Der Antrag der Bundesregierung zum Migrationspakt ist durch: damit kann der Staatsbürger nun wieder unbehelligt seinem Tagwerk nachgehen, es muss ihn nichts weiter bekümmern. Dass von der UN bereits ein „Flüchtlingspakt“ auf dem Weg ist, soll ihn ebenso wenig behelligen wie der am Donnerstag zum Schluss gekommene Prozess.
Der Bundestag hat dem Uno-#Migrationspakt mit deutlicher Mehrheit zugestimmt. 372 stimmten mit "Ja", 153 mit "Nein".
https://t.co/Ahi7irY3Ws— SPIEGEL ONLINE (@SPIEGELONLINE) November 29, 2018
Anders als bspw. der Spiegel suggeriert, bekam der Pakt natürlich keine „deutliche“ Mehrheit. Es war eine normale Regierungsmehrheit. Die 153 Nein-Stimmen sollen aber auch nicht suggerieren, dass irgendeine Basis des Protests im Parlament außerhalb der AfD gegen das Papier zu finden wäre. Neben den beiden fraktionslosen Abgeordneten stimmte auch die gesamte Fraktion der Linken dagegen. Nicht, weil man um die Gefahren des Paktes selbst fürchtete, sondern da es – von Petra Pau richtig festgestellt – um den Antrag der Bundesregierung ging. Die Linke war mit diesem nicht einverstanden, weil die Regierung die Punkte des Paktes eben nicht ganz ausschöpfte.
Ein besonders bemerkenswertes Bild boten Grüne und FDP. Die Grünen hatten in der Debatte – und auch schon in der Sitzungswoche davor – den Migrationspakt so über den gleichfarbigen Klee gelobt, dass man hätte glauben können, das Papier stamme nicht aus den Skriptorien der Bundesregierung, sondern aus der grünen Parteizentrale. Der GCM entsprach in vieler Hinsicht den feuchten Träumen der Guten und Schönen. Die Enthaltung enthüllte dann jedoch die Kleinkariertheit des Parteienstaats: die Grünen hatten einen eigenen Antrag zum GCM eingebracht, und natürlich konnten sie nur diesem die Zustimmung geben, nicht aber dem Regierungspapier.
Ähnlich bei der FDP. Die reichte neuerlich einen Antrag bezüglich ihres Einwanderungsgesetzbuches ein, ein Vorstoß, den die Liberalen seit Monaten erfolglos versuchen. Die Enthaltung resultierte dabei nicht nur daraus, dass man den Regierungsantrag nicht dem eigenen Papier vorziehen wollte, zugleich aber dem GCM zustimmte; man wollte wohl auch einerseits nicht die Türe zu einer möglichen Jamaika-Koalition verschließen und sich möglichst staatspolitisch verantwortlich gerieren, andererseits nicht die eigenen Wechselwähler verprellen, die in der Hoffnung auf eine weniger radikale Lösung der Einwanderungsfrage noch 2017 die FDP anstelle der AfD gewählt hatten. Wie bei allen Quadraturen des Kreises dürfte die FDP sich hier zumindest bei letzteren eine Wiederwahloption verspielt haben.
Die namentliche Abstimmung, zu der die AfD das Parlament gezwungen hatte, dürfte dabei insbesondere vier Personen das Leben schwer machen. Es handelt sich um Abtrünnige in der CDU/CSU, die entgegen der Regierungslinie gegen den Pakt stimmten. Rechtspopulistische Verschwörungstheoretiker und wutbürgerliche Abweichler, mit Sicherheit. Es handelt sich um:
Silke Launert,
Torsten Schweiger,
Karin Strenz
und Arnold Vaatz.
Der sächsische Querkopf Vaatz war bereits in der Vergangenheit aufgefallen, weil er auch nach der Energiewende an der Kernkraft festhielt und zuletzt die Abberufung von Hubertus Knabe im Fall der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen öffentlich kritisierte. Zwei weitere Unionsabgeordnete – Veronika Bellmann und Christoph Bernstiel – enthielten sich.
Von 709 Abgeordneten waren 43 übrigens zur Abstimmung gar nicht erst erschienen. Ob man damit einer möglichen Gewissensentscheidung fernbleiben wollte, bleibt reine Spekulation. Bemerkenswert ist jedoch, dass die am selben Tag stattgefundene Abstimmung zur Grundgesetzänderung im Bau-, Bildungs- und Verkehrsbereich eine weitaus größere Zustimmung über die Parteigrenzen hinweg erhielt (578 Ja-Stimmen).
Wie jüngst erwähnt: was wir sahen, war vor allem eine Disziplinierung der eigenen Reihen. Wer will jetzt in der CDU noch vorpreschen und beim Parteitag den Migrationspakt auf die Agenda setzen? Und wer soll dies tun? Jens Spahn, der diese Idee erst einbrachte, hat im Parlament den Pakt öffentlich bejaht. Es könnte jene Aktion sein, die ihn seine letzten Anhänger kostet. Seine Glaubwürdigkeit hat er jedenfalls verspielt.
Die AfD indes hat ein lohnendes Thema verloren: seit Donnerstag ist die Sache unter Dach und Fach. Mit den Stimmen des Parlaments hat die Regierung nun eine Legitimation mehr im Ärmel und kann den Vertrag in Marrakesch in aller Ruhe unterzeichnen. Wie es mit dem GCM weitergeht, liegt daher in den Händen derer, die sich außerhalb Deutschlands befinden. Wieder einmal hat die CDU ihre programmatische Stagnation, die Kanzlerin ihren langen Arm gezeigt.
Die einzige Pointe bot eine Anekdote am selben Tag: die Kanzlerin jenes Landes, das der ganzen Welt seine Migrationspolitik aufdrücken will – immerhin sind große Teile wohl unter Aufsicht der Bundesregierung entstanden – vermag es am selben Abend nicht, sein Regierungsoberhaupt sicher nach Argentinien zu fliegen. Dass die deutschen Ambitionen, die Welt neuerlich eines Besseren belehren zu wollen, weil man ganz genau weiß, an wessen Wesen man genesen soll, schnell eine Ikarus-ähnliche Wende nehmen könnten, kommt den Regierenden auch nach einem solchen Fingerzeig immer noch nicht in den Sinn.