Historische Krisen formen gemeinsames Bewusstsein. Die englische Besatzung im Hundertjährigen Krieg weckte bei den Franzosen ein Zusammengehörigkeitsgefühl, aus dessen Keim der französische Nationalgeist entsprang. Aus den gemeinsamen Erinnerungen der Befreiungskriege gegen Napoleon und den Erfahrungen von 1870/71 schöpfte das Deutsche Reich seine Legitimation. Es sind realpolitische Konstellationen, die schon Machiavelli und Schmitt postulierten. Das alte Freund-Feind-Schema entwickelt sich in solchen Situationen der Außenbedrohung weiter, die Gruppe der eigenen Leute wird als größer wahrgenommen – im Widerstand gegen den oder das andere.
In weniger als 30 Tagen hat die Europäische Union ihre Belanglosigkeit in der Geschichte gezeigt. Nationen und Imperien hätten sich in jeder anderen historischen Situation gebildet, aus reiner Notwehr, um dem Strom der sich umwälzenden Epochen zu entgehen; nicht aber die EU, die in ihrer Geschichts- und Identitätslosigkeit keine Antwort auf uralte Bedrohungen weiß, sondern höchstens humanistische Wohlfühlvokabeln ausspricht.
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Rom rief nach Hilfe. Und Brüssel antwortete. Ursula von der Leyen wandte sich an die Italiener in der Sprache Manzonis. „Wir sind alle Italiener“, hieß es. Medientechnisch eine Glanzleistung, doch in der inhaltlichen Umsetzung ein reines Schaustück. Worte – so wusste bereits Machiavelli – sind umsonst. Für Unmut sorgte in Italien, dass die EU ihre Gespräche zur Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus fortsetzte, nicht aber über Hilfen an das gebeutelte Land, oder ein konsequentes europäisches Vorgehen beriet. Man mag solche Gedanken für nicht themenbasiert halten. Aber die Italiener sind bis heute der Meinung: wer über EU-Finanzen reden kann, der kann auch über EU-Pandemien reden. Die Prioritäten sollten klar sein. Ganz offensichtlich lag der EU mehr daran, italienische EU-Mandatsträger als mögliche Keimträger zu isolieren.