Von Schwarzen und Weißen Machiavellisten

18. Oktober 2015
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Freiheit | Historisches | Machiavelli | Medien | Philosophisches

Münkler. Herfried Münkler. Professor der Humboldt-Universität in Berlin, der seine Dissertation über Machiavelli geschrieben hat. Berater der merkel’schen Regierung, Ideengeber der gegenwärtigen Bundespolitik und oft geladener „Experte“ in etwaigen Talkrunden und Shows.

Für mich existiert kein Politikwissenschaftler, den man noch mehr überbewerten könnte.

Münkler zähle ich zur Gruppe der „schwarzen“ Machiavellisten. Das sind Leute, die denken, Machiavelli verstanden zu haben, und seine Politik anwenden zu können. Dabei liegt ihr Schwerpunkt definitiv auf den Lehrsätzen des Principe, dem Buch, das die absolute Autorität des Alleinherrschers unterstreicht, demnach man besser gefürchtet als geliebt wird und das nicht davor zurückschreckt, Mord und Krieg anzuempfehlen, um seine Ziele zu erreichen. Dass Münkler sogar Machiavelli kopiert, kann man spätestens am Buch „Imperium“ von ihm nachlesen, wo er eigentlich nichts wiedergibt, als das, was Machiavelli über den Aufstieg und Fall von Reichen in seinen Istorie Fiorentine schreibt.

Überhaupt ist alles, was Münkler so von sich gibt, nur dann ansatzweise intelligent, wenn er Machiavelli zitiert, ohne ihn als Quelle anzugeben. Im Übrigen ein Umstand, der jedem Studenten in seiner Hausarbeit angekreidet werden würde; von erschummelten Doktorarbeiten ohne Fußnotenapparat ganz zu schweigen.

Leute wie Münkler sind deswegen so gefährlich, weil sie eine ganz bestimmte Machiavelli-Deutung vertreten, ohne auf das Gesamtwerk zu sehen. Für sie ist Machiavelli eben das, was man klischeehaft unter machiavellistisch versteht. Und noch schlimmer: ähnlich Machiavelli, der dachte, 1:1 die Erfolgsrezepte des Römischen Reiches umsetzen zu können, versucht Münkler die politischen Renaissanceformeln Machiavellis im 21. Jahrhundert anzuwenden.

Ich gebe zu bedenken, dass Machiavelli in seiner grenzenlosen Zuversicht bezüglich des römischen Erfolges auch an der Infanterie – Legionäre! – festhielt, und Miliztruppen in großen Maßen aufstellte; in einem Zeitalter, als die Feuerwaffen in Mode kamen und Kanonen sogar überlegene Heere in die Flucht schlugen. Machiavellis katastrophale Einschätzung wird deutlich, wenn man hervorhebt, dass er gewissermaßen Verteidigungsminister von Florenz und für die Kapitulation der Stadt vor den Spaniern verantwortlich war. Die Milizen bewährten sich nicht.

Ähnlich, wie Machiavelli die Infanterie römischen Typus auf spanische Arkebusiere loshetzte, versucht Münkler seine machiavellistischen Theorien in unserer heutigen Zeit anzuwenden – ohne die Umstände in Rechnung zu stellen. Bekanntestes Beispiel? Münkler ist ein großer Vorsprecher für den Einsatz der Bundeswehr in Krisengebieten, getreu dem machiavellistischen Motto, dass das eigene Land die militärische Initiative behalten muss, um nicht selbst in die Defensive zu geraten.

Das ist prinzipiell richtig und würde auch von mir unterstrichen. Die kolossale Fehlannahme besteht aber darin, dass Machiavelli für „Auslandseinsätze“, wie sie die römische Republik unternahm, auch ein Milizheer nach römischem Muster benötigt. Der machiavellistische Staat, der so eine Politik umsetzen will, ist genuin: ein autoritärer Rechtsstaat, eine Leistungsgesellschaft, ein Staat mit Wehrpflicht und das Gegenteil eines Parteienstaates. Davon trifft nahezu nichts auf die gegenwärtige Bundesrepublik zu, sieht man vielleicht von dem maternalistischen Regime einer „großen Mutter“ ab, die keinen Widerspruch duldet und das Volk wie Kinder erziehen will.

Münklers vielfache Einschätzungen, wie etwa sein Vorstoß, dass man die gegenwärtigen Flüchtlinge schnell assimilieren müsse, sind allesamt auf diesen Fehlschlüssen aufgebaut. Das ist bar jeder Realitätsnähe und frommer Wunsch; aber Machiavelli wünscht das, also muss es passieren. Der schwarze Machiavellist haut seine vorgeformten Schablonen mit dem Hammer ins Brett, obwohl sie nicht passen. Weil er es so gelernt hat, weil er dem Meister in allem folgt. Damit wiederholt er zugleich auch alle Fehler des Florentiners. Der schwarze Machiavellist hat keine eigenen Ideen, keine Originalität und sieht die Prämissen holzschnittartig-dogmatisch.

