsschaumschlosses die Sicht auf das zauberhafte Mörderkorallenriff versperren, und damit die Grundstückspreise vielfacher Anwohner um die Hälfte ruinieren würde. Andere hoben hervor, dass die Seekuh nicht einmal eine Baugenehmigung beim Amt eingeholt hatte.
Den meisten Meerestieren war das jedoch völlig egal. Sie tanzten und sangen beim Bau des Schlosses, so, wie das die meisten Meerestiere unter dem Meer taten.

Nun war allerdings die Menge von Lachsschaumspeise recht begrenzt unter dem Meer, weshalb die Seekuh immer weiter an die Küsten musste. Die Seekuh folgte den Lachsen immer weiter, und da geschah es: irgendwann steckte sie im Lachssee von Palatina, in der Neustadt fest. Die Seekuh kam nicht mehr aus dem See, da sie aufgrund ihrer formidablen Rundungen in der kleinen Brücke über dem Fiumino feststeckte. Die Seekuh brüllte und brüllte, aber keiner kam ihr zur Hilfe.

Nur ein Junge aus den Schemen bemerkte das merkwürdige Tier mit der Lachsschaumspeise am Maul und begab sich auf die Brücke. Er war ein kleiner, schmaler Junge mit fahlem Gesicht, und er schaute herab. „Zor Hölfe, zor Hölfe!“ rief die Seekuh, „öch stöcke föst!“ Der Junge schob und zog, und mit viel Mühe konnte er die Seekuh befreien. Aber – oh weh – sie konnte sich nur kurz freuen, denn der Junge war arm und hatte Hunger, weswegen er sie nach Hause bringen und für seine Familie zum Essen servieren wollte.** Die Seekuh bangte und flehte, und gab viele Geräusche von sich, um den Jungen umzustimmen. „Nöcht! Wenn du möch am Löben lösst, wörde öch dör vöööl löckere Sachön bösorgön; denn Söökuhfleisch öst nöcht bekömmlöch!“

Der Junge sah auf die Seekuh und dachte sich, dass sie auch nicht wirklich delikat aussah. Und da Schemenbewohner zwar alles essen, was ihnen über den Weg läuft, andererseits aber keine durch und durch bösen Menschen sind (nur etwas zartrosa vielleicht), ließ er die Seekuh gehen. Die Seekuh bedankte sich und machte sich davon. Der Junge aber sprach: „Jetzt hast du mich reingelegt, du blöder Seeelefant!“ „Söökuh!“ „Wie auch immer, du machst dich davon und lässt mich weiter darben!“

Die Seekuh aber sprach, sie werde zurückkommen. Der Junge solle in der Nacht ein Tellerchen mit Lachsschaumspeise auf sein Fensterbrett stellen, damit sie wisse wo er wohnt, und ihn dann besuchen. Der Schemenjunge glaubte an einen erneuten Trick, da aber die Seekuh schon wieder in den Rio geschwommen war, bevor er reagieren konnte, versuchte er es zumindest.

Anders, als er zuerst gedacht hätte, hielt die Seekuh Wort. Sie begab sich in die Goldene Ebene und beauftragte ein Komitee Republikanischer Bienen*** damit, so viel Butterofleisch wie möglich zusammenzutragen. Die Republikanischen Bienen fragten sie, warum sie das tun sollten, worauf die Seekuh der Vorstandsvorsitzenden ein handgestricktes Zipfelmützchen aufsetzte. Nun wollten alle Republikanischen Bienen ein Zipfelmützchen, weswegen sie das taten was die Seekuh gefordert hatte, und sie trugen so viel Schinken, Salami und große Steaks zusammen wie sie konnten.

Und in der Neujahrsnacht, da kam die Seekuh durch die Kanäle der Schemen geschwommen, all die leckeren Speisen dabei, und suchte nach dem Kind, das ein Tellerchen mit Lachsschaumspeise auf das Fensterbrett gesetzt hatte; und wahrlich, die Seekuh fand so ein Tellerchen und tauschte die Lachsschaumspeise gegen das herrliche Fleisch.

Am nächsten Morgen fand die Familie des Jungen all die herrlichen Sachen, und man fragte sich, woher diese kamen. Der Junge erzählte von der Seekuh, aber keiner wollte es ihm glauben, da Seekühe in der Karibik lebten, aber nicht im Mittelmeer, und überhaupt, wie sollte eine Seekuh soviel würziges Fleisch liefern ohne dass es nass wurde? Sie glaubten ihm also nicht und seine zweiunddreißig Schwestern, fünfundzwanzig Brüder, achtundachtzig Cousinen sowie Cousins, fünfhundert Onkel und Tanten, neun Väter und drei Mütter – ja, das ist eine schwierige Geschichte, aber das kommt in einem anderen Märchen! – nahmen ihm das ganze Fleisch weg, und ließen ihm nichts übrig. Da schluchzte der Junge ganz schrecklich, denn jetzt hatte er weder das leckere Rinder- und Schweinefleisch, keine Lachsschaumspeise und nichtmals das ungenießbare Seekuhfleisch.

