Das wird nur ein kurzer Eintrag, nur ein Symbol, nicht mehr. Ich bin zu wenig Calvino-Experte, um ausufernd zu schreiben; und ich besitze noch weniger Expertise, um mir ein Urteil zu erlauben. Vielmehr will ich nur das Auge für jene öffnen, die womöglich noch nie von Calvino gehört haben.
Calvino wurde 1923 in Havanna geboren, und ist schon allein deshalb erwähnenswert, weil er weder dem katholischen, noch nationalen oder faschistischen, sondern dem sozialistisch-kommunistischen Milieu angehörte. Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte er damit zu jenem „undenkbaren“ Italien, das weder beim Papst noch beim König seinen Schutzpatron erblickte.
Umso mehr wird an Calvino jenes Lebensgefühl der späten 60er und 70er Jahre Italiens deutlich, das linkintellektuell, kommunistisch und atheistisch geprägt war. Calvino war ein Symbol dieser Zeit. Von der kommunistischen Partei entzweite ihn zuletzt, dass er nicht den autoritären, stalinistischen Stil Polens und Ungarns unterstützte, sondern einen demokratischen Kommunismus wollte.
Nun könnte man Calvino mit den 68ern in Deutschland vergleichen. Das ginge aber in die völlig falsche Richtung, nicht nur, weil er einer älteren Generation angehörte. Denn obwohl Calvino die Präferenzen eines typischen „Linken“ hatte, zu der auch eine große Verehrung der Naturwissenschaften gehörte, blieb Calvino ein literarisches Individuum, das aus seinen politischen Ansichten keinerlei Scheu machte, aber in seinen Schriften darin nur wenig zeigte.
In der Tat könnte man Calvino, den verkappten Kommunisten, eher einen verkappten Traditionalisten nennen. Denn eben weil sich Calvino an den großen Klassikern orientierte, blieb seine Literatur im Grunde immer „italienisch“, auch wenn er bedeutende Erfolge in den USA feierte und allgemeinhin als einer der größten Literaten seiner Zeit galt. In einem seiner wichtigsten Werke, den Unsichtbaren Städten, spielt Marco Polo zusammen mit Kublai Khan die Hauptrolle. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Fakten, Realität, Phantasie und Poetik.
Womöglich ist diese tief sitzende „Italianità“ seiner Werke ein Grund für seine immer noch anhaltende Beliebtheit. Seine Schriften sind nicht kalt, nicht ideologisch, sondern treiben ins Phantastische und Magische ab. Er war einer der letzten Italiener des vorletzten und nicht letzten Jahrhunderts; und obwohl er ein Poem auf Che Guevara hielt, verband ihn relativ wenig mit der (literarischen) Neuen Linken, die danach kam. Das wird daran deutlich, dass Calvino über 200 Märchen und Legenden aus allen Teilen Italiens sammelte. Als Quelle dienten ihm Volksbücher aus dem 19. Jahrhundert.
Bis zuletzt überwiegt bei Calvino das Phantastische gegenüber dem Strukturierten. Denn selbst wenn er kombiniert und strukturiert, dann tut er dies im Geiste von Dante, Boccaccio und Ariosto. In Calvinos Werk zeigt sich eine Kontinuität der italienischen Literatur, welche die deutsche vermissen lässt. Ein Schriftsteller, der sich in den 70ern an den Klassikern orientiert hätte, und zugleich von der intellektuellen Elite auf den Schild gehoben wäre? Undenkbar.
Calvino dagegen hat es getan. Er kombinierte das Althergebrachte und Große mit dem Individuellen, das er erfand. Der größte Undank der Welt zeigte sich allein darin, dass er nie den Nobelpreis erhielt. Vermutlich, weil er am Ende seines Lebens sich immer mehr in jenen intellektuellen Elfenbeinturm zurückzog, der allen anderen verschlossen blieb; Calvino wurde zum Eremiten. Calvinos letzte Bücher gelten als „verquastet“ und als völlig überladene Rätsel, an denen Literaturprofessoren ihre Freude haben, aber nicht mehr jene Leser der Erzählungen, die ihn bis heute so beliebt machen.
Mal wieder bezeichnend, dass in den deutschen „Qualitätsmedien“ des Internets sich keiner einer Würdigung erbarmt…