Heute um 11:55 – wie passend! – habe ich den Schlussstrich unter das letzte Exponat gezogen. Nach etwas mehr als einem Jahr ist der Caravaggioduft vollendet. Vermutlich hat keine meiner Erzählung so unter den Umständen gelitten. Keine Schreibblockaden, keine Ideenlosigkeit oder gar Unlust waren daran schuld. Es ergaben sich einfach zu viele Abende, an denen ich zum Schreiben nicht mehr fähig war – ein Zustand, der an mir genagt hat. So vergingen dreizehn Monate, obwohl ich vermutlich nur sechs gebraucht hätte, wenn es nicht so vieles gegeben hätte, das ablenkte. Bedenke ich, dass ich jeweils ein Drittel der Geschichte zwischen Ende August und Anfang Oktober, ein anderes Drittel zwischen Ende April und Anfang Juni schrieb, so zeigt das, wann ich Zeit hatte und wann nicht. Die restlichen Szenen verteilen sich auf das ganze Jahr.
Am Anfang stand eine große, kaum gekannte Euphorie für dieses Projekt, eine Euphorie, die ich seit frühen Löwenzeiten nur noch selten gekannt hatte. Mein Essen verbrannte, ich arbeitete bis morgens um 5, ich war in einem Rausch und Thrill wie ihn Italo und Sam kannten. Auch später kamen diese Gefühle immer wieder zurück, wenn ich Blut geleckt hatte. Das spannendste am Schreiben ist, wenn man selbst wissen will, wie es weitergeht. Obwohl dies eine der „geplantesten“ Geschichten ist, und der gesamte Aufbau feststand, ergaben sich auch hier immer wieder Episoden, in denen mich meine Charaktere überraschten. Die Szenen standen fest, aber wie Italo, Sam, Marianne und George damit umgingen, das war ihnen überlassen.
Auch in den Zeiten, in denen es nicht so gut lief, in denen ich mich Szenen haderte – manche füllte ich erst später aus – spürte ich wieder dasselbe wie bei früheren Werken. Eine Art von Pflichtgefühl, mich selbst zu überwinden, weil die Geschichte es so wollte. Ich weiß jetzt bereits, dass womöglich einige vom Ende enttäuscht sein könnten; dabei ist es durchaus charakteristisch für meinen Stil. Und es ist das Ende, das mir die Geschichte selbst so diktiert hat. Meine Enden begleitet immer ein Stück der Unbefriedigung. Das ist gewollt. Weil es für mich keine richtigen Enden gibt. Ein Buch, in dem das „Ende der Geschichte“ eine Rolle spielt, darf da keine Ausnahme sein.
Und wer die versteckten Anspielungen liest, dürfte sowieso wissen, wie die Antworten auf die letzten Fragen lauten. Das Buch ist mit Rätseln gespickt, und wer Antworten will, der muss suchen.
Genau das, was ich eben erwähnte, spüre ich übrigens auch. Jedes Buch lässt nach dessen Ende ein Gefühl zurück. Es ist bei mir nie dasselbe. Manchmal fällt eine Last ab. Manchmal ist es ein tiefes Gefühl der Genugtuung. Einmal der Freude, die zu Tränen rührt. Einmal Motivation, das nächste Projekt in Angriff zu nehmen; ein andermal der innere Ruf nach einer Pause, um die Gedanken wieder zu ordnen.
Für mich persönlich war es ein Gefühl, das zwischen Unglauben und Überraschung endete. Das war es? Nach all den Wochen, Monaten? Ich bin wirklich durch? Das kann nicht sein. Ich muss doch noch… aber das war der Plan. Ich habe erzählt, was ich im August 2014 erzählen wollte. Noch einmal: das war es, ernsthaft? Zuletzt ging es so abrupt und schnell zu Ende, dass ich selbst davon mitgenommen wurde. Dieser ganze Schreibfluss fühlte sich wie eine Achterbahn an, von der man dachte, man könne gleich noch einmal ein Ticket kaufen, und eine nächste Runde fahren – nur, um am Ende zu erfahren, dass das die einzige und letzte Bahnfahrt war. Womöglich hängt das nicht zuletzt damit zusammen, dass man in diesem Buch immer wieder in die nächste Szene stolpert, und es dann merkwürdig ist, dass es keine nächste Szene, kein nächstes Rätsel, keine nächste Offenbarung gibt. Plötzlich ist das Papier weiß und „Ende“ steht darunter.
Das sind Erfahrungen, die auch mein Leben zwischen Millionen Worten immer wieder erschüttern. Man denkt, man kenne alles und irrt. Auch in diesem Sinne ist der Caravaggioduft ungewöhnlich. Denn genau das will er. Immer wieder verwirren. Mit Vernunft kommt man hier nicht (mehr) weiter. Vielleicht betrüge und belüge ich mich auch selbst, und das ist der Grund, weshalb ich dieses Gefühl der Unbefriedigung nicht loswerde. Weil es ein letztes Exponat gab, das ich wieder strich, weil ich es unpassend fand. Wer weiß.
Zweifel ist ein ewiger Begleiter. Da bin ich ganz bei Sam.