Letzteres aber ist genau das Gegenteil dessen, was einen echten Machiavellisten auszeichnet. Er muss nämlich wie das Original handeln: eben nicht nach festen Lehrsätzen, sondern originell und eigen. Der „weiße“ Machiavellist muss weniger die Lehrsätze des Meisters kopieren, als vielmehr die Denkweise. Das bedarf eines flexiblen, pragmatischen und originellen Denkens und auch feiner Ironie und Sarkasmus. Das findet sich bei Münkler alles nicht.

Ein schwarzer Machiavellist sieht nur die Sätze, aber nicht den Hintersinn. Schwarze Machiavellisten sind auch völlig immun für die Einsicht, dass Machiavellis Werk stellenweise sich selbst widerspricht – was aber keine Nachlässigkeit ist. So ist Machiavelli eben kein Freund der Alleinherrschaft, und wenn, dann nur in der Form des Übergangs zur echten Republik. Bekanntes Beispiel: im Principe (dem Buch der Monarchie) animiert Machiavelli den Fürsten dazu, Festungen zu bauen und Plätze zu sichern wie die Römer. In den Discorsi (dem Buch der Republik) dagegen steht eindeutig, dass Festungen nutzlos seien. Fürsten würden sich damit in Sicherheit wiegen, doch gegen das eigene Volk oder ein fremdes Heer nützen sie oftmals nichts wegen Verrat.

Was bedeutet das?

Nun, offensichtlich hat Machiavelli sein Werk geschrieben, um seine Leser irrezuführen. Jene Gruppe der schwarzen Machiavellisten sieht nur die Oberfläche. Ein Bekannter von Machiavelli, Leonardo da Vinci, tat etwas Ähnliches: Leonardo fertigte Zeichnungen von Erfindungen an, die er dann als Kriegstechniker verkaufen wollte. Damit aber niemand sein Werk kopieren konnte, baute er exakt einen Fehler ein, den ein Kopist nicht bemerken würde, und die ganze Maschine unbrauchbar machte. Bestes Beispiel: ein Tauchanzug, der bei der exakten Ausführung den unweigerlichen Tod des Tauchers nach sich zog. Nur Leonardo kannte den Fehler und konnte diesen beheben; nur er wusste, wie die Maschine richtig funktionierte.

Bei Machiavelli kann man etwas Ähnliches feststellen. Machiavelli war sein ganzes Leben über Republikaner. Er liebte die Freiheit. Und er sah das Volk als wichtiger an als einen einzelnen Herrscher. Das wird in seinen Hauptwerken – den Discorsi und den Istorie Fiorentine – allzu deutlich. Der Principe beinhaltet viele Wahrheiten, doch ein Fürst, der alles beherzigt, wird vom Volk gestürzt. Machiavelli wollte es so. Der perfekte Fürst muss unweigerlich der Republik Platz machen. Und ererbte Herrschaften sind nichts wert; allein Leistung zählt für Machiavelli.

Obwohl Machiavelli der Theoretiker der Staatsraison ist, kommt man bei der genauen Analyse seines Werkes nicht umhin festzustellen, dass Staatswille und Volkswille nicht konträr sind, sondern einen Kompromiss eingehen müssen. Zitat: Das Volk entscheidet weiser als ein einzelner Herrscher. Das ist nicht die Merkelrepublik; das ist auch nicht Münkler mit seinen Bundeswehreinsätzen; das klingt nach der „freien Freiheit“ der Schweizer.

Nur, wer diese Gedankengänge des Meisters versteht, begreift, was der wirkliche Plan Machiavellis war. Diese Leute nenne ich die „weißen“ Machiavellisten, weil sie auf der Seite des republikanischen, nicht des tyrannischen Machiavelli stehen. Diese weißen Machiavellisten – Jean-Jacques Rousseau ist der bekannteste – sehen den Staat nicht nur als Instanz des Staates willen, sondern gehen einen machiavellistischen Schritt weiter und sehen den Staat auch als Umsetzung des Volkswillens.

Männer wie Münkler, die alle, die ihre eigenen Gedankengänge nicht teilen, oder sogar die Unterschicht als „dumm, fett und faul“ bezeichnen, lassen erkennen, dass sie Machiavelli grundsätzlich missverstanden haben. Machiavelli war kein Vertreter der Oberschicht. Er verachtete all jene, die durch „Klüngel“ nach oben kamen, schön redeten, und das politische System unterstützten, ohne eigene Ideen; die in der Fahrrinne der Elite mitschwammen, oder den Mächtigen nachredeten.

Ich bin sicher, welchen Professor in Berlin Machiavelli am meisten verachten würde – weil niemand seine Thesen so missinterpretiert, zu seinen eigenen erklärt und seinen Namen so durch den Dreck gezogen hat, wie der selbsternannte Machiavelli-Experte, der den Mächtigen näher ist als den Wollwebern des Ciompi-Aufstandes.

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