Die Seekuh aber hatte das mitbekommen, und als alle aßen und schmatzten und der Junge alleine war, da näherte sie sich am Kanal und meinte: „Ich wörde deinön Kummer löndern! Ön einöm Jahr, da stöllö nochmals ein Töllörchen möt Lachsschaumpeisö auf das Fönsterbrött – und sag ös allön andörön Köndern, dö dör lööööb sönd!“

Der Junge wischte eine Träne weg, da war die Seekuh wieder fort. Die hatte Großes vor, und suchte viele Republikanische Bienen auf. Einem spitzfindigen Hermelin kam der große Plan an die Ohren. Es hieß Rodolfo und hatte BWL studiert. Auffällig war die große, rote Krawatte, die es trug. „Liebe Seekuh“, sagte Rodolfo mit der roten Krawatte, „ich habe berechnet, dass, wenn du dein Lachschaumschloss nur alleine bauen willst, du niemals fertig wirst. Du musst expandieren und die Arbeit auf viele Schultern verteilen. Je mehr Fleisch du auslieferst, und je mehr Kinder dir ihre Lachschaumspeise geben, desto schneller wirst du fertig. Aber du musst so viele Kinder besuchen, da brauchst du mehr Organisation und Logistik.“****

Rodolfo, das rotkrawattige Hermelin, wurde daraufhin der Buchhalter und Sachverwalter der Seekuh, und um die logistischen Probleme zu lösen, heuerte es andere arbeitslose Hermeline mit BWL-Abschluss an – man mag gar nicht glauben, wie viele es davon gibt! – und stahlen einem Räuber aus dem Gebirge seinen Schlitten, um all das Fleisch zu transportieren.

Und als es wieder Neujahrsnacht war, da tauchte die Seekuh mit dem Schlitten, der von den Hermelinen gezogen wurde, durch die Kanäle von San Pietro, und ließ allen Kindern, die ihre Lachschaumspeise auf das Fensterbrett gestellt hatten, leckere Fleischspeisen da. Und überall war das glückliche „RONF, RONF, RONF – FRÖHLICHES NEUJAHRSFEST!“ zu hören, denn die Seekuh hatte Gefallen daran gefunden.

Seitdem heißt die Seekuh Lachsschaumkuh und bringt jährlich in der Neujahrsnacht ihre Geschenke zu den Kindern, und auch die undankbare Familie des Jungen glaubte ihm, und bald stellten alle Palatiner in der Neujahrsnacht Lachschaumspeise auf das Fensterbrett. Und seitdem erklingt das Lied der Lachsschaumkuh in den Straßen und Gassen, welches damals zum ersten Mal gesungen wurde:

Morgen kommt die Lachsschaumkuh,
Kommt mit ihren Gaben,
Salami, Rindsteak und Leber,
Wurst und Schinken und noch mehr,
Ja ein ganzes Metzgerheer,
Möcht‘ ich gerne haben.

Bring‘ uns, liebe Lachsschaumkuh,
Bring‘ auch morgen, bringe
Hermelin für uns vier,
Zottelbär und Panthertier,
Roß und Esel, Schaf und Stier,
Lauter schöne Dinge.

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*Es ist nicht ganz geklärt, woher das kam. Einige vermuteten religiöse, andere politische Hintergründe. Führende Seekuhspezialisten führen jedoch einen alten Streit zwischen zwei Seekuhfraktionen an, wobei die eine den allgemeinen Begriff „Seekuh“ anführen wollte, um die Spezies zu benennen. Die andere Gruppe, die „Volksfront antifeministischer Seekuhtendenzen“, verwarf diese Ideologie, und zog den Begriff „Seerind“ vor, denn neben Seekühen musste es logischerweise auch „Seebullen“ geben, da sonst jedwede Fortpflanzungswahrscheinlichkeit gegen Null tendierte.
Ob unsere Seekuh nun der einen oder anderen Gruppierung gehörte, wirklich eine Seekuh oder nicht doch eher ein Seebulle war, und inwiefern das alles mit Alice Schwarzer zu tun hat, ist aber für dieses Märchen völlig unerheblich.
**Man mochte sich fragen, wie ein Knirps von wenigen Jahren eine ausgewachsene Seekuh von hunderten Pfund fortbewegen sollte, aber schließlich und endlich ist das immer noch ein Märchen.
***Republikanische Bienen sind Bienen, die nicht schwärmen, sondern Komitees bilden, häufig im Bienenstock bleiben und sich in Abstimmungen für mehr Honig einsetzen.
****Spätestens ab diesem Punkt merken wir, dass es sich um ein Volksmärchen aus einer Handelsrepublik handelt.

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