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Die Bilder aus Kabul erinnern an die letzten Tage von Saigon. Die historische Fehleinschätzung verdeutlicht eine Pressekonferenz von US-Präsident Joe Biden im Juli. Die afghanische Regierung werde sich bewähren, mindestens bis zum Frühjahr. Nein, die Taliban-Eroberung sei nicht unausweichlich, es stünden ihr ja 300.000 gut ausgerüstete Männer der Regierungsarmee entgegen. Auch andere Kritikpunkte wischte Biden beiseite. Im Nachhinein erinnert die groteske Veranstaltung an die Darbietung des irakischen Außenministers, der 2003 immer neue Siege verkündete, während die amerikanische Invasionsarmee bereits im Hintergrund kämpfte.
Dennoch hinderte das die USA nicht daran, frühzeitig ihr Personal auszufliegen. Nach Informationen des Tagesspiegels bot man auch den Deutschen eine solche „Luftbrücke“ in letzter Sekunde an. Berlin lehnte ab. Außenminister Heiko Maas beantwortete kritische Fragen noch im Juni damit, eine Machtübernahme der Taliban sei nicht „Grundlage“ seiner Annahmen. Diese eklatante Fehleinschätzung könnte nun für die verbliebenen Deutschen am Hindukusch lebensgefährlich werden. Um das Versagen zu vertuschen, lautet die neue Diktion: der Fall Afghanistans sei unvorhersehbar gewesen.
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