Nach Desenzano, Peschiera und Verona quartierten sich die Franzosen im Laufe des Julis 1796 auch in Bergamo und Crema ein. Die Festung von Brescia, eine der wichtigsten der Republik, wurde dabei von Napoleon persönlich besetzt. Die venezianischen Garnisonen blieben bestehen und taten ihren Dienst weiterhin „neben“ den französischen Besatzern. Es folgte wieder ein Bündnisangebot Frankreichs, welches Venedig in einer Allianz mit dem Osmanischen Reich gegen Russland binden sollte. Wieder hielt Venedig an seiner neutralen Rolle fest. Bis zuletzt hoffte man auf einen österreichischen Befreiungsschlags, der zum Abzug der französischen Truppen führen sollte. Spätestens im Frühjahr 1797 musste man diese Hoffnung begraben: die Franzosen hatten ihre Macht in Italien konsolidiert, die Österreicher waren geschlagen, Sardinien aus dem Krieg ausgetreten, und Anfang März fiel die Festung Mantua.
Französische Soldaten kampierten nunmehr fast ein Jahr in den wichtigsten Festungen der westlichen Terraferma. In dieser Zeit übernahmen die Franzosen mehr und mehr die Herrschaft der Bastionen und Wehrgänge; und während seine Soldaten de facto die militärische Kontrolle über diese venezianischen Territorien ausübten, formte Napoleon aus den Gebieten der ehemaligen österreichischen Gebieten die revolutionäre Transpadanische Republik als Tochterrepublik Frankreichs. Dieser Marionettenstaat sollte im administrativen Aufbau dem revolutionären Mutterland ähneln und als treuer Vasall zur weiteren Herrschaft über Italien dienen. Demnach war es folgerichtig, dass dieses Konglomerat die französische Trikolore hisste, allerdings mit einem grünen Streifen statt einem blauen. Die Transpadanische Republik sollte der Vorläufer der Cispadanischen Republik und des (napoleonischen) Königreichs Italien werden.
Bis heute lebt diese Trikolore als Flagge Italiens weiter. Für die Venezianer war sie dagegen ein Symbol der jakobinischen Schreckensherrschaft der Französischen Revolution. Vergleicht man die Flagge Italiens mit jener Venedigs, könnten die Unterschiede nicht größer sein: auf der einen Seite der Markuslöwe des Christentums auf byzantinischem Rot, das die Tradition über West- und Ostrom bis nach Venedig selbst führt; auf der anderen Seite das grüngefärbte Zeichen der Aufklärung, Revolution und Säkularisierung. Schon in den Symbolen und Farben der Flaggen der neuen Nachbarstaaten kündigte sich der „Clash of Civilizations“ an. Bis heute ist echten Venetisten die Trikolore auch deshalb verhasst, da sie das Zeichen der Jakobiner war, die das „alte“ Italien mit seinen Werten hinwegfegte.
Man stelle sich vor, Deutschland würde heute eine Nationalfahne hissen, die einer französischen Tochterrepublik auf preußischem Boden gehört hätte. Die Trikolore war eben in erster Linie keine nationale, sondern eine ideologische Flagge.
Und wie es nun mit Ländern so ist, die sich „Freiheit“ und „Menschenrechte“ auf die sprichwörtliche Flagge schreiben, kam es dazu, dass diese aufgeklärten Länder ihre Werte „exportierten“. Kurz: Revolutionäre aus Mailand sickerten nach Bergamo und Brescia ein, mit Unterstützung vonseiten der bereits dort stationierten Besatzungen. Diese wenigen, gut organisierten Gruppen schürten Unruhe gegen die venezianische Zivilverwaltung. Die Strategie der Franzosen bestand in einer Taktik, die man mit Fug und Recht als „regime change“ klassifizieren könnte. Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung anti-französisch eingestellt war (nicht zuletzt, da die fremden Truppen seit einem Jahr dort lagerten und die Städte zusätzlich beanspruchten) gab es dennoch auch hier kleine Kreise im Bürgertum, die von einem Regimewechsel zugunsten Frankreichs zu profitieren hofften. Allgemein würde man so etwas als „Hochverrat“ betrachten, aber gerade diese Verräter werden von aufgeklärten Kreisen als Verteidiger der Freiheit und Menschenrechte propagiert.
Am 13. März 1797 folgte dann die „Demokratisierung“ (so hieß es offiziell tatsächlich!) Bergamos unter Druck des Generals d’Hilliers. Offiziell war von einer Revolution Bergamos gegen die venezianischen Behörden die Rede, um eine Französische Revolution en miniature zu propagieren; tatsächlich handelte es sich um einen Coup des französischen Militärs mithilfe einiger Mitverschwörer.
