Die Deutschen als Lehrmeister der Polen

13. November 2017
Kategorie: Europa | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Ironie | Italianità und Deutschtum | Medien | Non enim sciunt quid faciunt

Die alte Mär des Quantitätsjournalismus, der Seite an Seite mit dem militärisch-linksliberalistischen Komplex marschiert, geht folgendermaßen: die Rechten sind unser Unglück, weil sie unsere Gesellschaft polarisieren und ganz Europa zerstören. Denn mit Wilders, Salvini, Le Pen und der AfD kommen Leute an die Macht, welche die Europäer auseinanderdividieren. Wir müssen den Status quo verteidigen, Frau Merkel ist eine Garantin für eben jenen. Andere Gestalten würden unser Land und den Kontinent in die Apokalypse der Zerspaltung treiben, Propaganda gegen den Nachbarn, Trennung von Vereintem. Deutschland und seine tapferen Journalisten schreiben Tag für Tag gegen die Spaltung an, damit sich das Vierte Reich nicht wiederholt.

Die Tatsachen sehen jedoch anders aus. Wer überall nur Spalter sieht, hat vermutlich eine ähnliche Einstellung wie der Geisterfahrer auf der Autobahn. Man könnte das als Lächerlichkeit abtun, wenn sie nicht so gefährlich wäre. Jedes Phänomen in Europa wird mittlerweile als gegen die gerechte Ordnung gerichtet gesehen. Mag es beim Brexit oder der Wahl in Österreich sein. Alles, was nicht der deutungshoheitlichen Meinung entspricht, wird nun nicht nur negativ konnotiert, sondern sofort verteufelt.

Wir wollen uns in diesem Prozedere heute nicht mit Trump als Personifikation des Uncle Sam beschäftigen. Nicht mit dem perfiden Albion, das uns im Brexit verrät. Auch nicht mit Österreich, das sich einen neuen Reichskanzler gewählt hat (der uns vielleicht bald übernimmt?). Auch nicht mit Ungarn, wo Orban eine Quasi-Diktatur unterhält. Vom finsteren Reich des nationalbolschewistischen Russland wollen wir erst recht schweigen. Und nein, auch unsere kleiner Nachbarn Tschechien, auf den man nicht erst seit der Wahl verächtlich blickt, wird heute das Thema nicht sein.*

Seit der Zeit Ludwigs XIV. verbindet die Deutschen ein zwiespältiges Gefühl zu den Franzosen: die Bewunderung für die französische Kunst, Kultur und Sprache, für die Wissenschaft und Literatur, für das Zeremoniell und den Prunk war groß. Fürsten und Bürgerliche kopierten diesen Stil. Kritiker sahen in dieser Nachäfferei eine Bedrohung. Von jeher gab es eine Fraktion welche die französische Kulturhegemonie anerkannte, sie aber zugleich zu durchbrechen trachtete. Man denke auch an das Bewusstsein für die deutsche Sprache im Barock, als man diese gegen ausländische Einflüsse (Latein inklusive) abschirmen wollte. Der große westliche Nachbar war eine Herausforderung für die Deutschen, durch die „Raubzüge“ Ludwigs und späterer französischer Kriege auch auf militärischem Feld. Gegenwehr ist im Grunde nichts Schlechtes: sie erzeugt mitunter wunderbare Blüten. Erst Herausforderungen machen groß, und der kulturelle wie militärische Machtkampf hat – neben einiger unschöner Nebenaspekte – wohl auch dazu geführt, dass Deutschland den eigenen Selbstwert steigerte. Man denke an die unzähligen kleinen Schlösser der deutschen Fürsten, die Versailles zu kopieren trachteten. Gegenüber den Franzosen buckelte man nach oben.

Anders verhielt es sich mit dem östlichen Nachbarn. Bereits die Gründung des Königreichs Polen wurde vermutlich vom römisch-deutschen Einfluss bestimmt. Warum sich Mieszko I. taufen ließ, ist bis heute umstritten. Die ältere (deutsche) Forschung tendierte noch dahin, dass der erste polnische König in einem Vasallenverhältnis zum Kaiser stand – oder zumindest deswegen zum Katholizismus übertrat, um einer Intervention deutscher Markgrafen zuvorzukommen. Das Mittelalter hindurch ist das Reich ein mächtiger Nachbar, in dessen Schatten das kleine Polen steht. Der Titel des polnischen Königs beim kaiserlichen Hofe war der eines amicus imperatoris, also eines „Kaiserfreundes“.

Von Anfang an hat dieser Titel den Beigeschmack eines Freundes, den man anleiten muss. Die Polen sind ja erst seit ein paar Tagen Christen, die Germanen schon seit der Spätantike. Irgendwie schaffen es diese Polen ja nicht einmal, ihr Land von alleine zu bestellen – und ihre Pruzzen bekommen die auch nicht konvertiert. Die Deutschen als Lehrmeister der Völker lassen es sich natürlich nicht nehmen, da mit Ostkolonisation und Deutschorden einzugreifen.

Nehmen wir anfängliche Zwistigkeiten wegen ungelöster Nachlässe eben jener Deutschordensritter aus, so bleibt es auch in der Frühen Neuzeit mehrheitlich ruhig zwischen den Deutschen und ihren östlichen Nachbarn. Vielleicht auch deswegen, weil erneut die Deutschen eine nicht ganz unwichtige Rolle einnehmen: dieses Mal in Form der sächsischen Kurfürsten, die zugleich als Könige von Polen herrschen. In Polen nennt man diese Sächsisch-Polnische Union bis heute „Sachsenzeit“. Sie prägt Polen das halbe 18. Jahrhundert.

