Das Drehbuch, an dem ich nicht schreibe (II)

18. Januar 2014
Kategorie: Das Drehbuch, an dem ich nicht schreibe

SZENE II

 

AUSSEN. SAN PIETRO – HAFENBECKEN – TAG

 

Blick auf das Hafenbecken. MATROSEN sitzen auf Kistenstapeln, LASTENTRÄGER schleppen Fässer und andere Fracht in die Lagerhäuser an der Promenade. Möwen KREISCHEN über dem Becken. Schiffe verschiedener Größe liegen am Kai. Jenseits davon erhebt sich die Silhouette der Città Nuova.
Die Normalität wird von einem BRÜLLEN unterbrochen. Es stammt von einer der ankernden Karavellen mit genuesischem Banner.

 

GENUESISCHER KAPITÄN (OFF):
(wütend)
Was? Ein Venezianer auf meinem Schiff?!

 

OTTAVIO (OFF):
Kann ich doch nichts dafür, wenn ihr die Passagierliste nicht lesen könnt. Ich frage mich, wie Ihr es überhaupt geschafft habt, bis hierher zu segeln, wenn Ihr derart minderbemittelt seid…

 

GENUESISCHER KAPITÄN (OFF):
(zornig)
So! Jetzt reicht’s! Runter von meinem Schiff!

 

Ottavio fliegt mit einem LANGEN SCHREI vom Deck des Schiffes und prallt auf der Promenade auf. Er richtet sich nur langsam auf, richtet seine Kleider, hebt den Federhut neben sich auf.

 

GENUESISCHER KAPITÄN (OFF):
Und vergesst Euren Kram nicht, Venezianisches Schwein!

 

Ottavio KNALLT eine Schatulle gegen den Schädel, die ihn wieder zu Boden wirft. Das Schloss löst sich, Papierrollen, Manuskripte und andere Aufzeichnungen fallen heraus. Es folgen zwei kofferähnliche Taschen, eine Truhe und Messgeräte, die neben ihm auf dem Boden SCHEPPERN.

 

GENUESISCHER KAPITÄN (OFF):
Und lasst Euch hier nie wieder blicken!

 

Ottavio richtet den Oberkörper auf, reibt sich durchs Gesicht.

 

OTTAVIO:
(belämmert)
Glaubt mir, das hatte ich als letztes vor…

 

Ottavio richtet sich ganz auf.

 

OTTAVIO:
Ich hätte mir beim kargen Mahl gleich denken können, dass das ein genuesischer Kahn ist. Elende Pestofresser.

 

Ottavio räumt seine Gerätschaften und sein Gepäck zusammen. Es handelt sich um mehr, als er schleppen kann.
Die Matrosen und Arbeiter sehen nur kurz zum Dandolo, der sich abmüht, und schenken ihm dann kein weiteres Interesse mehr.
Ottavio resigniert, lehnt sich gegen die Truhe.

 

OTTAVIO:
Nützt alles nichts. Ich muss eine Gondel nehmen…

 

Ottavio geht zu einer Reihe von Stegen am Hafenbecken, wo Gondeln in verschiedenen Farben – darunter auch gelb-schwarz kariert – anliegen. Mehrere GONDOLIERI warten dort auf Kundschaft und langweilen sich.
Ottavio beugt sich vor, schaut zu den Gondelfahrern.

 

OTTAVIO:
Gondola, Gondola?

 

Die Gondolieri sehen sich untereinander an. Einer nach dem anderen will sich vordrängeln, wonach es zu Streit und Handgreiflichkeiten kommt. Der Wettbewerb um den einzigen Kunden endet in einer Prügelei.

Indes Ottavio auf die Prügelei blickt – und die Matrosen im Hintergrund Wetten mit Kreide auf einer Lagerwand nebenan notieren – fällt ein Schatten auf ihn, der seinen Blick in diese Richtung lenkt. Ihm gegenüber hat sich eine junge Frau gestellt, welche die Ankunft des Dandolo verfolgt hat. VALENTINA BACCALÀ (20) hat die Hände in die Hüfte gestemmt. Sie ist selbstbewusst und gewitzt; äußerlich wirkt sie abgehärtet, ist aber innerlich eine Romantikerin, welche die Lücken in ihrem Leben mit Träumen und Sehnsüchten füllt.

