Mehr als ein Jahr war vergangen, dass Gabriele D’Annunzio, der Schriftsteller und Kriegsheld (und nunmehr: Staatsoberhaupt) die Hafenstadt Fiume mit seinen Veteranen erobert hatte, um dort ein eigenes Land auszurufen. Mit hunderten Freischärlern hatte man diesen Küstenstreifen in Besitz genommen, und eine Verfassung verabschiedet, die davor und danach keiner mehr kennen sollte; Fiume war ein unabhängiger Staat, auf nur 20 Quadratkilometern und mit 50.000 Einwohnern. Die Italiener hatten darauf gehofft, dass das Königreich Italien die Stadt annektieren würde; doch Monate des Wartens verstrichen ohne Reaktion.
D’Annunzio hatte seine Pläne geändert. Nachdem Italien Fiume nicht mehr wollte, wollte Fiume Italien. Die Verfassung der Republik, die freiheitlicher und toleranter als jene des Königreichs war, sollte ein Vorbild für die gesamte Halbinsel werden. Und der Kommandant ließ sie just an dem Tag verabschieden, als ein Generalstreik Italien im Würgegriff hielt. Fiume dagegen glich einer Insel der Seligen! Arbeit sollte nicht erschöpfen, und Beamte das Leben in Annehmlichkeiten betten. Im Zeitalter des Nationalismus schienen sogar die Spannungen zwischen Slawen und Romanen in dieser Perle der Adria gebannt.
Doch nur zwei Monate später erreichten den Kommandanten von Fiume Gerüchte, die Hiobsbotschaften glichen: im ligurischen Rapallo, nur wenige Meilen von Genua entfernt, wollten sich die Jugoslawen und Italiener über die Zukunft der Stadt am Quarnero besprechen. Die Gefährten aus D’Annunzios Korps fürchteten das Schlimmste; dass ihr ganzes Manöver, die Stadt dem italienischen Mutterland zurückzuführen, endgültig gescheitert sei; dass man sie des Hochverrats wegen hinrichten konnte; oder, sollten die Kroaten vorher eintreffen, dass man sie in einem blutigen Gefecht niedermetzeln, oder nur schandhaft abziehen lassen würde.
Da kam die Nachricht aus Genua: Fiume sollte ein Freistaat werden, unter dem Mandat des Völkerbundes. Nieder mit D’Annunzio! Nieder mit der italienischen Herrschaft am Quarnero! Der Kompromiss beleidigte D’Annunzios Ehrgefühle und die Liebe zu seinem Vaterland, das ihn verriet. De jure hatte man seine Herrschaft bereits für beendet erklärt; de facto aber harrte er aus, und herrschte wie am ersten Tag.
Bis zu jenem Morgen, da in der Ferne ein Kriegsschiff die Gewässer erreichte. Die Minister, die Veteranen und Ratsmitglieder eilten in den Palast. Man befürchtete das Schlimmste, glaubte an eine Bombardierung, eine Invasion. Eine Entscheidung musste her, da die Lage so bedrohlich war. Das Wort „Kapitulation“ raste wie ein Fallbeil herab und zischte durch die Luft. In dieser ausweglosen Situation schritt D’Annunzio selbst hervor, stellte sich an den Tisch, und warf den Feiglingen entgegen:
»Lieber einen Tag als Löwe leben, als hundert Jahre wie ein Schaf!«
Und D’Annunzio tat das einzig Logische, das einem echten Mann zur Ehre gereichte – und erklärte im Alleingang dem ganzen Königreich Italien mit seinen 40 Millionen Einwohnern und 4 Millionen Soldaten den Krieg.