In einer Woche, als der Vollmond nur knapp über dem Horizont stand, fuhr ein Mensch des 21. Jahrhunderts über die Landstraße. Aufmerksam bemerkte er, dass der Mond nicht nur außerordentlich groß, sondern zudem in einer rötlichen Verfärbung strahlte; einer so bemerkenswert roten Strahlung, dass man hätte glauben können, nicht der Mond, sondern ein vergrößertes Bild des Mars sei da zu sehen, in einem bedrohlichen Akt, jeden Moment hinab auf die Hügel oder den dunkelschwarzen See davor zu preschen und zu stürzen. Die dunstigen Streifen verblassender Wolken gaben dem Panorama den nötigen Ernst und eine nicht zu leugnende Unheimlichkeit, wie ihn blutmondige Apokalypsenträume zeugten.
Der Mensch des 21. Jahrhunderts schaute immer wieder durch das Seitenfenster, konnte sich zuerst aber nicht recht entscheiden, wie er darauf reagieren sollte. Denn der Mond war so unglaublich selten schön wie nie, und es fiel dem Mensch des 21. Jahrhunderts schwer, ihn weiter aufsteigen zu lassen, ohne ihn festzuhalten; denn die Menschen seiner Art verschwendeten mit nichts anderem mehr Zeit, als Dinge festzuhalten, die nie zurückkamen.
Unentschieden fuhr der Mensch seinen Jeep an den Straßenrand, aber änderte seine Meinung kurz darauf, da ihm der Abschnitt nicht gut genug erschien. Wenige Meter später fand er erst eine Haltebucht vor, die seinen Wünschen entsprach. Der Mensch des 21. Jahrhunderts zückte sein Taschentelefon, und machte ein Bild aus dem Auto heraus; doch enttäuscht verstand er, dass man da mehr von dem unappetitlichen Belag auf der Windschutzscheibe sah, als vom Himmelszelt, dass er auf ewig festhalten wollte.
Erst da stieg er aus dem Jeep, und schlenderte zu einer Abzäunung; er machte ein, dann zwei, drei und wenig später dreiunddreißig Bilder von dem Blutmond, der zwischen den Bergen drohend den Untergang ankündigte. Doch wie enttäuscht war der Mensch, als er merkte, dass sein Blitzlicht das Gegenteil von dem bezweckt hatte, was er wollte. Und erneut schoss er ein Foto, dieses Mal ohne Blitz – aber wieder war er unzufrieden. Mal war der Mond zu klein, dann zu unscharf; mal nicht so schön rot, wie es der Mensch wollte, mal gar nicht zu sehen. Eine Viertelstunde ging das so; dann löschte der Mensch des 21. Jahrhunderts wieder seine Fotos, ohne sie seinen Freunden per Twitter, Whatsapp und Facebook zu schicken oder sie der ganzen Welt mitzuteilen.
Der Mond war auf einmal sehr, sehr unbedeutend geworden, obwohl er so viel Aufwand betrieben hatte.
Der Romantiker, der den Vorgang beobachtet hatte, die Beine über einem Stein baumelnd, sah den entnervten Menschen davonrasen und blickte alsbald wieder zum Monde, wie er es auch die halbe Stunde zuvor getan; er würde es auch noch in der nächsten tun, während der hektische Mensch sich nur für Sekunden für den Mond selbst hatte begeistern können…