Dass Bergamo eben keiner Volksrebellion oder den Idealen der Revolution anheimfiel, zeigen die tatsächlich Begebenheiten. Der Podestà von Bergamo, Alessandro Ottolini, wollte noch 10.000 Männer zusammentrommeln um die „bergamaskische Nation“ gegen die jakobinischen Aggressoren zu verteidigen; auch hier – wieder! – ein patriotisches Manöver, das von der Regierung in Venedig selbst nicht mitgetragen wurde. Als die französischen Einheiten die Burg besetzen wollten, ließ Ottolini ihnen den Zugang versperren. Und wieder war es letztendlich die venezianische Regierung, die ihm auferlegte, die Neutralität zu wahren und die Truppen einziehen zu lassen. Ottolini musste sich d’Hilliers ergeben, bevor er seinen Plan durchführen konnte.
Während die napoleonischen Truppen in Bergamo Stellung bezogen – der venezianische Gonfalon blieb jedoch weiterhin auf den Zinnen – erfuhr Ottolini davon, dass die Franzosen die Annexion Bergamos, Brescias und Cremas, kurz: der gesamten venezianischen Lombardei durch revolutionäre Regierungsumstürze vorbereiteten. Er meldete dies an den zuständigen Provveditore Francesco Battaia (der in etwa die Position eines Verteidigungsministers der Republik hatte) nach Brescia. Letzterer blieb zögerlich, wollte Gewissheiten. Ottolini beauftragte einen Spion – der venezianische Geheimdienst war immer noch einer der besten der Welt – und konnte die Beweise innerhalb weniger Tage heranschaffen. Die Reaktion aus Brescia: Schweigen.
Kurz darauf begann d’Hilliers mit der „Demokratisierung“ Bergamos, doch verlief die Operation weniger erfolgreich als gedacht. Die Zahl der Unterstützer in der Bevölkerung hielt sich in engen Grenzen. Napoleon riet dazu, dass die „Demokratisierung“ auf jeden Fall so aussehen müsse, als sei sie vom Volk gewollt. Die Besatzer setzen daher Ottolini fest, erklärten die Macht der Serenissima in Bergamo für erloschen und riefen eine Versammlung aus Bürgern ein, welche den Vorgang absegnen sollten. Die Abgeordneten protestierten zuerst, unterschrieben aber unter französischem Druck ein Dekret. Ottolini wurde darauf wieder auf freien Fuß gesetzt; doch im Gegensatz zu den zögernden Senatoren in der Hauptstadt war der aus anderem Holz geschnitzt und dachte gar nicht daran, Bergamo aufzugeben. Der Podestà rief Miliztruppen aus der Provinz, um den Spieß umzudrehen – was die Franzosen zum Anlass nahmen, dies als Anlass für die gesamte Besetzung der Stadt und den Rauswurf Ottolinis zu nutzen.
In Brescia sollte sich das Spiel wiederholen. Der dortige Podestà Giovanni Alvise Mocenigo wurde bald schon davon in Kenntnis gesetzt, dass bergamaskische Jakobiner und französische Truppen auf Brescia zumarschierten. Der wollte kurzen Prozess machen und die Kavallerie einsetzen. Auch hier: ein Rückpfiff. Provveditore Battaia befahl Mocenigo, keine Waffengewalt anzuwenden; besonders nicht, da die Franzosen schon die strategisch wichtigsten Positionen in Brescia besetzt hätten, und nicht abzusehen war, was Frankreich noch unternehmen würde. Es bedurfte nur zweihundert Jakobiner, um anschließend die venezianische Regierung in Brescia (immerhin eine Stadt mit 50.000 Einwohnern) zu stürzen. Auch das natürlich unter Aufsicht von französischen Truppen in den Kasernen, auf den Plätzen und in der Festung, von der alsbald der Gonfalon heruntergerissen wurde.
Nach der „Demokratisierung“ Bergamos und Brescias folgte am 28. März Crema. Die Cremasker – ein selten widerborstiges kleines Völkchen, das im Mittelalter schon Friedrich Barbarossa die Stirn geboten hatte – spielten jedoch nicht so mit, wie es sich die Franzosen wünschten und pfiffen auf Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, da es ihnen im unterdrückerischen Venedig ganz gut gefiel. Die französische Antwort ließ nicht lange auf sich warten: die Franzosen eroberten Crema mit Waffengewalt und schossen die Einwohner nur so mit Gleichheit und Brüderlichkeit ein. Auch den Bewohnern an der Westküste des Gardasees ging es nicht anders: als Salò die Menschenrechte Frankreichs ablehnte, beantwortete Napoleon die Absage mit Artilleriefeuer.
Die Venezianer wurden – wie die Amerikaner so schön sagen – geradezu mit Demokratie vollgepumpt.