 

VALENTINA:
Valentina Baccalà, Gondoliera, zu Euren Diensten. Wenn es sein muss, bringe ich Euch bis nach Porto Vecchio – und zurück.

 

OTTAVIO:
(skeptisch)
In Venedig sind nur Männer zum Gondoliere zugelassen.

 

VALENTINA:
(ungerührt)
Wie gut, dass wir hier in Palatina, und nicht Venedig sind.

 

Valentina schaut auf das Gepäck.

 

VALENTINA:
Wo darf es hingehen? San Paolo, Città Antica, Città Nuova? Ich habe bisher jeden Kunden pünktlich abgeliefert. Das sind meine Honorationen!

 

Valentina klappt vor Ottavios Augen eine Papierrolle aus. Ottavio bückt sich vor, betrachtet das verschmierte Papier, das die Gondoliera als Diplom ausgibt. Im Hintergrund hört man TRITTE und SCHLÄGE.

 

OTTAVIO:
Honorationen? Das ist die Speisekarte der Schänke „Vitellis letzter Ritt“! Mit einigen billigen Korkenstöpseln draufgeklebt, und…

 

Ottavio bleibt an einem der „Abzeichen“ hängen.

 

OTTAVIO:
Wartet mal – ist das Vogelmist neben dem Hermelin im Knuspermantel?

 

Valentina zieht das Papier wieder ein.

 

VALENTINA:
Das ist jedenfalls mehr, als die meisten Gondolieri zu bieten haben.

 

OTTAVIO:
Wenn das schon der gehobene Standard ist, will ich nicht in der Economy-Class reisen.

 

VALENTINA:
Signore, ich liefere Euch vor der Haustüre jedes Hauses ab, das am Wasser liegt. Palatinas Hauptstraße ist der Rio – und ich habe Euer Pferd.

 

Ottavio gibt nach. Er macht einen Handschwenk, wonach Valentina die Sachen über einen Steg auf die Gondel bringt.

 

VALENTINA:
Signore haben gut entschieden. Wie lautete noch der Name, Ser?

 

OTTAVIO:
(langsam)
Dandolo. Ottavio. Faustino. Leonardo. „Il Malcontento“. Dandolo.

 

Valentina bleibt mit Ottavios Reisetasche in der Hand stehen, schaut ihn an.

 

OTTAVIO:
Belassen wir es bei Ser Dandolo.

 

VALENTINA:
Und wo wünschen Ser Dandolo hingebracht zu werden?

 

OTTAVIO:
Ich suche einen Verwandten. Die Familie meiner Mutter hat sich vor zwei Generationen als Botschafterfamilie für Venedig hier niedergelassen. Mein Onkel führt diese Tradition fort.

 

Valentina schiebt die Truhe an Bord.

 

VALENTINA:
Bedaure, aber damit kann ich kaum etwas anfangen. Genauere Informationen wären hilfreich, Ser.

 

OTTAVIO:
(wie nebenbei)
Er soll die örtliche Markthalle leiten. Sein Name lautet Cesare Foscari.

 

Valentina stockt, hat zwei Messinstrumente in den Händen.

 

VALENTINA:
Man merkt, dass Ihr nicht aus Palatina seid, Ser Dandolo. Foscari verwaltet nicht die Markthalle. Ihm gehört auch nicht die Markthalle. Cesare Foscari ist die Markthalle, Ser.

 

Valentina wirft die Instrumente mit Schwung an Bord, die mit einem KLIRREN aufkommen. Ottavio schaut dem unordnungsgemäß verwahrten Gepäck fassungslos nach.
Valentina tippt dem Dandolo gegen die Brust.

 

VALENTINA:
(nachdrücklich)
Und ich werde Euch zu ihm bringen. Seid versichert!

 

Ottavio schaut immer noch auf sein Gepäck an Bord der Gondel.

 

OTTAVIO:
(ironisch)
Das trifft sich. Schließlich brauche ich jemanden, der mir ein paar neue Messinstrumente bezahlt…

 

Ottavio geht an Bord. Valentina wirft einen Blick auf die Prügelei, wo die Wettgewinner sich betrogen fühlen, da am Ende der Auseinandersetzung alle am Boden liegen. Eine neuerliche Schlägerei entbrennt, nun zwischen den Wettenden.
Valentina stellt sich auf den hinteren Teil der Gondel, nimmt das Ruder, und stößt das Boot vom Steg ab.

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