Die Heilige Familie: Armes Jesulein?

29. Dezember 2018
Kategorie: Antike | Gastbeitrag | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders

Ein Gastbeitrag von Meike Katharina Gallina.

Papst Franziskus hat die diesjährige Christmette zu einem Appell genutzt und angesichts des Kindes in der Krippe zu mehr Bescheidenheit aufgerufen. Dieser Aufruf reiht sich in die traditionell zu Weihnachten aufkommende Konsumkritik ein, doch einige Kirchenvertreter gehen weiter. Von der Geschichte, die Heilige Familie sei als Flüchtlingsfamilie vom hartherzigen Wirt in Bethlehem ungastlich empfangen worden, soll hier gar nicht die Rede sein, deren Unsinnigkeit ist ausreichend diskutiert worden, die Rede soll sein vom armen Jesuskind, das die letzten Jahre immer ärmer zu werden scheint und seine traditionell bescheidenen Lebensverhältnisse gegen bitterste Armut tauschen musste.

Die Westfälischen Nachrichten zitieren aus der noch nicht vom Bistum veröffentlichten Predigt des Münsteraner Bischofs Dr. Felix Genn:
Der Stallgeruch eines Kindes, das in Armut geboren wurde, habe das ganze Leben Jesu durchzogen. Dieses „machtvolle, radikale, armselige Zeichen“ der Geburt Jesu bleibe bis heute präsent „im unscheinbaren Zeichen von Menschen, die schlicht und einfach dieser Botschaft trauen und in ihrer Umgebung und in ihrem Leben ohne viel Aufhebens durch Liebe und Gewaltlosigkeit, durch Verzeihen und Vergebung, durch Hingabe und Bereitschaft zum Dienst Ausdruck verleihen.“ […] Bischof Genn: „Weil am Anfang des Lebens Jesu genau diese Armut stand, ist sie der dringende Impuls – auch in der Kirche –, nicht nur für die Armen etwas zu tun, sondern mit ihnen das Leben zu teilen durch den eigenen bescheidenen und besonnenen Lebensstil, durch die Rücksicht auf die ökologischen Bedingungen und die Sorge für die kommenden Generationen, das kritische Zuschauen gegenüber allen Tendenzen, der Kostbarkeit des Lebens vom Anfang bis zum Ende größte Priorität einzuräumen, allen Versuchen, den Menschen bis in seinen innersten Lebenskern zu manipulieren, zu widerstehen.“

Der Stallgeruch der Armut habe also laut Genn das ganze Leben des Messias durchzogen. Die temporäre Stallepisode gibt wenig Grundlage, also wird dem ganzen Leben der Stempel der Armut aufgedrückt. Es stimmt, dass Jesus nicht in eine reiche Familie geboren wurde, aber der Armut lohnt es sich vielleicht, etwas auf den Zahn zu fühlen. Aus der Bibel wissen wir nicht viel. Josef war τέκτων, also im Grunde Universalhandwerker rund ums Haus, wir sprechen häufig von Zimmermann, was hier keinen Unterschied macht. Der Tradition nach war Josef überdies kein angestellter, sondern selbstständiger Handwerker mit eigener Werkstatt. Viel zitierter und richtiger Hinweis auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Heiligen Familie liefert Lk 2,24: Das Paar opfert zwei Tauben – Das klassische Opfer der armen Leute, die sich kein Schaf leisten konnten, weil die Vögel selbst gefangen werden konnten. Aus der Tatsache, sich kein Opferschaf leisten zu können, Armut zu schließen, scheint mir etwas übereifrig.

Im ersten nachchristlichen Jahrhundert belief sich der durchschnittliche Monatslohn eines Mannes in Ägypten auf 17,67 Drachmen.* Der durchschnittliche Jahresbedarf einer sechsköpfigen Familie betrug 753,02 Drachmen, also umgerechnet ungefähr 1506 Tageslöhne. Selbst bei einer zweiköpfigen Familie ist das Modell des Alleinverdieners – und die Mutter des Gottessohnes wird wohl in die Erziehung investiert und nicht nebenbei gearbeitet haben – nicht vielversprechend. Ein Jahreseinkommen von durchschnittlich 212 Drachmen steht dem Bedarf von 424 Drachmen entgegen, das Kind noch nicht mit eingerechnet. Geht man davon aus, dass die Heilige Familie vom Durchschnittseinkommen lebte, wuchs Jesus tatsächlich in bitterer Armut auf.

