Ich habe einen Fehler gemacht.
Nach Monaten des Rückzugs kam ich eher zufällig auf einen Blog-Beitrag von Josef Bordat, der auf Facebook verlinkt war. Trotz auferlegter Regeln verfasste ich dennoch eine Antwort. Ich sollte es – wie immer bei Facebookdiskussionen – bereuen. Aber nur Schaden macht ja klüger.
Nun also doch ein Beitrag zur Thematik. Alles gesagt, nur nicht vom Löwen, könnte man sich denken. Ist die Sache nicht sogar schon überfällig und passé? Man steht wie die Spartiaten bei Marathon herum, so der Vorwurf. Dennoch gibt es da ein paar Dinge, die erwähnt werden sollen. Vermutlich zuvorderst, weil ich mich mal wieder geärgert habe.
Bordat hat in seinem ersten Artikel zu dem Thema die Luft rausnehmen wollen. Grundtenor: alles nicht so schlimm, die UNO nimmt euch nichts weg. Denn letztendlich schränke der Pakt ja nicht die nationalstaatlichen Rechte ein. Bordat holt sich dann Fachexpertenrat von einem Juristen, der diese Nicht-Verbindlichkeit unterstreicht. So weit, so schlecht.
Denn es ist grundsätzlich erst einmal völlig egal, ob man Angst vor der Weltverschwörung oder der New Order einer wie auch immer gearteten Institution hat. Wenn ein Land ein Recht annimmt, ist zuerst einmal das Land dafür verantwortlich. Heißt: es kommt nicht so sehr darauf an, ob Deutschland fremdkontrolliert wird, sondern dass es sich selbst knebelt. Wenn wir schon wieder bei den bösen Rechten sind: die sehen das Übel ja eben nicht so sehr in der Fremdbestimmung und verschwörungstheoretischen Geheimorganisationen, als im Masochismus des Westens. Ersteres – der Glaube an übermächtige Konzerne, Weltregierungsorganisationen, oder auch zionistische Verschwörungen – sind ja eher ein Erbe des anderen Lagers. Eine persönliche Note: auch ich glaube eher, dass wir von den Eitlen und Dummen regiert werden, nicht so sehr von den Hinterlistigen und Bösen. Wer die „Getriebenen“ von Robin Alexander gelesen hat, weiß, dass die Migrationskrise 2015 und das Handeln Merkels in erster Linie nicht einem großen Plan folgte, sondern Überforderung und dem Willen, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Eben weil aber diejenigen in der Regierungsbank sitzen, die dort nichts verloren haben – Machiavelli würde sagen: Altmaier, Nahles, Merkel et alii sind eine recht zweifelhafte „Elite“ – muss man sich gar nicht so sehr um die UN, als um die deutschen Entscheidungsträger sorgen. Nicht viel anders ist es mit der EU: die EU ist nur deswegen jenes Verwaltungsmonster, weil die deutsche Politik es so will. Richtlinien aus Brüssel werden hierzulande übererfüllt und die Parteipolitik schlägt daraus Kapital. Beispiel: die Stickoxidwerte. In ganze Griechenland gibt es gerade einmal 9 Messstationen, teilweise irgendwo in luftigster Höhe montiert. In Deutschland hat man eine regelrechte Passion daraus gemacht, über 250 Stationen spüren das Terrorgas auf, manchmal in geringstem Abstand zum Boden, der laut EU-Richtlinie möglich ist. Darauf angesprochen, geben die Ministerien nicht etwa zu Protokoll, dass die Deutschen das so wollen, sondern, dass man sich ja an die Vorgaben aus Brüssel halte. Dass man diese übererfüllt, fällt unter den Tisch.
Heißt: Abkommen beruhen auf der Willfährigkeit des jeweiligen Staates. Bordat sagt sehr richtig, dass internationales Recht immer darauf fußt, wie sich die Beteiligten daran halten. Daher sind Abkommen auch oft nicht das Papier wert. An der Außenpolitik der italienischen Renaissance zu Machiavellis Zeiten hat sich nichts geändert; der Fürst sollte nicht davor zurückscheuen, einen Pakt aufzulösen, wenn es ihm beliebt.
