Isch ´abe gar keine Smartphone

25. September 2015
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Freiheit | Ironie | Medien | Persönliches

An einem Morgen stört mich zwischen einem Marmeladencroissant und einer üppigen Tasse heißer Scholokolade mein Internetanbieter, der natürlich auch mein Telefon- und Mobilfunkanbieter ist. Mit Telefongebimmel. Das zweite Mal.
Unaufgefordert.
Aber diese eigene Thematik will ich nun nicht weiter vertiefen.

Mein anfänglicher Groll verpufft jedoch überraschend schnell, da der Internetanbieter wohl wusste, wie er grantige Eremiten meines Schlages gewinnen kann – Eremiten, die nichts störender finden, als einen Anruf um 10:00 Uhr morgens, der auf einen freien Tag fällt. Von einer offenbar jungen Frau um die Zwanzig lässt man sich dann doch schon etwas weniger zerknirscht aus seinem Frühstück werfen.

Die Angelegenheit ist sehr schnell geklärt. Charmante Stimme, dazu jugendlich, fast naive Ausstrahlung (warum kommt mir da jetzt eine Blondine mit aventuringrünen Augen in den Sinn? Schwamm drüber). Ich sei ja schon länger Kunde, mein Telefon liefe ja über denselben Anbieter… und da gäbe es ja nun ein ganz tolles Angebot.

Vielsagendes, männliches Gemurmel alla „Hmh“ meinerseits folgt, das verdeutlichen soll, dass man verstehe, und nun bitte fortfahre. Der Venezianer weiß natürlich, was Angebote zu bedeuten haben, wenn man sie nicht gerade anderen Leuten macht. Nämlich ein und dasselbe: jemand will mir Kram andrehen, den ich nicht will.

Die junge Dame stellt also das Angebot vor: Mobilfunk, Festnetz und Internet in einem. Alles eine Rechnung, und natürlich gibt es irgendwas kostenlos. Warum irgendwas? Weil ich bei „Handy“ bereits geistig abgeschaltet hatte. Denn dann platzt eine Bombe, die den Mensch des 21. Jahrhunderts immer wieder aus der Wolke katapultiert:

»Ja. Wissen Sie, es gibt da nur ein Problem: ich habe gar kein Handy.«

Man hört ein deftiges Schlucken, das durch die Leitung von Berlin bis nach Bonn schwillt. Das muss die junge Dame erst einmal verkraften. Mit wem spricht die da? Wer auf der Welt könnte alles kein Handy besitzen? Ein zurückgezogener Künstler in seiner Klause, der niemals Tageslicht sieht? Ein Steinzeitmensch? Ein vorbestrafter Sexualstraftäter? Jedenfalls jemand ohne Freunde!

Man fasst sich. Und wie immer ist es der Humor, der über den grotesken Abgrund der Realität führt: die junge Dame giggelt, und wirkt auf einmal ziemlich interessiert.

»Sie haben wirklich kein Handy?«

»So schaut’s aus.«

Dann, in einem Moment, in dem man merkt, dass der Mensch auf der anderen Seite der Leitung das Geschäft beiseite lässt, und wirklich interessiert ist, ringt sich das Mädel zur Frage durch, immer noch in einem leichten Anfall von Ungläubigkeit:

»Wie kommt das?«

»Habe bisher keines gebraucht. Und ich lebe ganz gut damit.«

»Nicht einmal zur Arbeit?«

»50 Jahre lang hat mein Vater als Kaufmann seinen Betrieb ganz ohne Handy geleitet. Der hat auch nie eines gebraucht. Warum da heute plötzlich Hinz und Kunz, obwohl die alle beileibe nicht dieselben wichtigen Termine hatten?«

Im Hinterkopf windet sich der Gedanke: für Einzeiler-SMS und Grinsesmiley hat heute jeder Idiot das richtige Instrument, und solange irgendeine Idiotie herrscht, läuft ihr jeder nach. Ganz abgesehen davon fragt man sich, wie noch in den 80ern Riesenkonzerne wie BMW, IBM, Siemens oder BP liefen, ohne, dass durch die ganze Welt irgendwelche Möchtegernmanager mit Handy durch den Großstadtdschungel liefen. Von den vielen Großbanken will ich erst gar nicht anfangen.

In Berlin ist man immer noch zwischen Schrecken, Überraschung und Faszination gefangen:

»Aber Internet haben Sie?«

»Das brauche ich tatsächlich zur Arbeit. Recherche. Informationsbeschaffung. Und privat zur eigenen Unterhaltung und ebenfalls Information. Auf ein Handy kann ich verzichten, aufs Internet nicht.«

»Also, ich kann aufs Internet verzichten – aber auf mein Smartphone? Kann ich mir nicht vorstellen.«

Tja, das eine ist für mich allein schon der Nachrichten wegen essentiell, das andere Beiwerk. Ich treffe Leute im Zweifelsfall lieber, als mich mit ihnen zu unterhalten – und frage mich auch, inwiefern die Aussage der jungen Dame stimmt, ob sie denn wirklich nie per Smartphone mal eine Internetseite aufruft. Facebook, beispielsweise.

Aber es soll ja auch Leute geben, die per Google suchen und bei Facebook angemeldet sind, aber von sich selbst glauben, nicht im Internet zu sein.

So durfte die Frau wieder unverrichteter Dinge auflegen, allerdings um eine bizarre Erfahrung in ihrem Leben reicher…

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