Mir stellt sich bei dem Gedanken an das arme Jesuskind ganz naiv die Frage, wieso Gott das gemacht hat. Die bescheidenen Verhältnisse, von denen ich in meiner Kindheit gehört habe, leuchten mir ein – kein Überfluss, kein Mangel – aber wieso lässt Gott seinen Sohn in Armut aufwachsen? Ihm einen Hallodri und Rumtreiber zum Nährvater zu erwählen, wäre auch grotesk, darauf kommt auch keiner. Wäre Jesus als Mann aus „der Mitte der Gesellschaft“ nicht glaubwürdiger? Warum lässt der Vater den Sohn auf Erden unnötig in Armut leiden? Ganz irdisch gesprochen: was spricht gegen eine schöne Kindheit für den Gottessohn? Nicht in besonders wohlhabenden, aber doch in sicheren Verhältnissen? Mit einer Mutter, die sich in sozialer Sicherheit ihrem Sohn widmen kann? Können Sie sich Maria als Frau vorstellen, die es vor Überanstrengung und Arbeit, weil sie bis zum Morgen noch zwei Nähaufträge zu erledigen hat, nicht zum Bett ihres schreienden Sohnes schafft und darauf hofft, der Messias möge sich schon in den Schlaf weinen? Mit einem Vater, der monatlich am Abendbrottisch der langsam am Ende ihrer Künste ankommenden Frau erklärt, der Gürtel müsse enger geschnallt werden, die Familie müsse mit einer Mahlzeit am Tag zurechtkommen? Sehen Sie die sündenlos empfangene und gebärende Mutter Gottes als verzweifelte Mutter, deren Milch ob ihres eigenen Nahrungsmangels kaum reicht für ihr Kind? Ich nicht. Mir leuchtet nicht ein, wieso die Geschichte, obwohl die biblische Faktenlage wie gesagt dünn ist, in den letzten Jahren immer mehr in Richtung materiell erbärmlicher Verhältnisse geht. Wo ist der Vorteil für das Narrativ? Jesus als kleiner Schnösel neureicher Emporkömmlinge funktioniert auch nicht gut, aber wozu das Extrem? Die müßig-gefühlige Annahme des automatischen moralischen Vorsprungs des Armen vor dem Reichen dürfte hier eigentlich keine Rolle spielen. Oder ist der Trend schon so weit, dass jeder der überhaupt irgendetwas besitzt in den Ruch reicher Unmoral gerät? Der ganze Mittelstand geht nicht durchs Nadelöhr? Das ist eine Frage der Gesellschaftspolitik und gehört hier nicht hin, aber die Projektion, dass, nur weil ein Zimmermann mit Frau und Kind heute um seine Existenz kämpfen muss, die soziale Stellung auch zur Zeit Jesu Geburt prekär war, sollte überprüft werden.

Die Gesellschaft des römischen Reiches wird grob in zwei Schichten eingeteilt, plebs und nobilitas. Klar ist, die Heilige Familie gehört zur ersten. Die Trennlinie zwischen den beiden verläuft aber nicht zwischen bettelarm und etwas besitzend, sondern die plebs endet erst in der guten Mittelschicht, der Schluss von plebs auf Proletarier geht nicht glatt auf. Ein Blick in die Geschichte liefert Beispiele.** Die sieht Handwerker nämlich nicht immer im Status der Hauptmannschen Weber. Wir kennen einen antiken Leinweber aus Ephesos, der es zu beträchtlichen Würden, u.a. zum Leiter einer Staffelmannschaft gebracht hat und dem Verein der Leinweber die beträchtliche Summe von 5.000 denarii hinterlassen hat. Handwerker konnten es in der sozialen Leiter weit bringen und selbstständige Handwerker waren oft nicht weit entfernt vom Stadtrat einzuordnen und gehörten mindestens zur Elite der plebs. Gott sorgt für die Seinen ist vielleicht zu viel, aber selbstverständlich sorgt Gott dafür, dass sein Sohn in anständigen Verhältnissen aufwächst.

Hinweis auf „ordentliche Verhältnisse“ ist auch der Umstand, dass Josef und Maria jährlich zum Passafest nach Jerusalem fuhren. Vorgeschrieben war die Wallfahrt für alle Juden, die maximal eine Tagesreise von Jerusalem entfernt wohnten, Nazareth liegt aber gut drei Tagesreisen entfernt. Dazu kommen mindestens zwei vorgeschriebene Tage Aufenthalt. Acht bis zehn Tage Urlaub waren also im Budget. Unnötiges Leid täte nichts Gutes, ein Jesus mit knurrendem Magen hätte vielleicht einen besseren Sozialrebell moderner Couleur abgegeben, für die Geschichte aber keinen Mehrwert. Warum sollte übrigens auch Maria gestraft werden? Sie ist die Mutter Gottes, ihr einziger Sohn wird ans Kreuz geschlagen (nach jüdischem Verständnis ist ein einziges Kind Strafe genug) und zusätzlich unnötige Armut? Ich glaube, Gott wird Maria die Möglichkeit, ihrem Kind die beste Mutter zu sein, nicht unnötig erschwert haben. Die Kunst zeigt Maria in reichen Gewändern mit lieblichem Blick, diesen gewohnten Blick der Gottesmutter möchte ich mir durch moderne Solidaritätsromantik nicht nehmen lassen. Und zum Schluss sei an den Sack Gold erinnert, den die drei Weisen brachten.

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*Zahlen entnommen aus Ruffing, Kai; Drexhage, Hans-Joachim: Antike Sklavenpreise. In: Mauritsch, Peter et al. (Hgg.): Antike Lebenswelten. Konstanz – Wandel – Wirkungsmacht. FS für Ingomar Weiler zum 70. Geburtstag. Wiesbaden 2008. S. 321-352. Hier S. 342.
**Folgendes entnommen aus: Pleket, Henri: Berufsvereine im kaiserzeitlichen Kleinasien. In: Mauritsch, Peter et al. (Hgg.): Antike Lebenswelten. Konstanz – Wandel – Wirkungsmacht. FS für Ingomar Weiler zum 70. Geburtstag. Wiesbaden 2008. S. 533-544. Hier S. 541-542.

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