Einige Jahre später sind allerdings die Preußen der Meinung, dass das Land der Polen bei ihnen besser aufgehoben wäre. Während in Berlin modern-absolutistisch regiert wird, steckt Polen noch mit seinen Autonomien und selbstständigen Adligen quasi im Mittelalter fest: eine echte „Adelsanarchie“. Zusammen mit Russland und Österreich nimmt man sich daher der verwahrlosten Westprovinzen an und zeigt der polnischen Landbevölkerung wieder einmal die Vorzüge deutscher Regierung. Die erste Polnische Teilung beginnt damit, dass die großzügigen Preußen einen „Sanitärkordon“ im westlichen Polen einrichteten, um die dortige Pest einzudämmen. Zudem erhält die Teilung eines Drittlandes den Frieden zwischen den Großmächten.

Schon damals trieb Preußen eine fast merkelsche Außenpolitik. Europäischer Frieden um jeden Preis. Koste es was es wolle. Und weil man niemals Frieden genug haben kann, erhöhten die Nachbarstaaten um doppelten und dreifachen Frieden. Polen verschwindet von der Landkarte – vermutlich zu seinem eigenen Besten, wie manch Preuße gesagt hätte.

Die polnischen Stereotype festigen sich in dieser Zeit. Die polnischen Gebiete Preußens – und ab 1871: des Deutschen Reiches – sind ländlich, bäurisch, abgelegen. Die Industrialisierung findet woanders statt. Der Pole als mittelmäßige, etwas tumbe Gestalt, der kein Deutsch kann und zudem als Katholik im protestantischen Preußen sowieso als Hinterwäldler und Abergläubiger betrachtet wird, verkommt zur Karikatur. Streitsüchtig sind die polnischen Tölpel obendrein. Ihre einzigen Freunde finden die Polen ausgerechnet bei den deutschen Nationalisten zu Beginn des 19. Jahrhunderts, da man als patriotische Europäer auch für die Freiheit Polens eintritt. Die Begeisterung ist bald vorüber, als die Möglichkeit besteht, dass sich die preußisch-polnischen Teile abspalten könnten.

Die Haltung der Polen zu den Preußen ähnelt jener der Deutschen zu den Franzosen. Einerseits bewundert man die Preußen, andererseits wirft man ihnen Arroganz vor. Der Preuße ist diszipliniert, der Pole leidenschaftlich; was der eine als Vorzug sieht, nimmt der andere als Nachteil wahr. Wenn die Deutschen die Lehrmeister der Völker sind, so waren die Polen das erste Volk welche den Oberlehrerduktus zu spüren bekamen – durch die Zeiten hindurch. Die polnische Frömmigkeit und Beharrlichkeit wurden stets als Rückständigkeit interpretiert.

Vor wenigen Tagen feierten die Polen jenen Tag, an dem ihr Land wieder auf der Landkarte auftauchte – 99 Jahre ist das her. Im Gegensatz zum Journalistenmantra hat sich nichts geändert. Eine Verteidigungsministerin bleibt im selben Oberlehrerduktus, die Medien sehen immer noch das rückständige polnische Volk, das in die Vergangenheit blickt. Der 2. Weltkrieg wurde hier ausgespart, weil er nur der Zenit einer Entwicklung ist; die Ideologien, die Akteure, die Zeiten sind austauschbar.

Dieses Werk des ZDF ist kein Tiefpunkt. Es schlägt die Erdkruste auf und gräbt sich bis zum Kern. Eine aggressive Medienjunta ist außer Rand und Band geraten. Die Polen rufen die Deutschen heute nicht Nazis aus Unwissen; sie rufen sie deswegen Nazis, weil sie sich keinen Deut geändert haben. Die Aggressivität geht hier nicht von Demonstranten, sondern der Berichterstattung aus. Die Deutschen, die jahrhundertelang die Polen immer wieder belehrten oder gar besetzten, maßen sich erneut an, dass nur sie die Wahrheit gefressen hätten. Ähnliche Werke sehen wir in der Süddeutschen und anderswo. Man kritisiert Polen wegen mangelnder Weltoffenheit, indem man alles tut und sagt, was Weltoffenheit widerspricht.

Die Phrasen sind austauschbar. Die Botschaft aber immer noch dieselbe. Deutschlands Elite befindet sich in einem Wahn. Im Grunde will man den Polen immer noch vorschreiben, wie sie zu leben haben. Die Spalter sitzen natürlich in Warschau, dort sind sie alle: Rechtsextreme, Einwanderungskritiker, alle, die gegen die schöne neue Welt sind. Es findet hier reinste Hetze gegen die polnische Regierung und das polnische Volk statt, dessen Demonstranten hier über einen Kamm geschoren werden. Die hochheilige Differenzierung gilt nur für die Guten. Da sind sie wieder, die alten, tölpelhaften, bäurischen, abergläubigen Polen – unbelehrbar. Der antipolnische Reflex verpackt im Gutmenschentum.

Der neue Gesinnungsnationalismus der Deutschen ist weit unerträglicher als der alte Nationalismus der Polen.

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*Allein die Aufzählung hätte bei einigen Vertretern den Verdacht wecken können, dass man eine ungesunde Selbstprojektion betreibt.

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