Ausgerechnet an einem 9. November traf ich beim Spaziergang auf diese Komposition:
Und da sich das Auge so freute, hatte ich nichts Eiligeres zu tun, als nach Hause zu gehen, und meine Kamera zu suchen – wie gesagt, isch ’abe gar keine Smartphone. Das aber unterscheidet das Profane von der Kunst: ersteres macht man nebenbei, für letzteres nimmt man des Objektes Willen Mühen in Kauf.
Und nein, ich will keinerlei Subtilität, keine versteckte Botschaft vermitteln. Ich bin zu katholisch, um Preuße zu sein, zu sehr Republikaner, um der Monarchie etwas abgewinnen zu können, und zu sehr Regionalist, um dem Nationalismus verhaftet zu sein. Zuletzt: Schwarz-Rot-Gold birgt für mich zu viel Emotion, um es gegen Schwarz-Weiß-Rot einzutauschen
Hätte ich an einer italienischen Fassade, im Ambiente des späten Ottocento die alte Trikolore mit dem Wappen des Hauses Savoyen gesehen – ich hätte nicht anders gehandelt.
Kontinuität und das Unzeitgleiche im Zeitgeiste sind es dagegen, die diesen Anblick so faszinierend machen. Fügte man dem Bilde Sepiafarben hinzu, wer könnte noch ausmachen, ob das Bild von 2015 oder 1915 stammte? Diese Kombination ist es. Die historistischen Fassaden, die Säulen, Fenster, Erker und Mauersteine rufen nach dieser Fahne. Zusammen stehen sie in Harmonie, ergänzen sich; dazu die teils entlaubten Bäume des späten Herbstes.
Ein ähnliches Gefühl habe ich in Venedig, wenn aus einem Haus der alte rot-goldene Gonfalon mit dem Markuslöwen hängt. Nicht aus patriotischen Gefühlen. Sondern weil man spürt: da gehört etwas zusammen. Das ist die Identität von Raum und Zeit; das ist die Flagge, die dort auch hing, als die Menschen die Umgebung formten.
Ein inspirierendes, schauerlich-schönes Gefühl von Mythos und Geschichte.