Nur: nicht die UNO oder die EU sind unser Problem – wie aufgeführt – sondern diese Regierung. Begleitet von einer Mentalität, die man als typisch deutsch bewerten kann. Sie ist von Übererfüllung geprägt. Dieser Korinthenkackerei ist es übrigens zu verdanken, dass im angelsächsischen Raum der „Nazi“ kein „Nazi“ in dem Sinne ist, sondern ein Stereotyp. Muss ich hier neuerlich den Suppennazi erwähnen? Und muss ich noch einmal erwähnen, dass ein bestimmter Teil ganz konkret gegen die hier geltende Presse- und Meinungsfreiheit zugunsten einer staatlichen Beglückung mit der richtigen Meinung gerichtet ist?
Die Sorge ist darum sehr begründet, dass der Migrationspakt ganz deutliche Auswirkungen hat. So, wie Berlin jede mögliche Richtlinie aus der EU zum Anlass nimmt, seine Verpflichtungen überzuerfüllen, ist es bei UNO-Richtlinien nicht anders. Da juckt es ehrlich gesagt nicht mehr, ob der Vorschlag aus dem Innenministerium oder aus New York kommt. Auf den Inhalt kommt es an. Das Argument, es gäbe ja keinen internationalen Gerichtshof für Migrationsfragen, wo jemand klagen könnte, spielt keine Rolle. Der GCM wird nationales Recht, das heißt, man kann hierzulande klagen, wie man auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen kann. Das Recht ist dann dort gültig, wo es anerkannt wird. Angesichts der Leistungsforderungen, die dann auch Nicht-Staatsbürger hierzulande hätten, ist das ein alles andere als unbedrohlich wirkendes Szenario für den sozialen Frieden.
Zugleich ist es interessant, wie viele Seiten darauf verweisen, das Papier zu lesen, aber nie darauf, wie die Stellungnahme Österreichs aussieht, warum man dieses angeblich harmlose Papier nicht unterschreiben will. Kurzgefasst: weil Österreich fürchtet, dass „soft law“ (hier: Absichtserklärung) zu „hard law“ (hier: Vertrag) wird. Das heißt: selbst wenn wir auf der Interpretation verharren, es handele sich hier um eine reine Absichtserklärung, die keinen rechtlichen Charakter hat, so heißt das nicht, dass das auch immer der Fall ist. Es ist ähnlich wie bei der Anerkennung von Staaten: ein rebellisches Land mag vielleicht anfangs nicht anerkannt werden, wenn dies jedoch immer mehr Staaten tun, so ist es nur eine Frage der Zeit, bis es eine rechtlich gefestigte Position als legitimes Land einnimmt. Österreich argumentiert also: je mehr Länder dieses Papier unterzeichnen, umso mehr Gültigkeit erlangt es, irgendwann einmal „hard law“ zu werden, weil sich Politiker, Menschenrechtler und Juristen darauf beziehen werden.
An dieser Stelle bin ich am ehesten verwundert, dass Bordat in seinem ersten Beitrag zwar ellenlang irgendwelche spätmodernen Philosophen bemüht, sich aber überhaupt nicht mit der Geschichte des Gewohnheitsrechts befasst, das er als jemand mit ungeheurlicher Expertise im Bereich des Mittelalters und der Frühneuzeit natürlich kennt. Ein großer Teil der internationalen Beziehungen, die in ihrer heutigen Form eine organisch-frühneuzeitliche Sache geblieben ist, beruht auf Gewohnheitsrecht. Es war irgendwie so, und so ist es geblieben. Wir wissen bis heute nicht so recht, wie sich das Heilige Römische Reich in seiner Verfassungsgestalt entwickelt hat. Irgendwann war der Erzbischof von Mainz aber eine so große Nummer, dass er als erster unter den geistlichen Kurfürsten galt. Wieso? Man weiß es nicht mehr. Es hat sich so entwickelt.* Der Zustand wurde dann in der Goldenen Bulle im 14. Jahrhundert so festgelegt. Gewohnheitsrecht wird dann kodifiziert, weil es das de facto geltende Recht fundamentiert. Als Historiker zu übersehen, dass es unzählige Fälle in dieser Art gegeben hat, und natürlich auch für den GCM so entwickeln kann, ist doch überraschend.
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*Als Nachgeborene wissen wir dazu natürlich mittlerweile etwas mehr, aber die Zeitgenossen von 1356 konnten das nicht mehr so rekonstruieren. Es war aber der mittelalterlichen Mentalität entsprechend auch unwichtig, sondern wurde – wenn nötig – auch später mit neuen Geschichten „erfunden“, um eine befriedigende Erklärung zu haben.